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Sechs Fragen an den neuen Stadtplaner

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DIE FURCHE: Als die Gemeinde Wien in den Nachkriegsjahren Prof. Dr. Karl H. Brunner mit der Stadtplanung beauftragte, kam es zu nicht viel mehr als der Ausarbeitung einiger interessanter Projekte und Vorschläge, die dann als „Bericht an den Gemeinderat“ auch in Buchform vorgelegt wurden, um bei den zuständigen Stellen ad acta gelegt zu werden. Man ging zur Tagesordnung über, als wäre nichts geschehen. Man stellte einen heuen Stadtplaner ein, dem von vornherein die Hände gebunden waren. Von neuen Planungen war nichts zu hören. Um so erfreulicher war es, daß der Posten des Stadtplaners im Herbst 1957 öffentlich ausgeschrieben und mit neuen Vollmachten ausgestattet wurde. Wir unterschätzen die Schwierigkeiten nicht, auf die ein Stadtplaner stößt — nicht nur in Wien, überall in der Welt. Seine Planung kann ja gar nicht anders, wie immer sie aussieht, als die eigennützigen Interessen vieler Bodenspekulanten zu gefährden; sie muß mancherlei Intrigen, Eifersüchteleien und Widerstände hervorrufen, verlangt das Wohl aller doch immer individuelle Opfer. Wie sehen Sie nun, verehrter Professor Rainer, Ihre Chancen für eine wirksame Stadtplanung, die nicht nur Planung bleibt, sondern auch Realität wird? Welche Voraussetzungen sind es, die Ihnen eine sinnvolle Arbeit möglich machen?

PROF. RAINER: Dankbar stelle ich Ihr großes Verständnis für die Schwierigkeiten fest, mit denen jeder Stadtplaner zu tun hat. Auch in Wien wird, wie überall in der Welt, die im Gang befindliche Umstellung in den städtebaulichen Auffassungen auf gewisse Anfangsschwierigkeiten stoßen, die aber bei dem offensichtlich guten Willen der Beteiligten hoffentlich überwunden werden können. Erfolg und Sinn der Tätigkeit des Wiener Stadtplaners hängen davon ab, ob jene Persönlichkeiten, die ihn eingesetzt haben, 1. seine Auffassungen und Vorschläge gutheißen, und 2. ihnen bei der Praxis zum Durchbruch verhelfen.

Zu Punkt 1 • uer Vertrag des Stadtplanes '“entUpli eine Klausel, wonach die Vertragspartner 'eßen Vertrag lösen können, wenn dem Stadtplaner in wichtigen Fragen wiederholt die Zustimmung des Gemeinderates versagt wird.

Zu Punkt 2: Bisher ist mir von den politischen Mandataren sehr viel Vertrauen, Verständnis und Entgegenkommen bewiesen worden; von unserem neuen Stadtrat für Bauwesen erhoffe ich Zustimmung und Hilfe. Meine Mitarbeiter in meinem Büro unterstützen mich mit größtem Elan, und auch die einzelnen Magistratsabteilungen stehen meinen Bemühungen positiv gegenüber. Ich hoffe, daß es mit diesen Hilfen gelingt, die nötigen Aenderungen der bisherigen städtebaulichen Praxis zu erreichen.

F.: Es ist eine alte Weisheit: Wer den Boden der Stadt besitzt, bestimmt ihr Schicksal — ihr wirtschaftliches, soziales, architektonisches, kulturelles Schicksal. Die Bodenfrage ist wahrlich eine Grundfrage jeder Stadtplanung. Diese kann erst beginnen, wenn sie Boden unter den Füßen hat, wenn sie über genügend Grundflächen verfügt, die die Anlage großräumiger Grünanlagen, Industriestandorte, Siedlungen, Gartenstädte und Parkplätze ermöglichen. Welche gesetzgeberischen Maßnahmen sind vorgesehen, um dem ungesunden Wachstum Wiens nach Westen und Nordwesten, in den Wienerwald hinein, Einhalt zu gebieten und das Wachstum nach Osten und Süden, entlang der Donau und entlang der Triester Straße, zu fördern? Steht eine Wiedereingliederung der ehemaligen Rand- gemeinden Mödling, Perchtoldsdorf, Vösendorf, Wiener Neudorf, Laxenburg (die nur durch Bundesverfassungsgesetz möglich wäre) zur Diskussion? Wird an irgendwelche gesetzgeberische Maßnahmen gedacht, die eine prinzipielle Verfügung über den Boden in der Stadt erleichtern können?

