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Bauland in Hulle und Fulle!

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Schon in den ersten Nachkriegsjahren ertönte der Ruf nach einem Baulandbeschaffungsgesetz — gemeint ist ein Enteignungsgesetz zur Erwerbung von Bauland —, und seit einiger Zeit wird für diesen Gedanken besonders auch durch einen Radiovortrag des Bürgermeisters von Wien geworben. Wer aber als Ausflügler die Wienerwaldtäler, die Lobau und den Prater in Wien durchstreift, von Linz oder Innsbruck nach Westen fährt, die Umgebung von Graz, Klagenfurt, Salzburg oder das Vorarlberger Rheinland besucht, der ist entsetzt darüber, in wie unverantwortlicher Weise und auf welch gänzlich ungeeigneten Bauplätzen sich oft die Siedlung in das Grünland und in die Wälder hineinfrißt. Nur wenige dieser Siedler konnten aus ihrem Grund etwas Ordentliches machen, da mit dem guten Willen allein dies nicht erreichbar ist. Hauptaufgabe der öffentlichen Hand für die nächsten Jahrzehnte ist es nun, in erster Linie diese Siedlungsgebiete zu assanieren und vor allem nicht zuzulassen, daß weiteres Grünland für Bauzwecke herangezogen wird, zumal in diesen ungeordnet gewachsenen Siedlungen im Regelfall die Mehrzahl der Parzellen noch gar nicht bebaut ist, also Bauland genügend vorhanden ist.

Anderseits sind in unseren Städten und Märkten in großer Zahl aufgeschlossene Baustellen, insbesondere Baulücken, vorhanden, deren Verbauung auch aus Gründen eines schönen Stadtbildes notwendig ist und bei denen die sonst erst zu schaffenden kostspieligen Aufschließungen schon vorhanden sind. Straßen, Versorgungsleitungen für Strom, Gas, Wasser und Kanäle brauchen nicht erst errichtet zu werden und auch die Verkehrsmittel sind im Regelfall schon vorhanden. Aber auch aus einem anderen Grund scheint ein Baulandbeschaffungsgesetz nicht notwendig. Beim Wohnhauswiederaufbaufonds im Handelsministerium liegen derzeit unerledigte Gesuche mit einer angesprochenen Kreditsumme von 3,8 Milliarden Schilling. Für diesen Betrag werden mindestens 3 8.0 00 Wohnungen errichtet werden können, für die aufgeschlossenes Bauland schon vorhanden ist. Beim Bundeswohn- und Siedlungsfonds im Bundesministerium für soziale Verwaltung liegen ebenfalls unerledigte Kreditansuchen für 1 Milliarde Schilling. Da der Bundeswohn- und Siedlungsfonds nur etwa die Hälfte der Baukosten kreditiert und die andere Hälfte aus Hypotheken und Eigenmitteln aufgebracht werden muß, wird man für diese Milliarde Schilling etwa 2 0.0 00 Wohnungen bauen können. Auch für diese Projekte ist das Bauland bereits vorhanden. Für beide Fonds sind weitere Einreichungen über beträchtliche Summen noch zu erwarten. Die Wohnbauförderung nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1954, fie erst mit 1. Jänner 1955 angelaufen ist, verzeichnet in allen Bundesländern bereits so viele Bewilligungsanträge, daß die Mittel des heurigen Jahres, die für den Bau von etwa 7000 bis 8000 Wohnungen im Jahre 1955 allein reichen werden, schon jetzt aufgebraucht sind. Auch für die Projekte nach dem Wohnbauförderungsgcsetz 1954 ist das Bauland vorhanden. Schließlich ist noch zu bedenken, daß auch die öffentlichen Körperschaften in beachtlichem Umfang Wohnbauten errichten. Die Gemeinde Wien, die Eisenbahn-und Postverwaltung usw. verfügen noch über Bauland für Jahre hinaus. Für den Bau von Wohnungen steht soviel Geld zur Verfügung, daß die Bauwirtschaft für heuer und die nächsten Jahre restlos ausgenützt werden wird. E i n neues Enteignungsgesetz für Bauland ist also keineswegs aktuell, da Bauland, für das konkrete Finanzierungsanträge vorliegen, auf mindestens acht bis zehn Jahre hinaus vorhanden ist. Nach Ablauf dieses Zeitraumes wird jedoch die Wohnungsnot so ziemlich behoben sein. Richtig ist, daß die Preise für geeignetes Bauland sich vorübergehend auf Grund der großen Nachfrage nach Bauland teilweise beträchtlich erhöht haben. Doch ist ebenso sicher, daß die P;eise in ein bis zwei Jahren wieder auf das normale Ausmaß zurückgehen werden.

