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Ohne Stadterneuerung droht Slumbildung

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So unglaublich es klingen mag, Wien gehört noch immerzu den bestfunktionierenden, weil bestgeplanten Millionenstädten der Welt. Es zehrt allerdings diesbezüglich weitgehend von den Leistungen der Monarchie und Zwischenkriegszeit. Der derzeit drohende Verfall weiter Bereiche erfordert dringend Maßnahmen der Erneuerung.

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So unglaublich es klingen mag, Wien gehört noch immerzu den bestfunktionierenden, weil bestgeplanten Millionenstädten der Welt. Es zehrt allerdings diesbezüglich weitgehend von den Leistungen der Monarchie und Zwischenkriegszeit. Der derzeit drohende Verfall weiter Bereiche erfordert dringend Maßnahmen der Erneuerung.

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In der derzeitigen Phase der Stadtentwicklung bekommen wir als neues Problem die Stadterneuerung aufgetischt, und ich bin nicht sicher, ob wir es bewältigen werden, weil es nicht mit dem Aufstiegswillen mächtiger Gesellschaftsklassen gekoppelt ist, wie das früher beim Bürgertum bzw. Proletariat der Fall war.

Andersherum gesagt: Es ist schwer zu glauben, daß die gleichen Organisationsstrukturen, die bewirkten, daß die Stadt alterte, plötzlich bei der Erneuerung Erfolg haben sollten.

Wieso altert die Stadt überhaupt?

Alte Häuser, die ersetzt werden mußten, hat es immer gegeben. Jetzt haben wir aber plötzlich sehr viele davon. Das rührt daher, daß vor rund 100 Jahren sehr viel gebaut wurde, was nun auf einmal desolat wird.

Die Jüngeren, Aktiveren zieht es an den Stadtrand, und die Finanzschwäche der Zurückbleibenden trägt zusätzlich zum Verfall bei. Und die Altbausubstanz wird weiter verfallen.

Bei sinkender Bevölkerungszahl und steigendem Wohnungsbestand ist jede Entscheidung einer Wohnungssuchenden Familie, aus einem Altbaugebiet in eine Neubauwohnung am Stadtrand zu ziehen, als Kapitalsabzug aus dem Altbaugebiet aufzufassen.

Die Neubautätigkeit am Stadtrand steht also in direktem Gegensatz zur Stadterneuerung. (Das geht an die Adresse der Politiker, die konstant das Gegenteil behaupten, um es sich mit niemandem zu verscherzen.)

Wer 1960 am Gürtel wohnte, war arm. Wer 1980 noch immer am Gürtel wohnt, ist noch viel ärmer. Die Häuser sind schon viel desolater. Die Umweltstörung ist noch ärger geworden. Und die Betroffenen werden durch Abwanderung der Aktivsten laufend der Leute beraubt, die ihre Interessen vertreten könnten.

Der Grundgedanke einer neuen Wohnbauförderung wäre die Selbstgestaltungskräfte derjenigen zu wecken und zu unterstützen, die unter den miesen Wohnverhältnissen am meisten zu leiden haben, also das, was die Schrebergärtner, Pfuscher und Künstler zum Häuselbauen treibt, in Wien für den Wohnbau und die Stadterneuerung nutzbar zu machen.

Beispiel: Die Gemeinde könnte in allen Fällen, in denen die Bewohner selbst etwas zur Verbesserung ihrer Wohnungen und Häuser unternehmen, sämtliche Materialien gratis beistellen.

Das kommt sie und den Steuerzahler viel billiger, als auf dem Weg der üblichen Finanzierungsroutinen, bei denen allein die Bank an jedem Klodeckel rund 10 % verdient.

Man darf aber bei diesen Einzelmaßnahmen auch nicht stehenbleiben, sondern muß die Stoßrichtung der Stadterneuerung auf das Haus und den Block ausweiten, weil eben die Stadterneuerung in Wien im wesentlichen ein Problem der Häuser und Blöcke und nicht des WC-Einbaus ist.

In vielen Fällen sind schon die Zielvorstellungen sanierungsbedürftig. Stellt man sich einige Bebauungspläne für das dichtbebaute Gebiet bereits realisiert vor, kommt einem das Gruseln. Die städtebauliche Situation wäre nachher schlechter als zuvor. Das rührt daher, daß die rentable Bodenverwertung aus Prinzip jeweils zum Ersatz niedriger Häuser durch hohe Häuser drängt.

