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Soziale Bodenreform

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Die in Parlament und Öffentlichkeit geführten Debatten um eine auf den Boden bezogene Sozialreform zeigen, wie unklar und vieldeutig im Laufe der Zeit der Begriff der Bodenreform geworden ist. Es wird nützlich sein, in diese Verwirrung durch eine kurze historische Betrachtung etwas Klarheit zu bringen.

Der Begriff Bodenreform erschien zum ersten Male, als bei der Besiedlung der Vereinigten Staaten zahlreiche Spekulanten an Erwerb und Wiederveräußerung der vom Staate den Einwanderern zur Verfügung gestellten Ländereien ungeheuerliche Gewinne machten. Henry George deckte in seinem berühmten Werke „Progress and Property” diese Schäden einer ungezügelten Privatwirtschaft auf und forderte zu ihrer Beseitigung eine Bodenreform, das heißt eine grundlegende Umgestaltung des Bodenrechts, und als einzige Abgabe — single tax — die Einführung einer Grundsteuer. Es würde zu weit führen, das siegreiche Vordringen dieser Bewegung in großen politischen Kümpfen, die von Georges Anhängern, den Bodenreformern, mit fast religiöser Begeisterung geführt wurden, im einzelnen zu verfolgen. Sie faßte zunächst Boden in den angelsächsischen Kolonialländern, so besonders in den Vereinigten Staaten und Australien, und ergriff dann auch die europäischen Staaten, hier freilich auf einem ganz anderen wirtschaftlichen Hintergründe. War es in den Vereinigten Staaten die Spekulation mit landwirtschaftlichem Boden gewesen, die man treffen wollte, so waren es auf dem europäischen Kontinent die Spekulationsgewinne, die sich aus der Umwandlung von Ackerland in Bauland im Umkreise der infolge der Industrialisierung sprunghaft anwachsenden Städte ergaben. So entstanden auch hier die Bünde der Bodenreformer in den verschiedenen Ländern, es genügt, für Österreich an den Namen Flürscheim und in Deutschland an Damaschke zu erinnern.. Die Forderungen, die zur Bekämpfung der Spekulation erhoben wurden, zielten sowohl auf steuerliche Maßnahmen, wie Einführung einer Grundsteuer und Wertzuwachssteuer, als auch auf die Anordnung von Vorkaufs- und Wiederkaufsrechten zugunsten der öffentlichen Hand, Bindung des Besitzwechsels an behördliche Genehmigung, Heimstättenrecht, Erbbaurech und anderes mehr. Diese Forderungen haben in den Gesetzgebungen von Ländern und Gemeinden einen sehr unterschiedlichen Niederschlag gefunden, ohne daß man sagen könnte, daß ein Staat sie in vollem Umfang verwirklicht habe.

Sehr merkwürdig ist die Wandlung des Begriffes, die seit der russischen Revolution eingetreten ist. Wieder war es ein Agrarproblem, aber ein solches anderer Art wie einst in den Vereinigten Staaten: zuerst die programmatische Überführung des Großgrundbesitzes in das Eigentum der Kleinbauern, der in der Praxis dann verschiedene Formen der Vergesellschaftung, Sowchosen und Kolchosen, folgten. Alles das wurde unter dem Namen Bodenreform zusammengefaßt. In der Gegenwart erleben wir, daß die Länder des Südostens, aber auch Polen, diie Tschechoslowakei und die deutsche Ostzone in stürmischem Tempo dem russischen Vorbild folgen mußten. Mögen die Gesetze dieser Länder in Einzelheiten, wie der höchstzulässigen Besitzgröße und der Entschädigungsleistung an die enteigneten Eigentümer 90wie in der Art der Bewirtschaftung des enteigneten Besitzes, verschieden sein, d’e Tendenz dieser Bodenreform ist überall tie gleiche. In den deutschen Westzonen ist m;.n unter der richtunggebenden Initiative der Besatzungsmächte ein wenig behutsamer und grundsätzlich unter Gewährung von Ersatzansprüchen des teilweise enteigneten Großgrundbesitzes zu Werke gegangen. Die Entwicklung ist hier nach Ländern verschieden und dürfte in der US-Zone am weitesten fortgeschritten sein.