R.: Selbstverständlich ist die Bodenfrage von entscheidender Bedeutung für die Stadtentwicklung und Durchführung jeder Planung. An Stelle der Formulierung: „Wer den Boden der Stadt besitzt — bestimmt ihr Schicksal“ — möchte ich aber, lieber sagen: „Wer über den Boden verfügt...“ Eigentum und Verfügungsrecht sind nicht dasselbe, über jedes Eigentum kann man nur beschränkt verfügen: Einen Wagen darf man nicht überall parken, einen Ball nicht überallhin werfen, einen Baugrund nur nach bestimmten Regeln, manche Grundstücke überhaupt nicht bebauen; man muß Gelände abtreten, damit eine der Allgemeinheit dienende Straße, Bahn, Wasserleitung usw. gebaut werden kann. }e knapper der Raum einer Stadt, je zahlreicher die Bedürfnisse, die in ihm erfüllt werden müssen, desto genauer muß man den Raum durch „Planung“ einteilen, um so weniger kann man privaten „Spielraum“ lassen. Die gegenwärtigen Bestimmungen reichen noch nicht aus, um diesen gesteigerten Anforderungen gerecht zu werden. Deshalb ist ein Bodenbeschaffungsgesetz und eine Bodenwertzuwachsabgabe in Vorbereitung, die unverdiente Spekulationsgewinne abschöpfen soll.

F.S Besonders interessiert uns die Frage der Satellitenstädte. Sie selbst haben, verehrter Professor Rainer, im vergangenen Jahr im „Aufbau“ ein Projekt für eine solche Trabantenstadt publiziert. Dieses Projekt sieht eine selbständige Stadt für 10.000 Einwohner vor, bei Biedermannsdorf gelegen. Das Wesentliche erschienen uns dabei zwei Momente: die junge Stadt ist durch rasche Verkehrswege fnit Wien zu verbinden (dorthin werden täglich viele zur Arbeit fahren) und hat doch ein eigenes Zentrum, ist also Stadt im Vollsinn der Definition des Aristoteles, der die Stadt als den Ort bezeichnete, wo Menschen ein gemeinsames Leben zu einem edlen Zweck führen. Viele Reihen von Einfamilienhäusern mit Kleingärten, Rathaus, Schule und Kirche, Bahnhof, Kino und Sportplatz sind zu einem Ganzen gefügt. Soll dieses — oder ein ähnliches Projekt eines anderen Architekten, vielleicht nach einem Wettbewerb — in absehbarer Zeit verwirklicht werden?

R..- Die Stadterweiterung - durch Satellitenstädte, wie sie Ho,w ar d schon 1900 vorgeschlagen hat, soll die uferlose Ausdehnung des Häusermeers verhindern, den Stadtgebieten ihr Eigenleben sichern und soll vor allem naturverbundene Wohnnachbarschaften mit eigenen Geschäfts- und Kulturzentren schaffen, damit der Verkehr zur City verringert wird. Diese entscheidenden Planungsziele können und müssen auch schon bei der Ordnung des vorhandenen Stadtraums verfolgt werden, indem in den einzelnen Bezirken leistungsfähige Geschäftszentren planmäßig entwickelt und das Eigenleben der Bezirke gefördert wird. Das ist besonders erfolgversprechend in Randgebieten wie Kagran, Floridsdorf, Liesing, Am Laaer Berg, wo geschlossene Nachbarschaften mit eigenen Mittelpunkten und Arbeitsstätten entstehen können. — Daß der Wirtschaftsraum und Landschaftsraum Wiens, der ja viel weiter reicht als die heutige Stadtgrenze, ideale Gelegenheiten für die Anlage echter Satellitenstädte bildet, habe ich als freischaffender Architekt und Lehrer an der Akademie der bildenden Künste mehrfach gezeigt. In meiner Eigenschaft als Stadtplaner für Wien kann ich aber über Planungen außerhalb der Stadtgrenze nicht sprechen, ohne meine Kompetenzen zu überschreiten. Niederösterreich würde sich vermutlich mit Recht dagegen verwahren, von Wiener Dienststellen Planungsvorschläge zu erhalten.