Dieses Prinzip muß durchbrochen werden. Damit bekommt auch die leidige Frage „Subjekt - Objektförderung” einen neuen Akzent. Der bevorzugte Ansatzpunkt Für die Förderung

,, Wenn es nicht gelingt, die Stadterneuerung. . . zum Volkssport der Unterschichten zu machen, haben wir gegen die . . . Verslummung nicht die geringste Chance.” aus Steuermitteln müßte die Haus- und Blockkooperative sein, die für ihren Bereich gemeinsame Verbesserungen durchsetzen will.

Wenn es nicht gelingt, hinter die Stadterneuerung soziale Kräfte als Motor zu stellen und die Sache zum Volkssport der Unterschichten zu machen, haben wir gegen die galoppierende Verslummung nicht die geringste Chance.

Die Leute betreiben einstweilen kompensatorisch einen anderen Sport, der viel mehr gefördert wird: Autofahren.

Der offizielle Slogan lautet: „Das Auto ist eine Realität, mit der wir leben müssen.”

200 Wiener sterben jährlich daran.

Man sollte lieber sagen: „Das Auto ist eine Realität, die wir verändern müssen.”

Bei weiter zunehmender Motorisierung verstopft sich die Stadt von innen nach außen mit immer mehr Autos. Auf Deutsch: So unsinnig, wie das Autofahren schon vor 10 Jahren im 1. Bezirk war, ist es heute bereits in weiten Teilen innerhalb des Gürtels und wird es morgen am Flötzersteig sein, gleichgültig ob er ausgebaut wird oder nicht.

Es ist die Schuld der Planer, solche watscheneinfachen Einsichten nicht rechtzeitig, deutlich und öffentlich ausgesprochen zu haben. Aus solchem Schweigen aus Rücksicht auf die Politiker und die eigene Auftragslage resultiert ein Hauptteil des unglaublichen Autoritätsverlustes, den sie in den letzten Jahren hinzunehmen hatten.

In Holland und Deutschland sind solche Verkehrsberuhigungsmaßnahmen schon weit gediehen.

Für Wien hat Heiner Fürst schon vor rund 10 Jahren ein Konzept entwik-kelt, nach dem ein Netz von sogenannten „Grünstraßen”, in denen Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben sollten, Parkanlagen, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen miteinander verbinden.

Ganz allgemein werden wir langsam und stetig Flächen für den Menschen zurückgewinnen müssen, die wir für das Auto geopfert haben. In 10 Jahren haben wir vielleicht ein Straßenverschmä-lerungsprogramm. Dann werden wir auch froh sein um die Engstellen im Straßensystem, weil sie uns auf natürliche Weise helfen, den Autoverkehr in der Stadt auf das für die einzelnen Stadtteile notwendige und erträgliche Maß zu drosseln. Siehe Schottengasse im I. Bezirk.

In den Städten Nagoya, Uppsala und Bologna wurden radikale Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Verbesserungen des öffentlichen Verkehrs durchgeführt, die zu einem Absinken der tödlichen Verkehrsunfälle zwischen 31 und 46 % geführt haben. Die nachträgliche Zustimmung der Bevölkerung zu diesen Maßnahmen betrug zwischen 63 und 75 %.

Was kann man als Planer zum Schluß noch ganz allgemein über die Zukunft unserer Stadt sagen?

Wien altert. Aber das heißt nicht, daß es eine sterbende Stadt ist. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, könnte man vielleicht sagen, das Haus, an dem jahrhundertelang gebaut wurde, ist jetzt fertig, und wir haben es nun zu möblieren. Dann heißt die neue Zielsetzung ganz einfach, das Leben in der Stadt erträglich und möglichst angenehm zu machen.

Das ist eine unerhörte Chance für kulturelles Wachstum.

Da könnte man sich in einem utopischen Ausflug sogar vorstellen, daß die Planer sich einigten, die Schönheit einer städtebaulichen Lösung an die vorderste Stelle zu reihen, weil damit über Generationen hinweg eine quasi morar lische Verpflichtung zur Bewahrung weitergegeben wird, wie es sich bei Schönbrunn, beim Belvedere und bei der Ringstraße erwiesen hat.

Wenn man die Stadt als jahrtausendealtes gesellschaftliches Kontinuum betrachtet, das man erhalten will, ist das sogar die „wirtschaftlichste” Lösung.

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