Es gibt viele Fälle, in denen eine Enteignung von Bauland bejaht werden kann, freilich bei strenger Einhaltung des Artikels 5 des Staatsgrundgesetzes 186 7, der nach dem Bundesverfassungsgesetz 1925 als Verfassungsgesetz zu gelten hat und ausdrücklich sagt, daß das Eigentum unverletzlich sei. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers könne nur in den Fällen und in der Art eintreten, die das Gesetz bestimme. Unser altes bewährtes Bürgerliches Gesetzbuch spricht hierzu im 365 aus: „Wenn es das allgemeine Beste erheischt, muß ein Mitglied des Staates gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigentum einer Sache abtreten.“ Als Fälle, in denen eine Enteignung denkbar ist, muß man an Gemeinden denken, aus denen mangels Kriegsschäden weder unerledigte Bewilligungsanträge für den Wohnhauswiederaufbaufonds, noch mangels vorhandenen Baulandes unerledigte Anträge beim Bundeswohn- und Siedlungsfonds vorliegen und in denen Wohnungsnot besteht. Weiter muß man an jene Fälle denken, wo längst abbruchreife Gebäude etwa in verkehrsbehindernder Weise mitten in der Baulinie stehen, die Assanierung ungesunder Wohnviertel unaufschiebbar ist und dergleichen mehr. Man denke etwa an die Leopoldstraße in Innsbruck, die Ausfallstraße gegen den Brenner, zwei Häuser an der Straßenkreuzung Nußdorfer Straße und Währinger Straße in Wien, bestimmte Gebäude im Stadtinnern von Salzburg, die historisch nicht wertvoll sind und dergleichen mehr. Fast jeder kennt in seinem Wohnort dergleichen Baulichkeiten. Für solche Fälle sind jedoch gesetzliche Bestimmungen schon vorhanden. Das Bundes-gesetz vom 14. Juni 1929, Bundesgesetzblatt Nr. 202, läßt in Orten, in denen Wohnungsnot besteht oder die Assanierung ungesunder Wohnviertel es erheischt, Enteignungen zu. Nach diesem Gesetz können auch Ergänzungsstücke und Baulücken enteignet werden. Eine Novellierung dieses Gesetzes in der Richtung, daß die darin angeführten zu langen Fristen verkürzt werden und eine Enteignung nicht nur zugunsten der Gebietskörperschaften, sondern zugunsten von jedermann möglich ist, würde vollkommen ausreichen. Die Anwendung des Gesetzes in seiner gegenwärtigen Form, wonach Enteignung nur zugunsten von Gebietskörperschaften erfolgen kann, ist nicht am Platz, weil dadurch nur eine weitere Kollektivierung des Wohnbaues gefördert würde. Auch die österreichischen Bauordnungen lassen Enteignungen, und zwar aus städtebaulichen Gründen, zu. Enteignungen nach den Bauordnungen und nach dem Assanierungsgesetz können sich gelegentlich etwas überschneiden. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und -Vollziehung in Angelegenheiten der Enteignung von Grundstücken zur Errichtung von Klein- und Mittelwohnungen sowie von städtischen Siedlungen im Jahre 1951 wie folgt entschieden: Die Enteignung von Grundstücken zur Errichtung von Klein- und Mittelwohnungen sowie von städtischen Siedlungen ist nach Artikel 11, Absatz 1, Ziffer 3 des Bundesverfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 (Volkswohnungswesen) Bundessache in Gesetzgebung und Landessache in Vollziehung.

