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Roland Rainer, ehemaliger Stadtplaner von Wien, propagiert den verdichteten Flachbau. Hochhäuser hält er für das Wohnen ungeeignet.

die furche: Sie haben sich Ihr Leben lang mit Städtebau beschäftigt. Unter anderem waren Sie von 1958 bis 1963 als Stadtplaner von Wien tätig. Was war Ihnen in dieser Funktion am wichtigsten?

roland rainer: Als ich das Amt übernahm, gab es den Hochhauswahn noch nicht. Ich habe eine Auffassung von Stadt, die Ebenezer Howards Gartenstadtbewegung entspricht. Der Grundgedanke meines Planungskonzepts war, die Bebauung nicht zu verdichten, sondern aufzulockern. Es gibt genug verdichtete Gebiete. Wien ist umgeben von reicher, schöner Landschaft. Das ist ein großartiges, leicht erschließbares Erweiterungsgebiet - man müsste den öffentlichen Massenverkehr bis dorthin verlängern. Heute leben die Leute 50 Kilometer im Umkreis von Wien. Das Stadtgebiet entspricht nicht der politischen Grenze - die ist viel kleiner als der eigentliche Lebensraum der Menschen. Ich hab mich in meiner Betrachtung nie auf die Stadtgrenze reduziert. Wien ist kein politischer Bezirk, sondern ein großer Raum bis Wiener Neustadt und St. Pölten, in dem wir das Leben der Stadt gestalten können.

die furche: Wo sehen Sie eine Lösung aus diesem Drang ins Umland Wiens?

rainer: Niederösterreich ist eine große Chance für Wien. Hätte man ein klares Konzept für die Raumplanung in Niederösterreich, würde das auch Wiener Probleme lösen. Wien verliert im Jahr 30.000 Einwohner. Wir haben eine Zersiedelung, solange man den Bewohnern erlaubt, ohne Gesamtkonzept zu siedeln. Solange man nicht für die Region plant, solange wird zersiedelt. Man bräuchte ein klares Konzept für die Raumplanung in Niederösterreich.

die furche: Was halten Sie im Nachhinein für Ihre größte Leistung als Stadtplaner?

rainer: Ich habe meine Tätigkeit als Stadtplaner nie als architektonisches, ästhetisches oder monumentales Experiment betrachtet. Ich bin nicht von der Form, sondern von der Funktion ausgegangen. Stadtplanung ist eine große Chance, sie beinhaltet ein hohes Maß an Verantwortung allen Bewohnern, dem Gesicht und der Erscheinung einer Stadt gegenüber. Die Stadt hat den Kindern, den Menschen, die in ihr leben, nicht dem Ruhm des Architekten zu dienen. Mir war die Gesamtheit der Stadt als Lebensraum für den Menschen wichtig, in dem gearbeitet, gewohnt, geruht wird. Das sind andere Kriterien als "Je höher und je neuer, desto besser".

die furche: Welche Mittel hat ein Stadtplaner?

rainer: Die Stadt ist die Summe aus einem Bündel an Funktionen. Ein Lebensraum, den wir gestalten müssen. Die Mittel des Stadtplaners sind Pläne, Gesetze, Vorschriften. Es ist eine abstrakte Arbeit, die in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Ich mache die Planung nach den Erkenntnissen der Zeit und den Bedürfnissen der Bewohner, die Beamten erlassen die Gesetze. Meinen Flächenwidmungsplan für Wien habe ich 1961 der Öffentlichkeit vorgelegt. Er wurde im Rathaus diskutiert. Da war alles drin. Zum Beispiel, welche Funktionen an welche Stelle der Stadt kommen: Grünflächen, Verkehr, Wohnen, hohe und niedere Bebauung. Ich dachte, man wird ihn verwirklichen. Nachher waren die Schwierigkeiten stärker als der gute Wille. Da habe ich mein Amt zurückgelegt. Ich wollte nur Stadtplaner sein, wenn man macht, was ich vorschlage.

die furche: Wo liegen Macht und Ohnmacht der Stadtplanung?

rainer: Das ist eine Zeitfrage. Als ich Stadtplaner war, hatten wir starken Einfluss. Alles musste sich an Bebauungspläne halten: Flächenwidmung, Verkehrsplan, Bebauungsplan. Der Gemeinderat musste die Pläne genehmigen, dann hielt man sich dran. Heute ändern sich Flächenwidmungs- und Bebauungspläne über Nacht. Ich würde heute keine Stadtplanung mehr machen. Als ich damals den Eindruck hatte, es wird nicht gebaut, was ich vorgeschlagen habe, legte ich mein Amt nieder. Ich hoffe, ich habe etwas getan, das der Bevölkerung dient. Ob die Hochhäuser auf der Platte oder in Wien Mitte der Bevölkerung dienen, ist die Frage. Sie dienen auf alle Fälle den Bodenspekulanten.

die furche: Wie stehen Sie zur momentan grassierenden Hochhausdebatte?

