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Randhemerkungen zur woche

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Der Unterrichtsminister hat in der Budgetdebatte mit bemerkenswerter Offenheit über die traurigen Zustände im Hochschulwesen gesprochen. Schlechte Bezahlung der Lehrkräfte, mehr als hundert Lehrkanzeln weniger als vor zwei Jahrzehnten, während der Fortschritt der Wissenschaften und das Aufkommen neuer Disziplinen sogar umgekehrt eine Zunahme der Lehrkanzeln erfordern würder. — die ständig wachsende Schwierigkeitj hervorragende Professoren für unsere Hochschulen zu gewinnen — und als einziger, sehr magerer, sehr problematischer Trost die Feststellung, daß die Hörerzahl im vergangenen Jahr etwas abgenommen hat. Die vorgeschlagene Notlösung einer monatlichen Bücherzulage von 350 Schilling und einer Vor Stands zulage für Instituts- und Seminarvorstände von 1000 S pro Semester muß als eine an sich begrüßenswerte Abschlagszahlung angesehen werden. Sie ist das Eingeständnis, daß man eigentlich viel mehr für die Wissenschaft tun müßte, es aber im Augenblick aus verschiedenen Gründen nicht glaubt verantworten zu können — obwohl die Lage der Gelehrten einen solchen Sonderfall darstellt, daß das Argument der Präjudizierung und der Notwendigkeit eines Festhaltens am starren Besoldungsschema der Staatsbeamten hier doch nicht stichhaltig erscheint. Der gute Wille sei begrüßt. Was aber bei „Primadonnen“ des Kunstlebens möglich ist, müßte auch bei den Spitzen der Wissenschaft möglich sein. Der Gewinn würde wohl auch hier ein Viel-faches der aufgewendeten Kosten betragen. Die Möglichkeit, daß bei einigermaßen ausreichender Förderung Österreich auch auf dem Gebiet der Wissenschaften einige „Weltmeistertitel“ erringen könne, ist nämlich nach den früheren Leistungen der Wissenschaft unseres Landes nicht von vornherein auszuschließen.

Der Rundfunk ist ein besonderes Sorgenkind unseres Landes — seitdem es wieder ein Österreich gibt. Zwar stehen gar nicht so wenige Funkmaste auf Österreichischem Boden, aber selbst abgesehen von den Militär- und Soldatensendern einzelner Alliierter, lassen die Stimmen im Äther ihr Herkunftsland nicht immer erkennen. Dies gilt vor allem von jener Rundfunkstation, die dem Namen wie dem Rechte nach im Besitz des österreichischen Staates ist, in ihrem Programm jedoch den österreichischen Standpunkt nicht durchhalten kann. Aber auch jene Sendergruppe, die sich „Rot-Weiß-Rot“ nennt, hält den Bindenschild nicht immer hoch und blank. Im Finanz- und Budgetausschuß kamen alle in letzter Zeit sich mehrenden Klagen zur Aussprache. Ein findiger Abgeordneter hatte den Bleistift zur Hand genommen und ausgerechnet, daß von der „österreichischen“ Ravag im vergangenen Jahr durch nicht weniger als 646 Stunden 28 Minuten russische Sendungen ausgestrahlt wurden. Von derselben Stelle, von der Österreich zur Welt sprechen sollte, werden oft laute Anklagen gegen die österreichische Volksvertretung und heftige Angriffe gegen die österreichische Regierung gerichtet. „Rot-Weiß-Rot“ führt eine andere Sprache. Einmischung in innere österreichische Angelegenheiten, Schützenhilfe für eine österreichische Partei fehlen hier. Dafür haben sich in letzter Zeit sogenannte Spaßmacher einen wenig rühmlichen Namen verschafft. Geschützt durch die Narrenkappe gefallen sie sich in einer planmäßigen Herabsetzung dessen, was in Österreich an Anstrengungen und Versuchen zur Überwindung der Vergangenheit unternommen wird. Hier der Propagandist, der Kommentator — dort der Parodist, der Conferencier und Coupletsänger. Verschieden mögen die Absichten sein, in einem aber treffen sie sich — im Rufmord am österreichischen Namen.

Manchmal hat es den Anschein, als gehörten Kämpfe und Kampfstellungen von gestern endgültig der Vergangenheit an, als sei für die Schlagworte überlebter und überwundener Zeiten heute wirklich nur mehr Platz in einem Mjiseum der Politik Gerade das seit 1945 nicht abgerissene Gespräch zwischen Katholiken und demokratischen Sozialisten hat in Österreich Formen angenom-. men, die jedem, der ehrlich bemüht war, Genugtuung bereiten. Bis dann, ja bis dann von Zeit zu Zeit irgendwo ein sozialistischer Redner oder ein sozialistischer Redakteur es nicht lassen kann, die Mottenkiste alter Parolen und verstaubter kulturkämpferischer Requisiten zu öffnen, bis im sozialistischen Zentralorgan an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bei nichtigen, von Religion und Kirche weit entfernten Dingen „Jesuitische Deuteleien um ein Testament“ im Titel stehen oder — welch ein geschmackvoller Witz — von „viel Tinte und viel Weihwasser“ die Rede ist. Und das noch dazu im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die aus gewissenloser Profitgier auf den Markt geworfenen Abfallprodukte der Druckerpresse, ein Kampf, der Sozialisten wie Katholiken ein gemeinsames Anliegen sein sollte. Gespräche erfordern eine Gesprächsdisziplin; wer ausfällig wird und schimpft, wird zur Ordnung gerufen. Ist es zuviel erwartet, daß der Ordnungsruf an den Störenfried auch von sozialistischer Seite erfolgt?

