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Der freie Mensch im eigenen Heim

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Eines der drückendsten Probleme unserer Zeit ist die Wohnraumfrage. Sie überschattet nicht nur das politische Leben, sondern ist auch die Ursache verschiedenster sozialer, gesundheitlicher und moralischer Notstände der Nachkriegsjahre. Ein kurzer Blick auf die Nachbarstaaten, ob im Osten oder Westen, zeigt uns, daß auch dort das Wohnraumproblem eines der dringendsten sozialen und wirtschaftlichen Anliegen ist. Im Ausland wie bei uns scheitern alle Versuche einer großzügigen Lösung an der Geldfrage. In Österreich wie im Ausland haben die leidigen Nachkriegs-verhältnisse alle normalen Möglichkeiten privater Baufinanzierung durch Banken und öffentliche Institute verschüttet. Alle Länder waren somit gezwungen, die öffentliche Hand mehr als es wünschenswert ist, zu Wiederaufbauten und Neubauten heranzuziehen.

Bei uns in Österreich liegt der Anfang dieses Dilemmas allerdings schon 34 Jahre zurück, denn zur gleichen Zeit, als das Parlament im Jänner 1917 zum Schutze der eingerückten Soldaten vor Preissteigerungen und Kündigungen die erste .Mieterschutzverordnung“ erließ, schlug auch die Geburtsstunde einer verhängnisvollen Wohnraumpolitik, die jahrzehntelang alle schöpferischen Lösungen des Problems fesseln sollte.

Die Mieterschutzverordnung aus der Monarchie wurde 1922 von der ersten Republik übernommen, 1929 weitgehend novelliert und blieb ab diesem Zeitpunkt bis zum 21. September 1951, dem Tag der Annahme der Mietengesetze durch das Parlament des wiedererstandenen Österreich, im großen und ganzen unverändert in Kraft. Vorweg muß gesagt werden, daß die dem „Mieterschutz“ zugrunde liegende Idee durchaus gut und zweckentsprechend ist. Der soziale Fortschritt auf allen Gebieten kann und darf es auch den Hausherren nicht mehr gestatten, die Höhe der Mieten willkürlich festzusetzen oder die Kündigung nach eigenem Ermessen durchzuführen. Es ist daher nicht das Prinzip, sondern bloß die starre, unelastische Anwendung des Mieterschutzes, wogegen die Christlichsozialen der ersten Republik und weite Kreise auch in der zweiten Republik Einwände erheben.

So stehen die Dinge heute. Sie werden durch die ungeheuren Verluste an Wohnraum im Krieg und durch die Bedürfnisse der Besatzungsmächte weiter verschärft und bieten besonders unserer Jugend auf diesem Gebiet unvorstellbar traurige Aussichten.

Wenn wir nun die Möglichkeiten einer grundlegenden Änderung dieses Notstandes untersuchen, müssen wir vorerst die ziffernmäßigen Unterlagen und Voraussetzungen betrachten.

Nach einer Erhebung (1950) des „österreichischen Städtebundes“, dem die großen Städte mit der am meisten fühlbaren Wohnungsnot angehören, stehen in 143 Gemeinden mit zusammen 1,287.583 Haushalten nur 1,120.784 bewohnbare Wohnungen zur Verfügung. Das bedeutet, daß in diesen Gemeinden 168.623 Wohnungen fehlen oder Haushalte in Untermiete oder in sonst unzulänglichen Unterkünften untergebracht sind. Wien hält hier ( n traurigen Rekord mit einem Manko von 82.164 Wohnungen, dann folgt die Steiermark mit 30.241 und weiter Oberösterreich mit 25.997 fehlenden Wohnungen.

Mehr als die Hälfte der Wohnungssuchenden sind bei den Wohnungsämtern in die Dringlichkeitsstufe I (dringendste Fälle) eingereiht, das heißt, daß ihre derzeitige Unterkunft gesundheitsschädlich oder aus sonstigen Gründen auf die Dauer untragbar ist.

In Wien wurden 87.000 Wohnungen allein durch Kriegsschäden unbrauchbar. Obwohl keine genauen Ziffern über die wirkliche Zahl der Wohnungssuchenden vorhanden sind, schätzt man ihre Zahl auf rund 200.000 Personen, die Familienangehörigen noch nicht eingerechnet!

Schon bald nach Kriegsende zeigte sich, daß die privaten Kreditquellen oder Vermögensbestände auch nur für die dringendsten Wohnbauten nicht ausreichen würden. Man kam daher zu dem Schluß, daß — zumindest vorübergehend — nur die öffentliche Hand den Aufbau vorerst der bomben- und kriegszerstörten Wohnhäuser finanzieren könne. Die grundsätzlichen Bedenken gegen diese Methode mußten zurückgedrängt und das Wagnis eben versucht werden. Diese Vorbehalte gegen eine fast völlige überantwortung des Wohnbausektors an die öffentliche Hand liegen vor allem darin, daß für den Staat beziehungsweise die Gemeinden oder andere öffentliche Einrichtungen und Körperschaften ständig die Versuchung der politischen Einflußnahme gegeben ist.

Erst mit der Schaffung des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes und der Fondskommission beim Handelsministerium konnte die Gefahr gebannt werden. Dieses Wohnhaus - Wiederaufbaugesetz, dessen Kern die Möglichkeit von Darlehen an private und öffentliche Besitzer bombenzerstörter Wohnhäuser ist, stellt eine der entscheidendsten Taten des Parlaments seit 1945 dar.

