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Macht endlich Platz für die Menschen!

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Rund um Wien gibt es -dank der Kommunalpolitik früherer Zeiten - viel Grün. Aber manche Bezirke sind nur Steinwüsten. Stadterneuerung müßte hier Abhilfe schaffen.

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Rund um Wien gibt es -dank der Kommunalpolitik früherer Zeiten - viel Grün. Aber manche Bezirke sind nur Steinwüsten. Stadterneuerung müßte hier Abhilfe schaffen.

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Täglich begegnet der Großstädter Hunderten, ja Tausenden Menschen. Bei der Vielzahl unverbindlicher Kontakte bleibt die Sehnsucht nach persönlichem Umgang, nach Geborgenheit in einer kleinen Gruppe. Man will ab und zu Leute treffen, die man kennt, man will in einem Stadtviertel „daheim” sein. Die Jungen sind da oft noch konservativer als die Alten: Immer stehen sie an derselben Straßenecke, immer wieder zieht es sie in die gleichen Lokale.

Aber es ist schwer, sich wo glücklich daheim zu fühlen, denn mit vielen Wiener Wohnungen — oft teuer gekauft — ist man unzufrieden: Es fehlt ein Raum für

Hobbies, das Haus ist eng, man hat keinen Auslauf, weit und breit kein Baum, keine Wiese, kein Sportplatz.

Die Kinder haben Fahrräder und dürfen nicht fahren oder werden von Autos niedergefahren; sie haben ein kleines Schiff gekriegt, aber es gibt kein Wasser zum Ausprobieren; sie wollen Drachen steigen lassen und Flugmodelle in die Luft schicken, doch meistens ist kein Platz dafür. Nicht einmal Spazierengehen lohnt sich, denn man bleibt immer zwischen den Häusern. Ein Schrebergarten war' schön! Und weit und breit duftet kein Jasmin.

Warum flüchten am Wochenende so viele Wiener aus der Stadt? Warum wird alle Energie eingesetzt für ein Wochenendhaus auf dem Land? Irgendwo will man Platz haben, will Luft und Wald und Wasser spüren, will Auslauf und Weite! In den Wiener Wohnbezirken geht das nicht. Freie Grundstücke müssen verbaut werden. Angeblich ist der Grund zu teuer und Wien fehlt der Raum.

Schauen wir uns das Stadtgebiet an, ob das wahr ist? Die Fläche von Wien umfaßt 414 Quadratkilometer für eineinhalb Millionen Menschen. Theoretisch kommen da nur 36 Einwohner auf den Hektar, also viel Raum. Eine angenehme Siedlungsdichte vom Typ „Gartenstadt” hat etwa 150 bis 200 Bewohner pro Hektar; dabei entfallen auf eine Person 50 Quadratmeter, der Großteil davon Grünfläche.

In Wien gibt es aber zahlreiche Bezirke (IV., VIII., XII., XV., XVI.), wo auf den Einwohner nur ein Quadratmeter öffentliche Grünfläche kommt oder sogar weniger. Da ist etwas schief.

Selbstverständlich braucht man auch Flächen für Straßen, Bahnhöfe, Fabriken und öffentliche Einrichtungen. Nicht überall kann Grünland sein. Aber es wäre Platz genug dafür. Das Bauland ist nur falsch verteilt. Es mangelt an der kleinräumigen Durchgrü-nung. Das ist oft genug kritisiert worden.

50 Quadratmeter Freiraum für jeden Einwohner

Wir wollen es nochmals wiederholen: Jeder Einwohner braucht außer seiner Wohnung etwa 50 Quadratmeter Grünland, für Spiel- und Sportplätze, Bäder und Parks, Schrebergärten und natürlichen Freiraum. Dieses Grünland braucht er in der Nähe der Wohnung, im Grätzel, im Viertel, im Bezirk!

Was nützt den Rudolfsheimer Kindern die Donauinsel, wenn sie nur zwei Stunden Freizeit am Tag haben? Was nützt Josefstädter Pensionisten der Laaerwald, wenn sie am Stock gehen müssen?

Warum werden Abbruchplätze von Althäusern nicht begrünt? Warum sind auch die Stadtrandsiedlungen so hoch und dicht? Kann man Altstadterneuerung durchführen, ohne neues Grün zu schaffen und ohne die Dichte zu mildern?

Freilich würde das ein wenig Geld kosten. Freilich müßten Parzellen mit Verstand „kom-massiert” werden. Freilich würden dabei Wahlsprengel Wähler verlieren. Aber durchführbar ist das. Hier wäre eine Aufgabe für die Gemeinde Wien, ihre zahlreichen Grundstücke umzuverteilen, sinnvoll und für alle nützlich.

Das Stadterneuerungsgesetz ist noch niemals angewendet worden. Da könnt' man sich die Finger verbrennen. Man macht lieber unverbindliche Ausstellungen für tote Wiener - für den weltbekannten Architekten Richard Neutra zum Beispiel. Dort konnte man sehen, wie eine Arbeitersiedlung aussehen soll: Channel Heights Housing in Los Angeles, 1942 erbaut.

In Wien durfte Neutra nur ein einziges Einfamilienhaus bauen. Für solche Leute ist kein Platz hier. Macht Platz für Menschen!

Aus: Nachrichten der Aktion „Besseres Wien”. Der Autor ist Universitätsprofessor für Soziologie.

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