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Wettlauf mit dem Verfall

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Noch vor zehn, zwanzig Jahren hielt man es für das Beste, sie abzuschlagen und glatt zu verputzen. Seither besitzt Wien eine ganze Anzahl einst schöner, plötzlich disproportionierter Hausfass-aden des vorigen Jahrhunderts.

In der Zwischenzeit hat man den Historismus schätzen gelernt. Dazu führte sowohl der zeitliche Abstand, der einen objektiveren Blick gestattet, als auch der Vergleich mit dem, was heute geschaffen wird — er fällt nicht gerade zugunsten des Heutigen aus. Denn der schwungvolle, optimistische Aufbruch zu den Ufern einer neuen Ästhetik ist längst — wieder einmal — am nackten Kommerz gescheitert.

Aber auch die Erhaltung des Alten stößt allenthalben auf Schwierigkeiten. In Wien war es lange Zeit gerade die unerhörte Fülle des

Vorhandenen, was Rettungsaktionen nicht besonders dringlich erscheinen ließ und auch seine richtige Ein-, sprich: Wertschätzung erschwerte. Wien hat nicht nur einen in Mitteleuropa (wenn man von Prag absieht) fast einzig dastehenden Althausbestand, sondern auch eine Fülle mehr oder minder guterhaltener, zum Großteil jedenfalls durchaus wiederherstellungsfähiger Fassaden aus mehreren historischen Epochen mit deutlichen Schwerpunkten auf Biedermeier, Historismus und Jugendstil.

Viele Jahre ist, abgesehen von allzu wenig Privatinitiative, kaum etwas geschehen, um diesen Reichtum zu sichern. Langsam, viel zu langsam, bricht sich in Wien die Erkenntnis Bahn, daß die Erhaltung des Fassadenschmuckes, da sie weder die Wohnqualität noch den Mietzins beeinflußt, weniger im

Interesse von Hausbesitzer und Hausbewohnern als im Interesse der Allgemeinheit gelegen ist. Denn die Hausfassaden sind eines der wichtigsten Elemente dessen, was man Stadtbild nennt.

Noch vor etwa zehn Jahren wurde — um nur ein“ Beispiel zu nennen — ein Haus wie Piaristengasse 48 abgerissen, ohne daß das Bundesdenk-malamt Einspruch erhoben hätte — dies mit der Begründung, das Objekt sei, für sich betrachtet, „mittelmäßig“, Ensembleschutz aber im Gesetz nicht vorgesehen. Die Folge war, daß die Piaristenkirche ihr Gegenüber verlor und der Platz stark beeinträchtigt wurde.

Im neuen, mit 7. Juli des Vorjahres in Kraft getretenen Altstadterhaltungsgesetz ist der Ensembleschutz endlich, spat aber doch, verankert. Bisher sind rund 30 Schutzzonen geschaffen worden, weitere in Vorbereitung. Dabei sollen erstmals auch Details wie die Pflasterung eines Platzes, oder dessen Beleuchtung (keine Peitschenmasten vor alten Kirchen!) einbezogen werden.

Gegenwärtig stehen in Wien mehrere erhaltenswerte Fassaden zwecks Wiederherstellung unter Gerüst, wobei das Kulturamt der Stadt Wien die durch die denkmalpflege-rischen Bemühungen entstehenden Mehrkosten trägt. 30 Millionen Schilling, die vorwiegend aus dem Fernsehschilling stammen, stehen pro Jahr im Altstadterhaltungsfonds zur Verfügung.

Das ist immerhin ein Vielfaches dessen, was man vor dem Durch- \ bruch zur Vernunft (er ereignete f sich endgültig anläßlich der \ Abbruchverhandlung über das spä- % ter mustergültig sanierte und revitalisierte Blutgassenviertel) für diese Zwecke aufgewendet wurde, aber noch immer viel zuwenig. Denn in den siebziger und frühen achtziger Jahren dieses Jahrhunderts wird es sich ja wohl entscheiden müssen, wieviel diese Stadt von dem, was zu einem guten Teil ihre Atmosphäre ausmacht, in die Zukunft hinüberretten will.

Im Augenblick ist es so, daß Hunderte, wenn nicht Tausende von Fassaden mehr oder weniger rapid verfallen — unter ihnen viele, die für sich betrachtet zweitrangig sind, aber von großer Bedeutung für den Charakter der Gegend — aber auch so manches Erstklassige.

Verslumung, das müssen wir heute begreifen, ist nicht zuletzt ein ästhetischer Prozeß. Die Entscheidung, ob ein Stadtviertel oder Ensemble neu aufblüht oder ver-slumt, hängt sehr oft von Beträgen ab, die in keinem Verhältnis zu den Kosten für die Schaffung einer gleichen Menge Wohnraum, an anderem Ort steht. Dabei ist aber Immer zu beachten, daß es mit der Wiederherstellung einer Fassade, im Großen der Fassade namens Stadtbild, nicht getan ist — wichtig ist auch, was hinter der Fassade geschieht.

Hinter den Fassaden sind in vielen Fällen Wohnungen, die dem heutigen Ständard in keiner Weise mehr entsprechen — die aber mit verhältnismäßig geringen Aufwendungen (Zusammenlegung, Modernisierung) so aufgewertet werden könnten, daß sie modernen Wohnvorstellungen besser entsprechen als so mancher Neubau.

Ein solches Programm würde allerdings mehr kosten als 30 Millionen — es würde Korrekturen an den stadtplanerischen Prioritäten erfordern, aber auch rechtfertigen.

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