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Wohnungseigentum ak Kulturfaktor

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Die kürzlich erfolgte Übergabe der 500. mit Förderung des Vereins der Freunde des Wohnungseigentums“ gebauten Eigentumswohnung in Wien ist sicherlich ein neuerlicher Anlaß, auf das Wachsen dieser in Österreich neuen Art der Wohnraumbeschaffung zu verweisen. Bisher verstand man unter „sozialem Wohnbau“ in der Hauptsache die Bautätigkeit der Gebietskörperschaften, wie zum Beispiel die der Gemeinde Wien. Diese ist begrüßenswert, weil sie mithilft, die Wohnungsnot zu lindern und einen beachtlichen Prozentsatz von Wohnungssuchenden Jahr für Jahr aufzu- saugen. Die diesem „sozialen Bauen“ zugrunde liegenden Bestrebungen zielen auf eine laufende Vermehrung des Vermögens anonymer Körperschaften und auf Übereignung immer größerer Teile des wertbesitzenden und wertbeständigen Volksvermögens an den Bund oder an die Gemeinden mit der automatischen Folgeerscheinung einer parallelen Abnahme des privaten und persönlichen Besitzes. Im Sinne christlicher Soziologie aber ist eine wirkliche Befriedung und echte soziale Ordnung nur dann zu erzielen, wenn nicht vielen weniges und wenigen alles gehört. Ein praktisches Beispiel hiefür sind die Grundsätze des Wohnungseigentums. Wir wollen damit allmählich von dem bisherigen „Mietensystem“ abkommen und es erreichen, daß die Wohnung wie die Kleidung, die Wohnungseinrichtung und die Gegenstände des täglichen Gebrauches zum Eigentum ihres Benützers gezählt werden.

Dieses Ziel hat unsere Forderung nach Ausdehnung des Wohnungseigentums auch auf bereits bestehende Wohnhausanlagen der Gebietskörperschaften. Wir sind uns allerdings klar darüber, daß wir unsere Grundsätze zunächst nur bei Wiederaufbauten durchsetzen können und dort auf umständlichen Instanzenwegen und gegen oft massive Widerstände die tief innerlich verwurzelte Sehnsucht der Menschen nach persönlichem Besitz schrittweise verwirklichen können. Wir wissen aber sicher, daß das Verlangen nach Ausdehnung des Wohnungseigentums auf bestehende Bauten eines Tages in Erfüllung gehen wird, und zwar deshalb, weil es die gerechtere und die menschlichere Lösung nicht allein der Wohnraumfrage, sondern der sozialen Frage überhaupt darstellt. Nichts anderes als der persönliche Besitz, der an das Schicksal der Gemeinschaft besser kettet als jedes politische Programm, wird die Menschen in Wahrheit entproletarisieren.

Ferner bedeutet es einen Unterschied, ob etwas „gemietet“, also „ausgeliehen“ wird, um es einmal zurückzustellen, oder ob es sich um einen erworbenen persönlichen Besitz auf Lebensdauer handelt.

Das gilt beim Anzug genau so wie bei der Wohnung. Nur wenige werden — wenn ich dieses Beispiel weiterspinnen darf — einen geborgten Anzug genau so pfleglich behandeln wie einen eigenen, den sie sich nach langem Sparen erworben haben. Dasselbe trifft auf die Woh nung zu. Die Mietwohnung ist trotz Mieter- und Kündigungsschutz doch nur ein geborgter Gegenstand ! Die Eigentumswohnung dagegen ist der persönliche Besitz. Folgerungen aus solchen Überlegungen drängen sich dabei fast von selbst auf: Die Pflege der Wohnkultur wird bei fortschreitender Verwirklichung des Eigentunisbegriffs eine immer sorgfältigere werden, weil jede in der Wohnung durchgeführte Investition zur Wertevermehrung und Vergrößerung des eigenen Besitzes, aber auch zur Verschönerung des persönlichen Eigentums führt. Man braucht nur die Geschichte der Menschheitsentwicklung flüchtig durchzusehen, und man wird finden, daß die Entwicklung der Kultur bei den Völkern wohl von stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen, nicht zuletzt aber auch von der Pflege der Geselligkeit abhing. Dieses „Gesellschaftsleben“, zum Beispiel des Mittelstandes vor dem ersten Weltkrieg, vollzog sich aber zu einem Gutteil in den gepflegten „bürgerlichen Wohnungen“. Auf diese Weise hatte das, was man unter dem Sammelnamen Kultur versteht, wie zum Beispiel Hausmusik, Dichterlesungen, Diskussionsrunden usw., eine eigene Heimstatt: die Wohnung. Wenn wir eine Renaissance dieser Blütezeit unserer kulturellen Entwicklung wieder erleben wollen, wird dies hauptsächlich von unserer Einstellung zur Wohnkultur ab- hängen. Denn Wohnkultur wird dort am besten gepflegt werden, wo sie nicht nur dem kulturellen Bedürfnis, sondern auch dem Empfinden der Verpflichtung dem persönlichen Eigentum gegenüber entspringt.

Das sind — wie wir glauben — sehr entscheidende Gründe für das Wohnungseigentum, das in der heutigen Notzeit in erster Linie als wohnraumschaf- fende Möglichkeit eine überwiegend wirtschaftliche Bedeutung hat. Es besteht gar kein Zweifel, daß wir Gegenwartsmenschen, wenn wir an Wohn- raumfragen denken, diese mit dem Rechenstift in der Hand zu lösen versuchen und einen Erfolg dann sehen, wenn die Schlußziffer der neugebauten Wohnungen möglichst hoch ist. Das ist die Gegenwartsaufgabe und muß als solche gelöst werden. Wir müssen aber daran denken, daß der akute Wohnraum- mangel einmal ein Ende haben wird. Der Wohnhauswiederaufbaufonds zum Beispiel, aus dessen Mitteln der Wiederaufbau des kriegszerstörten Wohnraumes finanziert wird, hat Darlehensgesuche für noch rund 2,2 Milliarden Schilling zu genehmigen. Mit weiteren Gesuchen in der Gesamthöhe von wieder rund zwei Milliarden müssen wir rechnen. Wenn man nun bedenkt, daß unter diesem Titel 500 Millionen jährlich verbaut werden, wird es knapp viereinhalb Jahre dauern, bis der Wohnhauswiederaufbaufonds seine derzeitige Funktion erfüllt haben wird. Das soll nun nicht heißen, daß es dann keine Wohnungsnot mehr.

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