Ein Zeugnis politischer und wirtschaftlicher Einsicht ist es daher, wenn in Österreich die Wirtschaftsfachleute — auch die sozialistischen — betonen, daß hier eine individuelle Handhabung dieses Komplexes die einzig denkbare’ Lösung sei und eine doktrinäre Vorgangsweise unbedingt vermieden werden solle. Die bisher unter den Parteien verhandelten Bodenreformpläne bewegen sich lediglich auf dem Gebiete der Landwirtschaft. Dabei war es noch nie so notwendig als in dieser Zeit, einer aus der Wohnraum- zefstörung entstandenen ungeheuerlichen Wohnungsnot auch den Grunderwerb nicht allein für den Wiederaufbau, sondern auch für den allgemeinen Wohnungsbau und Siedlungsbau im Rahmen der Stadt- und Landesplanung unter dem Zeichen der Bodenreform sicherzustellen.

Leider hat es den Anschein, als ob unter dem Druck der Schwierigkeiten, die heute die Verzehnfachung der Baukosten der Finanzierung bereitet, das Problem der Landbeschaffung für diese hochwichtigen Aufgaben in den Hintergrund getreten sei. Es könnte dabei nicht verantwortet werden, wenn, um Beispiele zu nennen, die innere Auflockerung Wiens oder der Landeshauptstädte durch

Schaffung von Freiflächen und Grünanlagen etwa daran scheiterte, daß für die Gemeinden keine gesetzliche Möglichkeit bestünde, Bauterrains bei Entschädigungsleistung zu beanspruchen und für einen die Städte umgebenden Gürtel von Kleinsiedlungen zu sichern. Es haben denn auch beide große Parteien unserer Gesetzgebung in diesem Sinne grundsätzlich für Enteignung gegen Entschädigung für Fälle, wo es das öffentliche Interesse begehrt, Stellung genommen. Dieses tiefeinschneidende Recht kann allerdings nur dann eingeräumt werden, wenn es einem großzügigen Plane der Eigenheimbeschaffung dient.

Wie heute tüchtige nachgeborene Bauernsöhne oder Kleinlandwirte aus der Enge einer nicht lebensfähigen Stelle heraus mit Recht den Ruf nach Neusiedlung oder Anrainersiedlung erheben, so erstreben im Umkreise der Städte zahlreiche bewährte Kleingärtner für ihre Familie ein Eigenheim oder eine Kleinsiedlung. Soll ihnen der soziale Aufstieg, der sich mit dem Eigenbesitz vollzieht, versagt bleiben, weil — vielleicht aus spekulativen Gründen — geeignete Ländereien in festem Besitz gehalten werden? Wie stark heute wieder der Wille weiter Kreise auf ein Eigenheim gerichtet ist, zeigt eine Zeitungsnotiz über die Gründung der Siedlungsgenossenschaft des Bergbaues Seegraben bei Leoben. Dort hat sich die Bergbehörde bereit erklärt, Grundstücke von je 600 bis 1000 Quadratmeter Größe freizugeben. Mit dankenswerter materieller Unterstützung der Alpinen Montangesellschaft gehen nun die Knappen als ihre eigenen Baumeister, Maurer und Zimmerleute ans Werk. Jeden zweiten Tag wird nach der Schicht vier Stunden lang gearbeitet, und ein Fünftel ihres Einkommens zahlen die Bergleute in die Siedlungsgenossenschaft ein. Dies schöne Beispiel entschlossener und opferwilliger Gemeinschaftsarbeit im Siedlungsbau zu einer Zeit, in der man mit allgemeiner Resignation nur noch die öffentliche Hand zur Durchführung von Bauvorhaben für fähig hält, weil die finanziellen Schwierigkeiten zu groß geworden sind, zeigt mit aller Deutlichkeit, daß wir in der Wohnungswirtschaft die private Initiative nicht werden entbehren können, freilich eine Initiative anderer Art, als es früher die der Bauherren von Zinskasernen gewesen ist. Irren wir uns doch nicht: ebenso unzerstörbar wie der Drang des Bauern nach eigener lebensfähiger Wirtschaft ist der Drang der werktätigen Bevölkerung nach eigenem Grund und eigenem Heim. Diesem Streben die Wege zu ebnen, indem man die Landbeschaffung ermöglicht, die Siedler zur Mitarbeit erzieht und ihnen die technischen und finanziellen Hilfen gibt, deren sie bedürfen, vor allem aber alle Einzelarbeit einzuordnen in die Stadt- und Landesplanung, zwischen Stadt und Land Übergänge gur Überbrückung der Gegensätze zu schaffen, endlich den so dringend benötigten Landarbeiterwohnungsbau zu fördern und damit der Abwanderung vom Lande vorzubeugen, ist vielleicht die größte innerpolitische Aufgabe im neuerstandenen Österreich.