F.: Mit der Stadtplanung scheint uns eng die Frage der Förderung privater Bautätigkeit zusammenzuhängen; natürlich nur in Gebieten, die von der Stadtplanung für diesen Zweck vorgesehen werden. Neben der Form des genossenschaftlichen Wohnungsbaus ist hier auch an die Initiativen privater Bauherren zu denken, die durch steuerliche Begünstigungen und freie Mietzinsbildung angeregt werden könnten. Dabei denken wir nicht an den Bau in der Erhaltung teurerer Hochhäuser, sondern an moderne Siedlungshäuser, nicht höher als zwei Stockwerke, für maximal vier bis sechs Parteien. Wie glauben Sie, Herr Professor Rainer, wird dieses Privatinteresse am besten erweckt oder gesteigert werden können?

R.: Nichts liegt näher als der Gedanke, daß das Gemeinwesen hauptsächlich für die Einrichtungen sorgen muß, die der Allgemeinheit dienen, also z. B. für die öffentlichen Gebäude, öffentlichen Erholungsflächen, Straßen, Bahnen, Versorgungsleitungen usw., während der Bau der Wohnungen, Läden, Werkstätten usw. Sache der privaten Benutzer sein kann. — Zum Wohnungsbau muß aber gesagt werden, daß wirklich gute und billige Wohnungen nicht ohne besondere Finanzierungshilfen entstehen können, die anderseits nur zu vertreten sind, wenn sie nicht der Bereicherung einzelner dienen; deshalb wird die große Masse de} Wohnungsmarktes heute immer gemeinnützigen Gesellschaften und Genossenschaften vorbehalten bleiben. Will und kann der einzelne selbst seine Wohnung bauen, dann entspricht diesem Wunsch das Einfamilienhaus am besten. Für diese ideale Hausform müssen wirtschaftlichere Lösungen gefunden werden als bisher. Von städtebaulicher Bedeutung ist diese Frage nur in den sehr ausgedehnten Gebieten der sogenannten „wilden Siedlung“. Dem an sich erfreulichen Selbsthilfewillen dieser Siedler sollte Gelegenheit zu legaler Betätigung .gegeben werden, indem parzelliertes und erschlossenes Baugelände für kleine Reihenhäuser bereitgestellt wird. Das würde der Oeffentlichkeit geringere Lasten auferlegen als die nachträgliche Erschließung der höchst unwirtschaftlich, planlos angelegten „wilden Siedlungen“ und würde der in weiten Kreisen vorhandenen Privatinitiative im Wohnungsbau den Weg zu einer wirtschaftlichen, wohnungspolitisch und städtebaulich glücklichen Lösung öffnen.

F.: In vielen kleineren Ortschaften am Rande Wiens, aber auch in den äußeren Bezirken der Stadt selbst und an den oft noch sehr unzulänglichen „Ausfallwegen“ kann man heute beobachten, daß die Straßen auf Kosten der Gehsteige und der Bäume erweitert werden. Was gewonnen wird, ist nicht viel: meist nur knappe ein bis zwei Meter, oft nicht einmal das. Vor allem: nach ein paar hundert Metern kommt doch wieder ein Engpaß, läuft die Straße trichterförmig zu, und die Verkehrsstauung, der man steuern wollte, stellt sich um so sicherer ein. Gleicht eine solche Handlungsweise nicht der eines Mannes, der bei verschiedenen Banken immer höhere Kredite aufnimmt, um die alten zurückzahlen zu können — ohne dabei schließlich der Insolvenz zu entgehen? Sollten nicht diese kleinen und halben Maßnahmen, die viel zerstören, so lange ausgesetzt werden, bis durch einen „Generalverkehrsplan“ die Trassen neuer, leistungsfähiger Verkehrsadern bestimmt sind? So könnten viele Alleen und alte Ortskerne unangetastet erhalten bleiben, da über kurz oder lang doch nur großzügige Umfahrungen, möglichst in Grünstreifen, in Frage kommen. Wieweit ist die Arbeit an einem „Generalv'erkehrs-plan“ gediehen?

