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Wohnungspolitik gegen das Wohnbauen

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Das Wiener städtische Wohnungsamt ist mit dem Erfolg seiner Bemühungen um die Wohnungsbeschaffung unzufrieden. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt läßt bisher kaum irgendeine Entspannving erkennen. Sie drückt auf den gesamten Organismus der Großstadt, ihre Bevölkerungsbewegung und ihren Gesundheitszustand. Sie greift den Zellenbau der Gesellschaft, da Familienwesen an. Kein eigenes Heim mehr haben, weniger als jedes Tier, das ist der schlimmste soziale Notstand, Und es sind Hunderttausende, die kein eigenes Heim haben. Wie eine vergiftete Wolke brütet die Wohnungsnot über der Stadt.

Im Wiener städtischen Wohnungsamt sinnt man mit Recht auf kräftige Abhilfe, die Lösung der größten Aufgabe der heutigen Kommunaloolitik. Di? Wohnungsbeschaffung der öffentlichen Hand, selbst die bloße Wohnungsvermittlung hat mit schweren Hinternissen zu ringen. Unverkennbar ist es dem amtlichen Apparat schwerer gefallen„ den Wiederaufbau-zef-störter Privatwohnungen außerhalb des eigenen Gemeindebesitzes in Gang zu bringen, als der Privatwirtschaft. Wenn etwas Hoffnung einflößen karm, so ist es die erfreuliche Tatsache, daß in den letzten Monaten die Wiederherstellung kriegszerstörter Wohnungen innerhalb des Wiener privaten Hausbesitzes gut in Fluß gekommen ist.

In vielen Fällen haben sich Hauseigentümer und Mieter für den Wiederaufbau Zu Vereinbarungen zusammengefunden, in denen sie mit gemeinsamen Mitteln den Aufbau bestreiten, wenn der Hauseigentümer nicht allein imstande ist für lie Kosten aufzukommen. Gemeinsame Not — der eine bedurfte der Geldhilfe zum Wiederaufbau seines zerstörten Hauses und der andere einer Wohnung — schuf eine enge Solidarität der Interessen. Es fehlt freilich auch nicht an jenen Erscheinungen, die immer dort auftreten, -wo eine vielbegehrte Ware selten wird und die öffentliche Verwaltung es versäumt oder nicht imstande ist, rechtzeitig die Preisbildung IM regulieren. De längst überall geläufige Automatik ist auch hier eingetreten: Bauspekulation hat sich d* und dort schon der Mietzinsbildung für wiederhergestellte Wohnungen bemächtigt. Der Wohnungswerber zahlt in solchen Fällen einen Preis, der nicht selten den gesamten Baukostenaufwand ausmacht, erwirbt aber damit nicht das Wohnungseigentum, sondern nur das Anrecht auf Miete • für eine bestimmte Zeit, ohne daß eine gerechte Amortisation seines Baukapitals sichergestellt wäre.

Wäre rechtzeitig der dem Parlament vorgelegte Gesetzesantrag auf Schaffung des vererblichen freien Wohnungseigentums erledigt worden, so wäre dadurch schön eine Rechtsform geschaffen gewesen, die manchem Übel vorgebeugt hätte. Man würde nun erwarten, daß der Vorschlag des Wiener Magistrats in dieser Lage darauf abzielt, alle verfügbaren Energien in den Dienst der Wohnungsbeschaffung, also vor allem der naheliegendsten, des Wiederaufbaus der beschädigten und zerstörten Wohngelegenheiten, zu stellen. De öffentliche Hand hat nicht einmal in normalen Zeiten, da die Stadt Wien noch eine reiche Stadt war, trotz größter Anstrengungen mit dem Problem der Wiener Wohnungsnot fertig werden können; sie wird es um so weniger nun vermögen, da die zu bewältigende Aufgabe sich ins Riesenhafte vergrößert hat. Ohne die Ermutigung, Organisation und Förderung der Privatinitiative, ohne die Zusammenfassung der zusammengeschmolzenen Reserven privaten Besitzes ist das Unternehmen hoffnungslos. Überall meldet sich der Aufbauwille, er bewährt sich trotz aller Schwierigkeiten. Und in diesem dramatischen Moment, da sich viele Hände für den Wiederaufbau zu regen beginnen, tritt der Magistrat mit dem Vorschlag hervor, gesetzlich da Recht der Gemeinde zu verankern, auch solche Woh-nungen, die aus den privaten Mitteln des Hauseigentümers oder eines Mieters wieder aufgebaut werden, der Verfügung der Bauführer zu entziehen und dem Anforderungsrecht der Gemeinde zu unterwerfen. E s muß Klarheit darüber bestehen, daß mit einer solchen Bestimmung die Privatinitiative für den Wiederaufbau erschlagen wird. So manche Wohnungsuchende haben jetzt ihre Ersparnisse zusammengerafft, sich um Kredite beworben, um sich durdi die Beteiligung an einem Wohnungsneubau eine Wohnung zu sichern; jeder ihrer Erfolge bedeutet ein Entlastung des Wohnungsmarktes. Alle diese Kräfte für den Wiederaufbau werden nach dem Vorschlag des Wiener Magistrats ausgeschaltet.