Vielleicht ist es kein allzu großes Unglück, daß die übersteigerten Baukosten im Augenblick nur das allerbescheidenste Bauprogramm im Wiederaufbau zulassen, denn damit wird Zeit gewonnen für jene große Planung, die zuvor kurz umrissen worden ist. In ihr ist die Regelung der Bodenfrage die Voraussetzung dafür, daß der Städtebauer und der Landesplaner zu wirklich einheitlichen und praktischen Lösungen ihrer Aufgaben kommen können. Geben wir also dem Begriff der Bodenreform den weitesten Sinn, indem wir sie als eine sozial- und wirtschaftspolitische Bewegung bezeichnen, die auf dem Lande einer gerechten und wirtschaftlich sinnvollen Besitzverteilung und allgemein in Stadt und Land der Herstellung gesunden Wohnraumes den Weg ebnen soll. Schaffen wir anstatt eines aus der Not des Tages geborenen Stückwerkes, das mühsam unter Kompromissen durch die parlamentarischen Körperschaften hindurchgeschleust wird, einumfassendesGesetzgebungs- werk aus einem Guß, das auf Generationen hinaus den Werktätigen in Stadt und Land in planmäßiger Ordnung, aber ‘doch in vielfältigen Formen den Weg zum Boden eröffnet, damitsichimeigenen Heim ein gesünderes Familienleben entwickeln kann, als es in der Enge der großstädtischen Miethäuser möglich ist.

Wenn heute dem Städtebauer das ver- lockende Bild einer von Turmhäusern überragten Stadt vor Augen gerückt wird und wenn man gleichzeitig die Siedlung mit dem Scfalagwort der Raumverschwendung kurzerhand ablehnt, so bleibt diese geringschätzige Bewertung, die höchst materialistisch alle Imponderabilien außer acht läßt, doch sehr an der Oberfläche hängen. Sie ist für eine einseitige, lediglich städtisch orientierte Denkweise charakteristisch.

Es sei mir eine zeitgemäße Erinnerung ge- sattet: als im Jahre 1931 die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland schon in die Millionen ging, gelang es mir mit einigen Freunden, die Regierung Brüning zu bestimmen, das erste Gesetz über die sogenannte Erwerbslosensiedlung zu erlassen. Wir ließen uns damals von dem Gedanken leiten, daß insbesondere dem verheirateten Erwerbslosen, der mit seiner Familie in der Trostlosigkeit einer Mietskaserncn-wohnung vegetierte, eine denkbar bescheidene Kleinsiedlung als Ziel gewiesen würde, das seinem Leben wieder Inhalt geben könnte. In ihr sollte er auf eigenem Grunde und im eigenen Heim schaffen und durch Gartenbau und Kleintierzucht wenigstens vor den schlimmsten Ernährungssorgen geschützt werden. Da es aber darauf ankam, auch seine eigene Schaffenskraft wieder anzuregen, wurde von ihm schon Mitarbeit beim Bau gefordert, wie sie schon bei mehreren großen Siedlungen vor 1938 Bedingung war und jetzt wieder bei der Siedlungsgenossenschaft Seegraben geleistet werden muß. Der gewagte und von vielen Seiten befehdete Versuch gelang trotz allen Schwierigkeiten und blieb, getragen von der lebendigen Anteilnahme und Mitarbeit der Siedler, auch in einer Zeit bestehen, in der die Erwerbslosigkeit behoben worden war. Der Begriff der Erwerbslosensiedlung wandelte sich in den der Kleinsiedlung, und diese gewann, obwohl sie sich keineswegs des besonderen Wohlwollens des „Reichswohnungskommissars” Dr. Ley erfreute, eine solche Ausdehnung, daß man in Deutschland bis zum Kriege an die 160.000 solcher Stellen zählte, deren gesamte Bevölkerung mit rund einer Million veranschlagt werden konnte. Auch in Österreich hat sich ja die Kleinsiedlung im Umkreis der Städte und Industriegemeinden sehr gut entwickelt. Wenn schon jene staatlich geförderte Aktion eine solche Ausdehnung gewonnen hat, so ist wahrscheinlich die Zahl der mit rein privaten Mitteln errichteten Stellen gleichen Charakters noch viel größer gewesen, man hat sie leider niemals statistisch erfaßt. Es wäre verhängnisvoll, wenn man eine Bewegung, die solche Kräfte des einzelnen auslösen konnte, in der künftigen Gestaltung unseres Landes ausschalten wollte. Schon die oberflächliche Berechnung zeigt, wie gering der Anteil am Boden ist, den sie selbst bei beträchtlicher Ausdehnung in Anspruch nehmen würde, und wie. ungerechtfertigt daher im ganzen gesehen der Vorwurf der Raumverschwendung ist. Von der Seite der Finanzierung her wollen wir uns aber freuen, wenn gerade bei der Kleinsiedlung für eigenes Heim und eigenen Grund Mittel und Ersparnisse freigemacht werden, die für den Bau von Mietwohnungen niemals verfügbar wären.