Die Besitzer bombenzerstörter Wohnhäuser haben nach diesem Gesetz ihre Ansuchen mit genauen Baukostenberechnungen bei den zuständigen Landesregierungen über die Bezirkshauptmannschaffen (in Wien über die Magistratischen Bezirksämter) der Fondsverwaltung beim Handelsministerium vorzulegen. Dort werden die Ansuchen gesammelt und in periodischen Sitzungen der Kommission,» für den Wohnhaus-Wiederaufbaufontß genehmigt. Die Rückzahlung der Darlehen erfolgt innerhalb hundert Jahren, wobei als Rückzahlungsquote jeweils nur jährlich ein Prozent der Baukostensumme bestimmt wurde. Die Darlehen werden zinsenfrei gewährt. : Die Leistungen des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds vom Beginn seiner Wirksamkeit im Jahre 1948 bis zum 31. August 1951 sind beachtlich: es konnten rund 900 Millionen Schilling, ohne Hausratdarlehen, für reine Bauzwecke flüssig gemacht werden. Zu diesen 900 Millionen Schilling kommen nach dem August 1951 noch rund 250 Millionen hinzu. 112 Millionen wurden kürzlich verteilt, der Rest soll zum Einbruch des Winters zur Bekämpfung der Saisonarbeitslosigkeit vergeben werden. Vom Beginn der Wirksamkeit des Gesetzes bis 31. Dezember 1950 wurden

5439 Ansuchen genehmigt. Damit konnten insgesamt 22.582 Wohnungen wiederhergestellt oder vom Baugebrechen befreit werden. An der Spitze steht Wien mit 3431 gewährten Darlehen für den Aufbau von 17.973 Wohnungen. Dann folgen Niederösterreich mit 665 Darlehen, Oberösterreich mit 324, Steiermark mit 507, Kärnten mit 212 usw.

In den ersten acht Monaten des heurigen Jahres gelangten 1081 Kredite zur Auszahlung, von denen ebenfalls Wien, als die Großstadt mit den empfindlichsten Kriegsschäden, mit 570 genehmigten Ansuchen an der Spitze steht.

Im kommenden Jahr dürfte der Haushaltsplan wieder rund 500 Millionen Schilling für diese Zwecke zur Verfügung stellen.

Das Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz hat aber noch eine eminent politische Bedeutung: es machte den Gedanken des Wohnungseigentums praktisch durchführbar. Auch das Wohnungseigentum, das mit einem eigenen Gesetz vom 8. Juli 1948 seine legislative Untermauerung erfuhr, litt vordem an mangelnden Möglichkeiten der Finanzierung. Erst die Koppelung Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz mit dem Wohnungseigentumsgesetz gestattete den Interessenten, Bombenruinen käuflich zu erwerben, den Grund anteilmäßig im Grundbuch sicherstellen zu lassen und als eigene Hausherren, gewissermaßen als kleine Wohnungsgenossenschaft, an den Fonds mit dem Ersuchen um Darlehen zum Wiederaufbau des Hauses heranzutreten. In der Praxis wurde somit keine Bestimmung des Gesetzes verletzt, denn an die Stelle eines einzigen Hausbesitzers trat nun die Gemeinschaft der künftigen Wohnungseigentümer, die vom Staat das gleiche Recht auf Kredite zu fordern hatte wie der einzelne Besitzer.

Auf diese Weise gelang es, bisher allein in Wien rund tausend Eigentumswohnungen zu schaffen. Der größte Teil ist bereits bezogen, der Rest wird noch heuer bezugbereit sein. Daneben sind in den Bundesländern weitere 300 Eigentumswohnungen bezogen oder im Bau.

Dieser Anfang zeigt, daß unsere wahrhaft moderne und echt soziale Wohnraumpolitik die richtige ist, weil das Sinnen der Menschen eben nicht nach Beugung unter die Staatsallmacht, sondern nach persönlichem Besitz gerichtet ist.

Erst wenn der Mensch nicht nur in seiner Berufstätigkeit, sondern auch als Bewohner seines eigenen Heims von allen politischen Bindungen wirklich frei ist, wird der entscheidende Schritt zur völligen Entproletarisierung getan sein, und damit die unselige Epoche des Klassenkampfes, des Kampfes aller gegen alle, ein für allemal einer unrühmlichen Vergangenheit angehören.

Das Aufkommen des „Bausparens“ in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen verriet schon damals den Zug zum persönlichen Eigentum. Die bedeutendste Einrichtung dieser Art, die Bau-

Sparkasse .Wüstenrot“, hat trotz des gehemmten Sparwillens der Bevölkerung auch nach 1945 noch recht beachtliche Erfolge aufzuweisen. Ohne öffentliche Mittel, mit reinem Bausparerkapital, erstanden 1945 bis 1951 1200 Einfamilien-Eigen-heime im Werte von je 40.000 und 50.000 Schilling. An der Spitze der Eigenheimsparer steht Salzburg; es folgen Ober-österreich, Wien und Niederösterreich mit ungefähr der gleichen Anzahl von Eigenheimen. Der Rest verteilt sich auf die übrigen Bundesländer.

Schließlich hat uns auch die jüngste Novellierung des Mietengesetzes einen Schritt weitergebracht. Daß es trotzdem noch Jahre dauern wird, bis der Wohnraumbedarf voll befriedigt werden kann, ist angesichts des ungeheuren Umfarigs der Wohnungsnot und den beschränkten Möglichkeiten der Finanzierung nur zu selbstverständlich. Immerhin zeigen sich schon beute vielversprechende Ansätze zur Besserung, die sich bei ruhiger, friedvoller Entwicklung der Weltlage noch verbreitern dürften.

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