Als Begründung wird angeführt, daß die Wohnungswerber gegen Ausbeutung geschützt werden müssen — als ob dies dadurch geschehen müßte, daß man sie hindert, eine Wohnung zu erhalten! — und daß es nicht angehe, finanziell besser gestellten Menschen Wohnungen zu geben.

Man ist sprachlos. Bisher mußte man glauben, daß wir eine Gemeindeverwaltung haben, die nach sozialistischen Prinzipien regiert, und wo es sich um Leistungen für den Wiederaufbau handelt, diese vor allem von denen verlangt, die wirtschaftlich dazu fähig sind. Daß sie also sagen würde: „Ihr Wohnungsuchende, die ihr noch etwas in euren Sparbüchern habt, ihr, die ihr euch noch irgendwie aus euren eigenen Mitteln zu einer Wohnung verhelfen könnt — ihr .finanziell Bessergestellten', sorgt für euch selber, wenn ihr eine Wohnung haben wollt — ich, die Gemeinde Wien, muß in erster Linie für die armen kleinen Leute sorgen, die nicht zur Selbsthilfe greifen können und für die ich die öffentlichen Mittel aufbieten werde!“

Aber welche Überraschung! Im Wiener Wohnungsamt will man das Gegenteil: Den „finanziell Bessergestellten“, die auf der Wohnungssuche sind, soll es verboten sein mit ihren eigenen Mitteln sich eine Wohnung zu bauen und so dazu beizutragen, daß der Wohnungsmarkt zugunsten der Minderbemittelten erleichtert werde; das Wohnungsamt lsgt vielmehr Wert darauf, daß es von möglichst viel WohnungSUchenden, „finanziell Bessergestellten“ und finan-zielil Schlechtergestellten belagert werde und schließlich das Wohnbaureferat der Gemeinde Wien auf der finstern See eines hoffnungslosen Wohnungselendes einsam als Fliegender Holländer dahintreibt, ohne je seinen Hafen zu finden. Sozialistichse Wiederaufbaupolitik?

Dem städtischen Finanzminister der Ära Seitz, Stadtrat Breitner, , ist es erspart geblieben, über das Unbegreifliche die Hände zu ringen.

Man ist versucht anzunehmen, _der Gesetzentwurf des Wiener Magistrats sei aus einer Panikstimmung geboren worden. Mit einer seiner Bestimmungen sucht er dem Mißstand zu begegnen, daß Inhaber unterbelegter Wohnungen die unbenutzten Räume nicht freigeben. Der Behörde stand bisher schon gegen solche Behinderungen eines gerechten Wohnausgleichs das Einweisungsrecht zur Verfügung. Wenn unzweifelhafte Mängel der Organisation bisher von diesem behördlichen Recht nicht genügend Gebrauch machen ließen, so würde es naheliegend sein, diese Mängel des bürokratischen Apparats und damit die tatsächlich vorhandenen nicht seltenen Ungerechtigkeiten zu beheben. Indessen beansprucht die Behörde, die mit der ihr eingeräumten, sehr weitgehenden Befugnis nicht das Auslangen fand, eine weitergehende Ermächtigung, das Recht zu der zwangsweisen Aussiedlung der Mieter unterbelegter Wohnungen und ihrer Verbringung in andere der Behörde passend erscheinende Wohnungen. Nunmehr soll also der Verwaltungsbehörde gestattet sein, gültig geschlossene Verträge von Privatpar-teien.aufzuheben. Das ist Einbruch breiter Front in eine Rechtssphäre, die bisher noch gesichert schien.

Der Mieter konnte in seinem Mietrecht durch die Einweisung von Mitbewohnern beschränkt, aber er konnte nicht aus feinem Mietrecht vertrieben werden. Des kann kaum ohne schwere Erschütterung des Rechtsbewußtseins und der Rechtssicherheit geschehen. Der geforderte Entscheid ist von großer grundsätzlicher Tragweite. Wollen wir Rechtsbewußtsein und Rechtssicherheit erhalten oder sind wir auch schon der Infektion jener Umsiedlungskrankheit verfallen, die jenseits unserer Grenzen Millionen aus dem rechtmäßigen Besitz ihrer Heimstätten vertreiben und Unrecht über Unrecht wuchern ließ?

Vor welche fast übermenschliche Probleme -sich kommunale Wohnungspolitik kriegsversehrter Städte gestellt sieht, ermißt jeder Gerechtdenkende. Außerordentliche M; .ßregeln sind berechtigt. Sie werden um so besser sein, je weniger sie mechanische Gewaltanwendung bedeuten und je mehr sie imstande sind, die von einem wachen sozialen Gewissen inspirierte verständnisvolle Mitarbeit der Bevölkerung zu erreichen. Von den vorgeschlagenen Maßregeln des Magistrats ist nur zu sagen, daß sie prinzipienlos sind, schwerlich einer sozialistischen, aber gewiß nicht den allgemeinen Grundsätzen städtischer Wohnbaupolitik entsprechen, und zu Unheil führen würden, gäbe es für sie keine rechtzeitige Korrektur.

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