Österreich besitzt auf allen Gebieten Fachleute von bestem Ruf und hohem Ansehen, die zur Vorbereitung des hier skizzierten Gesetzeswerkes zur Verfügung stehen, wobei man sich darüber klar sein muß, daß manche Bodenprobleme für die Bundeshauptstadt anders aussehen als für die Landeshauptstädte und die kleineren Gemeinden. Man lasse sich also aus der reichen Praxis unserer Architekten, unserer Stadt- und Landesplaner Gutachten zu den verschiedensten Fragen der künftigen Gestaltung erstatten, man höre Spezialsachverständige aus der Landwirtschaft und Wohnungswirtschaft und vergesse auch nicht, die Juristen und Finanzfachleute bei den zu lösenden Rechts- und Finanzierungsfragen zu Rate zu ziehen! Last not least, gebe man auch den Vertretern der Siedler das Wort, damit man ihre besonderen Sorgen kennenlernt und bei der künftigen gesetzlichen Regelung berücksichtigt. Wenn man in den allernächsten Jahren mit den Mitteln des Wiederaufbaufonds zunächst die schwersten Kriegsschäden beseitigt, so bleibt für solche gründliche Vorbereitung des Gesamtwerkes noch Zeit genug. Man wird sich auch darüber klar sein müssen, daß die Quelle, die den Wiederaufbaufond speist, bald versiegen wird und daß man eine alte bodenreformerische Forderung aufnimmt, wenn man an eine Reform der Grundsteuer und ihrer völlig veralteten Unterlagen denkt, um deren Erträge einem neugeordneten Grunderwerbs- und Aufbaufond zuführen zu können.

Ich verkenne nicht, daß es für die zuständigen Bundesministerien, deren Befugnisse sich auf den in Rede stehenden Gebieten vielfach überschneiden, außerordentlich schwierig sein wird, eine solche Materialsammlung durchzuführen. Daher liegt der Gedanke nahe, ob sich nicht mit besonderer Förderung der Bundesregierung die beteiligten Fachkreise zu einer Vereinigung zusammenschließen sollten, wie sie schon heute in zahlreichen Ländern besteht. Eine solche ist zum Beispiel der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung i Frankfurt am Main, der wieder als Sektion dem Internationalen Verbände für Wohnung!- und Städtebau (Sitz Brüssel) angeschlossen ist, dessen Präsident seit langen Jahren Sir Pepler, Großbritanniens hervorragendster Fachmann auf diesen Gebieten, ist. Seit 3em Kongreß in Hastings im vergangenen Jahre ist hier eine durch den Krieg leider unterbrochene Zusammenarbeit wieder aufgenommen worden. Wenn demnächst die Ergebnisse des Internationalen Kongresses, der in den letzten Wochen in Zürich tagte, vorliegen, dürfte auch für Österreich die Zeit gekommen sein, an die Gründung eines eigenen gleichartigen Verbandes zu schreiten. Ich bin überzeugt, daß er sich bei zweckmäßiger Gliederung seiner Fachausschüsse bald als unentbehrliches Organ für die Behandlung der Fragen der Landesplanung, des Wohnungsbaues und des Siedlungswesens, insbesondere aber auch des Bodenproblems und der Finanzierung, erweisen wird und daß er in der Lage sein wird, der Bundesregierung und den gesetzgebenden Körperschaften jenes grundlegende Material zur Verfügung zu stellen, das sie zur gesetzlichen Regelung einer so umfangreichen und komplizierten Materie brauchen. Denn eine Bodenreform in Stadt und Land erfordert Gesetze über Stadt- und Landesplanung, Neusiedlung, Anrainersiedlung, Kleinsiedlung, Stockwerks- und Wohnungseigentum, Erbbaurecht, ein Finanzgesetz über die Bereitstellung von Staatsmitteln und Staatsbürgschaften, um nur die wichtigsten Materien zu nennen.

All dies sind schwierige Aufgaben, die mit kleinen Mitteln, die gleich Flicken hier und dort aufgesetzt werden, nicht gelöst werden können, sondern ein großes und einheitliches Gesamtwerk erheischen. Die Mühe wird sich belohnt machen und Österreich wird dann eines der wenigen Länder sein, die für die Grundsätze der Bodenreform eine umfassende, weitschauende und für die Praxis brauchbare Lösung gefunden haben, die nicht allein das äußere Bild von Stadt und Land nach sozialer Prägung gestaltet, sondern auch überaus segensreich für das Leben der Familie und der staatlichen Gemeinschaft sein wird.

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