Klare. Verhältnisse sind nicht Sache einer unklaren Zeit. Der Nebel der Ereignisse senkt sich über manches und schafft Gelegenheiten für künftige Generationen zur Betätigung der Gehirne. Konkreter Fall von Unklarheit: die Wiener Randgemeinden (800 Quadratkilometer, 200.000 Einwohner). Ihre Geschichte: vor 1938 zu Niederösterreich gehörig, 1938 interner „ostmärkischer“ Anschluß an Wien zur Vergrößerung Wiens zu „Groß-Wien“, 1945 besatzungszonenpolitische Lostrennung von Wien und entsprechende eigene Neigung zur Wiederangliederung an Nieder-österreich. Die Restitution unterblieb jedoch und die „Randgemeinden“ traten offiziell ins Leben. 1946: Vorschlag eines Bundesverfassungsgesetzes, das 80 Randgemeinden an Niederösterreich zurückstellen will, 17 bei Wien beläßt. Kommunale Interessen sprechen für diese Lösung. Weltpolitische Interessen sprechen dagegen: Die Abmachungen zwischen den Weltmächten können nicht wegen einiger Straßenbahn- und Kanalisationsvorteile geändert werden. Die Anpassung an die weltpolitische Lage erfolgt nicht. Die Randgemeinden zahlen weiterhin ihre Steuern nach Wien (Steuern sind auch in unklaren Zeiten zu zahlen). Die Gemeinde Wien zahlt nichts für die Randgemeinden, weil sie jenseits ihres Randes liegen. Der Nebel ist solid. Er wird zur Zeit noch dicker: Die Randgemeinden können bei den Bauern- und Handelskammerwahlen weder für Niederösterreich noch für Wien wählen, denn die Wahlordnungen für diese Vertretungskörper sind Landesgesetze. Da die Randgemeindenzugehörigkeit unentschieden ist, ist es auch der Bereich der Gesetze. Die Randgemeinden rücken an den Rand der Welt. Sie bilden ein Niemandsland der österreichischen Demokratie. Nur das Finanzamt hat sie nicht vergessen.

Wie man hört, ist man zuständigerseits von dem Gedanken abgekommen, das Oeuvre Gustav Klimts auf die Biennale dieses Sommers zu schicken, auf der sich bekanntlich in Venedig die bildenden Künstler der Welt ein großes Stelldichein geben. Vielmehr hat man sich entschieden, unseren lebenden Malern ihr Recht zu lassen und Bilder B oe ckl s und Kolig s auszustellen. Diesen werden, ein begrüßenswerter Gedanke, ausgewählte Blätter unserer jüngeren und tüchtigen Graphiker angeschlossen. Das ist erfreulich uild sehr not' wendig. Noch schöner wäre es, würde man die ausgesuchte Kollektion vor ihrem Ab-transport nach Venedig in Wien in einer Ausstellung zeigen, auch wenn sie nur kurzfristig und halböffentlich wäre. Weniger, um diese oder jene Entscheidung nach dem Einspruch der Öffentlichkeit zu residieren als vielmehr, um jeden Anschein von Ge-heimlialtung gefaßter Beschlüsse zu vermeiden und der Aktion das Maß von Publizität zu geben, das wegen ihrer Wichtigkeit geboten ist.

Mit der Errichtung eines eigenen M i n i-steriums für Staatssicherheit ist die Jagd nach „Spionen und Saboteuren“ in Ostdeutschland zur öffentlichen Institution geworden. An die Spitze dieses für eine echte Volksdemokratie unentbehrlichen Ressorts tritt mit Wilhelm Zaisser ein Mann, dessen Persönlichkeit wenig Zweifel übrigläßt. Der Weg des einst unter dem Namen „General Gomez“' bekanntgewordenen Kommandeurs der internationalen Brigaden in Spanien ist eine einzige Reihe von „besonderen Verwendungen“. Vom Antifaschulungsleiter deutscher Kriegsgefangener in Rußland, wurde er nach Kriegsende zuerst Polizeipräsident der ostzonalen Mustermessestadt Leipzig, avancierte dann zum Innenminister des Uranlandes Sachsen und wurde schließlich zum stellvertretenden Innenminister der gesamten Ostzone in der Zeit ihrer Staatwerdung erhoben. Die englische Zeitschrift „The Tablet“ berichtete damals über seine Antrittsrede m diesem seinen letzten Wirkungskreis. Zaisser machte unter anderem auch den Vorschlag, ein Gegenstück zum Falle Mindszenty zu schaffen, „um allen HimmelsJcomö'dianteneiTi-für allemal die Lust zu nehmen, sich dreinzumischen“. „Die Arbeitslager“, führte aus, „hätten Platz für ganze Kompanien von Schwarzröcken“. Nach offiziellen Erklärungen sind diese Arbeitslager inzwi-schen aufgelöst worden. Eine wirkliche Änderung des Systems dürfte das, wie die Karriere ihres Fürsprechers andeutet, freilich kaum bedeutet haben.

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