R.: Sie haben recht: Verbesserungen an einzelnen Stellen von Straßen können keine wesentliche Hilfe bringen. Gründliche Hilfe kann nur durch Entlastung der zu dicht bebauten Stadtteile und ihrer überfüllten Straßenzüge durch Dezentralisation der Wohn- und Arbeitsstätten und durch Schaffung neuer, möglichst anbaufreier Expreßstraßen gebracht werden. Man wird einerseits die Autobahnen als einbaufreie Schnellverkehrsstraßen so tief wie möglich ins Stadtgebiet hineinführen, ihren Verkehr aber anderseits durch mehrere Expreßstraßen möglichst frühzeitig über das ganze Stadtgebiet verteilen.

In dicht bebautem Gebiet dürfen solche Schnellverkehrswege nicht in Geschäftsstraßen mit starkem örtlichem Verkehr und der hier so nötigen Straßenbahn geleitet werden (Maria-hilfer Straße). Die Geschäftszentren müssen vom Durchgangsverkehr umgangen, die Industrie- und Gewerbegebiete von ihm berührt werden. \

Verkehrsplanung hängt also mit der funktionellen Gliederung der Baugebiete eng zusammen, daher ist Verkehrsplanung wichtigster und gegenwärtig dringendster Bestandteil der Stadtplanung. Die Arbeit am Generalverkehrsplan entwickelt sich sehr rasch und erfreulich und verspricht baldige konkrete, wirtschaftlich durchführbare Ergebnisse.

F.: Stadtplanung hat an sich nicht viel mit Bauen zu tun. Sollte sie aber nicht — in den ihr gesteckten Grenzen — auch auf das Gesicht neu entstehender Bauten Bedacht zu nehmen haben? In Oesterreich herrscht aus falsch ver-, standener Wirtschaftlichkeit das Prinzip des „so billig wie möglich“ '(anstatt des vernünftigen „so gut wie mit lieschränkten Mitteln möglieh“). Gelegentlich schlägt dieses Prinzip dann (bei Repräsentativbauten auf dem Ring etwa) in das „so teuer wie möglich“ der Protz- und Prasserbauten um. Das Mittelmaß triumphiert in beiden Fällen. Die wirksamste Bekämpfung des Mittelmaßes ist das Gegenbeispiel. Sie haben, verehrter Professor Rainer, ein solches Gegenbeispiel in der Stadthalle gesetzt. Könnte flicht die Stadtplanung nun weitere Beispiele fördern, die zeigen, daß es auch anders geht als mittelmäßig? Daß der, der am Benzin sparen will, um länger mit dem Geld zu reichen, nicht weit kommen wird? Es sollte doch möglich sein, daß schalldichte Wände und große Fenster, Balkon und Bad bei jeder Wohnung, Lift in jedem Haus, das höher als zwei Stockwerke ist, selbstverständlicher Standard werden, ganz gleich, ob der Bauherr nun die Gemeinde Wien, eine' Genossen“-schaft oder ein öffentlicher Fonds ist. Glauben Sie, daß sich das Prinzip des „so billig wie möglich“ — das auf die Dauer, die hohen Reparaturkosten zeigen es, immer ein „zu teuer“ wird — bei uns ändern läßt? Wird es möglich sein, das Gesicht unserer Architektur freundlicher zu gestalten?

R.: Auch ich bin der Auffassung, daß Stadtplanung sich nicht nur auf die „Flächen-widmung“, die „Fluchtlinienpläne“ usw., also auf abstraktes Planen in einer Ebene beschrän-' ken darf, sondern daß sie den Raum — besser gesagt die unzähligen Räume — lebendig gestalten muß, aus denen eine Stadt besteht, die ein „Gesicht“ hat, in der die Bewohner sich zu Hause fühlen können, die ein wirklicher „Lebensraum“ ist. Das war bis 1850 selbstverständlich und ist in unseren alten Straßen und Plätzen beglückend zu fühlen. Das ist verlorengegangen, als nach 1850 Landmesser und Tiefbauer Straßenraster gezeichnet haben, damit Bodenspekulanten möglichst viele Mictkaseruen unterbringen können. Diese Epoche ist noch nicht überwunden. — Um wieder zu einer räumlichen Auffassung städtebaulicher Planung zu kommen, werden in meiner Abteilung „Städtebauliche Gestaltung“ die sogenannten Strukturpläne, in denen die Bebauung im einzelnen festgelegt wird, nicht mehr als Planskizzen in einer Ebene, sondern als Modelle auf Geländemodellen im größeren Maßstab entwickelt; damit bezieht sich die Planung auf den Raum. Ob sie im Stadtbild einmal wirksam werden wird, hängt von der Ausführung ab.

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