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Der Erholungssilo

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Als ein weiteres Monument verfehlter Stadtplanung kritisiert die angesehene Architektengruppe M genau das, worauf Wiens Stadtplaner augenblicklich am stolzesten sind — die WIG 74. Denn die Internationale Gartenbauausstellung ist zwar nach ihrer Eröffnung überlaufen, wie es ja auch die WIG 64 war — aber dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr weiteres Schicksal in einer gewissen Verödung bestehen dürfte (wie es schließlich der WIG 64 beschieden war).

Städte, in deren Umgebung es keine oder nur wenige attraktive Naherholungsgebiete gibt, würden Wien um seine beiden WIG-Gelände sicher sehr beneiden, und mit Recht. Gerade Wien hat aber in seiner nächsten Umgebung eine Fülle attraktiver Erholungsmöglichkeiten; hingegen wird gerade jenem Mangel, der in Wien tatsächlich drückend ist, weder durch den Donaupark noch durch das neue WIG-Gelände abgeholfen. Was Wien wirklich fehlt, sind nämlich die großen, zentralen Erholungsf lochen im Stadtinneren, wie sie etwa Berlin im Tiergarten, London im Hyde Park, New York im Central Park hat.

Die Schichte von Stadtbewohnern, welche den Donaupark und nun das neue Gelände auf dem Laaerberg erreichen können, ohne entweder ihr eigenes Kraftfahrzeug oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen, ist verschwindend klein. Auch die überwiegende Mehrzahl der „Anrainer“, wobei es sich im Falle Laaerberg um die Bewohner des zehnten, im Fall Donaupark die des zweäundzwanzigsten Bezirkes handelt, kann die beiden WIG-Gelände nicht zu Fuß erreichen. Und das heißt: die Mütter können ihre Kinder nicht dorthin spielen sehik-ken, die Frauen nicht schnell dorthin gehen, solange — während der Woche — die Männer mit den Autos unterwegs sind Das ist ja auch der wie sich nachher herausstellte — nur für sonntägliche Spaziergänger geschaffen wurde, während der Woche aber verödet daliegt.

Am Sonntag aber hat Wien jenen, die ohnehin ins Auto steigen müssen, um ins Grüne zu kommen, eine solche Auswahl von Erholungsmöglichkeiten zu bieten, daß die Investition von einer halben Müliarde Schilling zur Errichtung eines weiteren Gartengeländes unnötig war. Denn wer mit dem Auto zum Laaerberg fährt, kann ebensogut gleich nach Laxenburg fahren, und die dorthin führenden öffentlichen Verkehrsmittel könnte man ja weiter ausbauen, wenn es wirklich darum ginge, den Favoritnern etwas zuliebe zu tun.

Freilich, derlei hätte den Prestigebedürfnissen der Staditväter nicht genügt und sich auch wenig dazu geeignet, den lieben Favoritnern in Wählerversammlungen klarzumachen, wie sehr sie der SPÖ ans Herz gewachsen sind. Und darum ging es hier ja wohl. (Im Fall der Stadlauer und Neu-Kagraner müßte man an Stelle von Laxenburg die Lobau oder die Alte Donau einsetzen.)

Dazu kommt, daß die neuen Anlagen nicht besonders kinderfreundlich sind — ein Dorado für Pensionisten und gesittet auf den gekiesten Wegerln zwischen den säuberlich beschrifteten Blumenanpflanzungen dahinwandelnde gesetzte Ehepaare, hat der Donaupark Kindern eigentlich nur den großen Spielplatz zu bieten, der von der Zentralsparkasse gestiftet wurde und von dem sich herausgestellt hat, daß er das eigentliche Plus des Donauparks ist.

Vor allem aber sollten Beträge, die für die Schaffung neuer Erholungs-flächen für die Wiener aufgewendet werden, im Stadtinneren investiert werden, in den Steinwüsten ohne Parks, ohne Erholungs- und vor allem Spielmöglichkeiten für Kinder. Dies wäre die einzige Möglichkeit, die von allen internationalen Größen auf dem Gebiet der Stadtplanung so sehr abgelehnte, immer weiter fortschreitende Trennung der Lebensbereiche abzuwehren. 1

Wien braucht mehr Parks — kleinere Parks, Parks dort, wo es noch keine oder viel zu wenige gibt. Dem von der Stadtverwaltung immer wieder stolz zitierten Verhältnis, wonach auf jeden Wiener 80 Quadratmeter Gärten und Wald entfallen, stellen die Mitglieder der Gruppe M die Realität gegenüber, daß innerhalb des dichtverbauten Gebietes in manchen Bezirken nur ein Siebentel bis ein Fünftel des von den Städtebauern für notwendig gehaltenen Minimums von fünf Quadratmetern pro Einwohner an Grünflächen zur Verfügung stehen.

So lautet denn das antiquierte, lebensfeindliche Entwicklungskonzept Wiens auf dem Gebiet der Erholungsplanung : Massenerholungssilos in die Breite; 74 Kinderspielplätze auf dem Laaerberg — statt über die ganze Stadt verstreut; 5000 neue Parkplätze — so groß wie Heldenplatz, Volksgarten und Burggarten zusammen. Und: Weitere Verpestung der Luft durch die Autos jener, die zuerst fahren müssen, um dann Spazierengehen zu können.

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