Die Handhabung der Enteignungsvorschriften nach den Bauordnungen, wie sie insbesondere in Wien versucht wird, ist nicht befriedigend und verletzt das Prinzip der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Es ist ungerechtfertigt, den Eigentümer einer Baulücke zur Errichtung eines Baues auf seinem Grundstück binnen einer bestimmten Zeit zu verpflichten und für den Fall, als er dieses Baugebot nicht ausführt, ihn dann zu enteignen. Man muß doch bedenken, daß der Bauherr in einem derartigen Fall nirgends Kredite für die Bauführung erhält. Man kann ihm also ein Baugebot nur dann mit Recht auftragen, wenn man ihm die gleichen Möglichkeiten zum Bau in kreditmäßiger und sonstiger Hinsicht bietet, wie sie jeder andere Bürger hat. Ein Baugebot wäre also z. B. nur dann gerechtfertigt, wenn man dem Eigentümer etwa gleichzeitig die Möglichkeiten nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1954 bietet. In einem solchen Falle könnten Wohnungen im Wohnungseigentum erstehen, der Bauherr hätte also die Möglichkeit, selbst eine Wohnung im Wohnungseigentum zu erwerben und die Liegenschaft im übrigen an weitere Wohnungseigentümer zu veräußern. Auf diese Weise könnten sowohl Wünsche der Assanierung und des Städtebaues befriedigt als auch neues persönliches Eigentum geschaffen werden. Nicht in allen Fällen müssen aber Häuser, die dem Verkehr im Wege stehen, abgerissen weiden. Wirtschaftliche Gründe sowie Gründe des Denkmalschutzes sprechen oft dafür, solche Häuser zu erhalten. In solchen Fällen kann durch Schaffung von Durchfahrten und von Arkaden für Fußgänger geholfen werden. Man denke etwa an den engen Teil der Schottengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk, wo die Gehsteige entfernt und statt dessen Durchgänge für Fußgänger durch den Schotten- und den Mel'kerhof angelegt werden können. Der im Schottenhof bereits vorhandene Durchgang sollte — natürlich aus öffentlichen Mitteln — modernisiert werden. Für den dauernden Verlust an Wohn- oder Betriebsfläche durch die Anlegung von Arkaden wären die Grundeigentümer mit einem Abfindungsbetrag zu entschädigen. Für Fälle der letzteren Art könnte durch Aufnahme von Enteignungsvorschriften in die Bauordnungen vorgesorgt werden, da das Assanierungsgesetz 1929 für solche Enteignungen nicht herangezogen werden kann.

Soweit ist die Erlassung eines eigenen Baulandbeschaffungsgesetzes überflüssig, vielmehr würde die Novellierung vorhandener Gesetze, nämlich des Assanicrungsgesetzes und der Bauordnungen, für lange Jahre ausreichen. Wenn auf eine solche Art das Bauen vornehmlich auf aufgeschlossene Grundstücke und auf die Assanierung ganzer Stadtteile, etwa von Teilen der Leopoldstadt in Wien, gelenkt wird, so wird Bauland für Jahrzehnte reichlich zur Verfügung stehen und dadurch auch das Grünland um unsere Städte und Märkte heute vor weiteren unkontrollierten Inanspruchnahmen geschützt werden können. Freilich wird in letzterer Hinsicht auch eine feste Haltung der Baubehörden notwendig sein, die immer dann sicher zustande kommen wird, wenn die politischen Parteien in dieser für unsere Heimat so eminent wichtigen Frage eine Art Burgfrieden miteinander schließen und bei Versagung von Baubewilligungen von vornherein sich auf eine gemeinsame Linie einigen.

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