6858466-1977_25_24.jpg
Digital In Arbeit

Die Altstadt als Lebensraum wiedergewinnen

Werbung
Werbung
Werbung

Lange Zeit hindurch wurde - auch in Graz - Altstadterhaltung als ein rein denkmalpflegerisches Anliegen verstanden. Man bemühte sich um die Erhaltung der Dachlandschaft, ließ Fassaden nach einem genauen Färbelungsplan restaurieren, gestaltete besonders schöne Innenhöfe usw. Diese ersten kosmetischen Maßnahmen wurden von Kritikern oft belächelt und als „Leichenschminkerei” abgetan. Dennoch waren sie - rückblickend betrachtet - ein wichtiger erster Schritt, sie weckten das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an Fragen der Altstadterhaltung. Innerhalb weniger Jahre entstand ein politisches Klima, aus dem heraus im Herbst 1974 das Grazer Altstadterhaltungsgesetz vom Landtag verabschiedet wurde.

In der Präambel dieses Gesetzes heißt es: „Der Erhaltung der Altstadt von Graz in ihrem äußeren Erschei nungsbild, ihrer Baustruktur und Bausubstanz, sowie in ihrer vielfältigen organischen Funktion kommt ein vorrangiges öffentliches Interesse zu”. Einen entscheidenden Durchbruch brachte der Auftrag des Gesetzgebers, neben der - ohnedies außer Streit stehenden - Verpflichtung zur Wahrung des Erscheinungsbildes auch die Bausubstanz und die -Struktur, vor allem aber die „vielfältige organische Funktion” der Altstadt zu erhalten. Damit wurde erstmalig zum Ausdruck gebracht, daß die Altstadt mehr ist als nur eine Kulisse für den Fremdenverkehr.

Die Altstadt ist sicherlich auch kein Selbstzweck, ihre Erhaltung und Erneuerung kann immer nur im Zusammenhang mit gesamtstädtischen Entwicklungsaufgaben gesehen werden. Als vorrangige Aufgabenstellung betrachten wir das Verhindern einer weiteren Entvölkerung. In den letzten 25 Jahren haben über 5000 Menschen die Altstadt verlassen, die heute nur mehr knapp über 6000 Einwohner zählt. Im selben Zeitraum hat sich der Anteil der über 65jährigen nahezu verdoppelt.

Ein großer Teil der Häuser ist seit Jahrzehnten verwahrlost, bestenfalls äußerlich gepflegt. Hinter glänzenden Fassaden sieht es oft trostlos aus: So entspricht nur ein Drittel der insgesamt 3000 Wohnungen den heutigen Anforderungen, d. h., es sind zumindest WC und Dusche im Wohnungsverband vorhanden. Hier gilt es, verstärkt auch Mittel der Wohnbauförderung und des Wohnungsverbesserungsgesetzes einzusetzen. Gleichzeitig wird versucht, dem weiteren Ausbreiten der öffentlichen und privaten Verwaltung, Einhalt zu gebieten.

Im bisher völlig freien Kräftespiel setzte sich .meist jene Nutzungsart durch, die den höchsten Ertrag abwarf. So wurden neben den Wohnun gen auch Cafes, Gaststätten, kleine Geschäfte und Werkstätten verdrängt. Dieser Prozeß muß unbedingt gestoppt werden, damit einerseits die Altstadt auch außerhalb der Büro- und Geschäftszeiten belebt und anderseits die kleinteilige Vielfalt des Angebots erhalten bleibt. Wie überall, so gilt auch hier der Grundsatz, daß das an sich unbestrittene ökonomische Prinzip dann in die Schranken zu weisen ist, wenn es zum Selbstzweck wird und sich gegen den Menschen richtet.

Die Erhaltung und Wiederbelebung des historischen Stadtkernes wird nur durch konzertierte Maßnahmen in allen Problembereichen möglich sein. In diesem Zusammenhang spielt die Verkehrsplanung eine ganz wesentliche Rolle: Der nicht notwendige Kraftfahrzeugverkehr soll aus dem Zentrum verbannt werden, so insbesondere der Berufspendler mittelfristig wenigstens zu einem Teil auf das öffentliche Verkehrsmittel umgeschichtet werden.

Dem Fußgänger muß wieder mehr Beachtung geschenkt werden, so vor allem durch ein schrittweises Einfuhren neuer verkehrsarmer Zonen. Straßen und Plätze in der Innenstadt dürfen nicht nur Verkehrsflächen sein, sondern sollen wieder auch Ort menschlicher Begegnung werden. Der Wirtschafts-, Einkaufs- und Besuchsverkehr darf nicht beschnitten werden, weil sonst die Gefahr des Entstehens von Einkaufszentren auf der „grünen Wiese” gegeben ist. Der damit verbundene Abfluß von Kaufkraft würde den Stadtkern schwer treffen.

Der Ausbau eines Garagenringes runc um die Altstadt, sowie die Bereitstellung eines größeren Angebots ar Kurzparkplätzen (durch Parkraumbewirtschaftung) soll die Attraktivitäl des Zentrums auch für den Einkäufe! und Besucher erhöhen.

Neben der notwendigen Verkehrs- beruhigung muß durch weitere Maßnahmen die Umweltqualität der Innenstadt verbessert werden: So zum Beispiel durch die Aktivierung des vorhandenen Grüns, die Umstellung auf umweltfreundliche Heizungen usw.

In der Palette der verfügbaren Instrumente nimmt das Grazer Altstadterhaltungsgesetz 74 eine besondere Stellung ein. Es enthält eine Reihe von Bindungen für die Hauseigentümer (Abbruchsverbot, Erhaltungspflicht, Beschränkungen hinsichtlich der Nutzungsänderungen usw.), aber auch Förderungsbestimmungen. Ein „Altstadterhaltungsfonds”, der von der Stadt Graz und dem Land Steiermark im Verhältnis von 55 Prozent zu 45 Prozent gespeist wird, gewährt Beihilfen zur teilweisen Abgeltung von Mehrkosten, die auf Grund der Vorschriften des Altstadterhaltungsgesetzes entstehen.

Immer noch gibt es nicht wenige, die meinen, die Erhaltung und Verbesserung alter Häuser sei unwirtschaftlich, weil wesentlich teurer als ein entsprechender Neubau. In der Fachliteratur ist diese Auffassung bereits eindeutig widerlegt. Um aber „handfeste” Beispiele für die Praxis zu bieten, ist nun die Stadt selbst am Zug: An Hand von zwei Modellprojekten soll der Nachweis geführt werden, daß Althaussanierung sehr wohl wirtschaftlich vernünftig und ohne soziale Härten möglich ist. Die Bevölkerungsstruktur der Altstadt soll zwar langsam verbessert werden, keinesfalls aber darf damit eine Vertreibung der ansäßigen Bewohner verbunden sein.

In einer lebendigen Altstadt liegt für uns die große Chance wieder jene menschlichen, urbanen Bindungen, jenes Zusammengehörigkeitsgefühl für alle Grazer zu schaffen, das jahrhundertelang das Wesen der Stadt ausgemacht hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung