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Karlsplatznachlese

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Der Karlsplatz ist wie der Donaukanal ein städtebauliches Problem, das der Bau der Ringstraße aufgeworfen und ungelöst gelassen hat. Die Achse Hofburg-Augustinerstraße-Karlskirche war durch die Oper verstellt worden; mit der fortschreitenden Verbauung und der Einwölbung des Wienflusses ergab sich ab 1895 die Frage, wie die Karlskirche mit ihrer neuen Umgebung in Beziehung gebracht werden solle. Seit damals gibt es — die zahlreichen Wettbewerbsentwürfe von 1946 und 1953 nicht gerechnet — rund 15 Lösungsvorschläge, darunter solche von Karl Mayreder, dem späteren Bürgermeister und Bundespräsidenten Theodor Körner, Otto Wagner, Loos, Hoffmann, Welzenbacher, Holzmeister und Rainer. Auf dem Karlsplatz kann man keine Linie ziehen, für die es nicht schon ein Vorbild gäbe.

Der Regulierungsplan der Jahrhundertwende für den östlichen Abschluß des Platzes blieb bis in die jüngste Zeit gültig. Erst als auf den beiden fraglichen Grundstücken wirklich gebaut werden sollte, wurde es geändert: das erstemal 1954 für den Bau des Historischen Museums und das zweitemal 1965, als Architekt Professor Dipl.-Ing. Georg Lip-pert sein Projekt an der Stelle des abgebrochenen Fruhwirth-Hauses neben der Kirche einreichte. Schon vorher war in der „Furche“ (Nummer 49/1964) dagegen polemisiert worden, daß Lippert, der weitgehend für die Verbauung des Donaukanals verantwortlich ist, sich auch am Karlsplatz betätige. Die Gemeinde Wien entschloß sich aber erst, einen Wettbewerb zu veranstalten, als man sich über die Höhe des Baukörpers nicht schlüssig werden konnte, dessen Umrisse bereits in den Regulierungsplan übernommen waren (sie sind die gegenwärtig rechtskräftigen Fluchtlinien).

Der Wettbewerb umfaßte nun die

Bebauung dieses Grundstückes und die Gestaltung der Grünanlage vor der Kirche; er stellte aber auch die Einbeziehung und Veränderung des Museums frei. Die Verkehrslösung war vorgegeben; sie beanspruchte nur den Platz rund um die Grünfläche. Der Wettbewerb war vorbildlich vorbereitet, die Teilnehmer wurden mit allen denkbaren Unterlagen versehen, die Zusammensetzung der Jury ließ nichts zu wünschen übrig. Trotzdem brachte er als Ergebnis keinen Entwurf i von überzeugender Qualität. Der Jury blieb deshalb nur übrig, die Projekte nach ihrer Auswirkung zu reihen. Sie ging dabei nicht ohne eine bestimmte Vorstellung von „Platzwänden“ vor, denn ausgefallene Entwürfe wie ein Ter-rassenapartmenthaus oder sechs neben die Kirche gestaffelte Parktürme schieden im 1. Durchgang aus, obwohl sie — in der Funktion verfehlt — architektonisch keineswegs unter dem Niveau der übrigen Arbeiten lagen. Aber nach menschlichem Emessen

— da die Gemeinde den privaten Grundeigentümer nicht zur Ausführung des Ergebnisses zwingen kann

— wird ja doch Professor Lippert auf diesem Platz bauen; und so ging

Der Begriff „Platz“

„Platzgestaltungen“ sind nicht der Weg, sich den heutigen Planungsproblemen zu nähern. Der Begriff „Platz“ setzt Klarheit über die Stadtstruktur voraus. Der herkömmliche Platz ist eine Steigerung der alten städtischen Struktur, die aus Baublöcken und dem Straßenraster gebildet ist. Erst wenn diese Struktur, die Verzahnung von Bebauung und Verkehr, für die neuen Bedingungen geklärt ist, können wir uns solchen besonderen Punkten zuwenden. Vielleicht werden „Plätze“ nur Fußgängern vorbehalten sein, vielleicht aber auch nicht. Das heißt: auch eine Freigabe der Verkehrslösung hätte den Karlsplatzwettes bei diesem Wettbewerb darum, nicht einen Mann, sondern einen Baukörper zu finden. Dies war wohl das entscheidende Handikap des Wettbewerbs, an dem die Gemeinde Wien keine Schuld trifft.

Wiederholt aber wurde diesem Wettbewerb vorgeworfen, er sei nicht großzügig genug gewesen, es hätte das „Gesamtproblem“ Karlsplatz zur Diskussion gestellt werden müssen. Aber wie weit reicht das „Gesamtproblem“ Karlsplatz? Bis zur Secession? Genau betrachtet, verlangt diese Kritik nicht ein Eingehen auf fundamentale Probleme der Wiener Stadtplanung, sondern sie berauscht sich im Gedanken an eine möglichst große zu „gestaltende“ Fläche. Der alte Regulierungsplan Karl Mayreders war in Wirklichkeit großzügiger und konsequenter, denn er war bloß Teil eines „Project'es der Wienzeile von Schönbrunn bis zum Stadtparke“, das der damaligen Großstadt und ihrem Bedürfnis nach großen Verkehrsachsen entsprach. Eine Vergrößerung des Wettbewerbsgebietes auf den ganzen Karlsplatz hätte kaum mehr als ästhetische Platzstudien gebracht und selbst dazu — da die jetzigen Platzwände auf Jahrzehnte feststehen — die Grünflächen zur Bebauung freigeben müssen. bewerb nicht weitergebracht, weil nicht nur ein Generalverkehrsplan im herkömmlichen Sinn, sondern überhaupt die Vorstellung fehlt, wie die zukünftigen Wiener Verkehrsverhältnisse in einer Struktur von Autostraßen, Gebäuden und U-Bahnen eine Entsprechung finden sollen.

In der Rainerschen Stadtplanung war der Karlsplatz beispielsweise ein „Zentrum des Massenverkehrs“ — das heißt, eine Umsteigstelle der Straßenbahn. Diese Funktion wird er verlieren, wenn der Massenverkehr in zweiter Ebene zentral in die Innenstadt geführt wird. Voraussetzungen sind für die ganze Stadt erst zu finden.

Der abgelaufene Wettbewerb war richtig dimensioniert, als er wenig mehr als ein Gebäude neben der Kirche zur Debatte stellte. Das „Gesamtproblem“ wäre Gegenstand eines anderen Wettbewerbs, der fredlich nicht den Karlsplatz, sondern im Prinzip ganz Wien zum Gebiet haben muß.

Die Wiener Stadtplanung ist an einem Punkt, wo sie neue Entschlüsse braucht. Alles drängt auf Unbekanntes hin: die Parkraumnot, die Notwendigkeit von Straßen in zweiter Ebene, die U-Bahn, die generelle Sanierung der alten Stadtteile, die Änderung des sozialen Wohnbaukonzepts, das Unbehagen an den bisher errichteten neuen Stadtteilen, die Aufschließung neuen Baulandes, der Bedarf an größeren, variableren Wohnungen mit Garten oder Terrasse, der Zivilschutz — um nur Stichworte zu nennen. Alle diese Notwendigkeiten müssen in einem großen Stadtplan zur Deckung gebracht werden.

Einen größeren Wettbewerb

„Der freie Wettbewerb wird den Ideenschatz erbringen, aus dem das Beste entnommen werden kann, um unserer Stadt einen Generalregulierungsplan zu sichern, der ihrer Größe und Bedeutung entspricht“, sagte man sich vor 75 Jahren, als Wien vor ähnlich umwälzenden Problemen stand. 1892 schrieb die Stadt einen einjährigen Wettbewerb zur „Erlangung von Entwürfen für einen General-Regulirungsplan über das gesammte Gemeindegebiet von Wien“ aus; unter den Preisträgern waren Joseph Stubben, Otto Wagner, die Brüder Mayreder und Eugen Faßbender: heute als die Städtebauer der Epoche angesehen. Die Ergeb-nteise der damaligen Stadtregulierung haben sich länger als ein halbes Jahrhundert bewährt, obwohl die Schwierigkeit, Prognosen zu stellen, damals nicht geringer war als heute.

Ein solcher Wettbewerb würde — wie der damalige — nicht nur verwendbare Ideen, sondern auch geeignete Personen bringen, die zur Mitarbeit an der Stadtplanung herangezogen werden können. Vielleicht ist im Rahmen eines solchen Planes der Karlsplatz wieder ein Sorgenkind — dann wollen wir uns wieder mit ihm beschäftigen.

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