rainer: Die Oberflächlichkeit der Hochhausdiskussion ist beispiellos. Eine Diskussion, die nicht sagt, um welche Funktion es geht, ist keine Diskussion. Man redet von Hochhäusern, ohne zu unterscheiden, worum es sich handelt. Als Hotel oder Bürohaus kann ein Hochhaus richtig sein, als Wohnhaus ist es meiner Meinung nach ungeeignet. Menschen können gut und gern an einer Stelle zusammengeballt arbeiten, sie können nicht so wohnen. Beim Wohnen braucht man Ruhe. Wir haben die Übermacht der Zinskasernen gesteigert. Ich verstehe nicht, dass man über hoch und flach diskutiert, ohne über die Funktion zu reden. Wir leben in einer Stadt, in der über 95 Prozent der Wohnungen in hohen Häusern sind. Nur fünf Prozent sind Einfamilienhäuser. Nachdem hunderte, tausende dieser hohen Wohnhäuser gebaut wurden, die großteils leer stehen, hängt man immer noch dem alten Schema nach! Man entscheidet nicht nach Funktion, sondern nach Grundstückspreis. Das hat nur mit dem Geschäft zu tun.

die furche: Architektur wird zunehmend von Parteien oder Medien in Frage gestellt und bisweilen verhindert. Ich denke zum Beispiel an das geplante Opernhaus in Linz, das durch eine Volksabstimmung zu Fall gebracht wurde. Kann, darf und soll das Volk über Architektur entscheiden?

rainer: Das ist eine heikle Frage. Wer ist das Volk? Die allgemeine Verwirrung durch die Medien ist so groß, dass man nicht mehr unterscheiden kann. Die Frage ist, ob geschieht, was die Bevölkerung wünscht, oder das, was fachlich richtig ist. Wem dienen all die spektakulären Dinge, die gebaut werden: der Bevölkerung? Der Repräsentation? Dem politischen Kalkül? Oder den Bodenspekulanten? Am wenigsten dienen sie der Bevölkerung. Man müsste sich fragen, was die Lebensbedingungen verbessert.

Ich würde mir beispielsweise nie erlauben, Wohnungen an einer Verkehrsstraße zu bauen. Der Autoverkehr ist ein Beispiel, wo das öffentliche von dem privaten Interesse divergiert. Je mehr Autos, umso mehr Zerstörung des Erholungsraums. Es ist Aufgabe der Stadtplanung, eine Lösung zu finden, die technisch gut und menschlich machbar ist. Ich müsste also fragen: Wie muss Verkehr gestaltet sein, damit ein großer Effekt mit geringem Schaden erreicht wird? Was das Auto bietet, muss man mit anderen Mitteln erreichen. Schnellstraßenbahnen, Autobusse, leistungsfähige Massenverkehrsmittel, damit die Bevölkerung aus der dicht besiedelten Stadt ins Erholungsgebiet fahren kann. Dabei ist die U-Bahn nicht das Allheilmittel: Es kommt drauf an, wo. Schnellstraßenbahnen sind in einer Ebene geführt, zerstören weniger, sind billiger, bequemer, man muss nicht immer hinunter und hinauf. Sie waren wesentlicher Bestandteil meines Planungskonzepts. Ingenieure werden das nicht ideal finden, aber Stadtentwicklung kann nicht nur auf der U-Bahn basieren. Die hat ein viel zu weitmaschiges Netz.

die furche: Sie haben gemeinsam mit vielen anderen namhaften Kollegen (unter anderen Gustav Peichl, Ernst Hiesmayr, Friedrich Kurrent, Hans Puchhammer, Johannes Spalt, Anton Schweighofer, Ottokar Uhl) einen offenen Brief an die Stadtverwaltung gegen das Hochhaus-Projekt Wien Mitte geschrieben. Wie lautet Ihre Kritik an dem Projekt?

rainer: Wien Mitte ist absolut überflüssig. Es schadet der Stadt und ihren Bewohnern in jeder Hinsicht. Ich muss nicht ein dicht besiedeltes Gebiet mit noch mehr Verkehr noch weiter belasten. Dieses Projekt dient nur den Besitzern des Bodens in diesem Bereich. Stadtplanung, die verantwortungsbewusst nach technischen, wirtschaftlichen, sozialen Kriterien handelt, muss immer fragen, was sie erreicht. In diesem Fall zerstört sie die Stadtsilhouette. Warum macht man Bürohochhäuser, die fast 100 Meter hoch sind? Ein Bündel von Fachleuten ersten Ranges war dagegen, die hat man einfach übergangen. In diesem Falle kann der demokratische Wunsch nicht ein Hochhaus sein, das mehr Nachteile als Vorteile hat. Die Bewohner der Inneren Stadt haben mehr Verkehr, weniger Aussicht, Sonne und Licht. Ich verstehe die Kriterien der Beurteilung eines Bauvorhabens nicht, das Belichtung und Besonnung der ganzen Umgebung wesentlich reduziert. Man nimmt den Bewohnern damit Licht und Sonne und entwertet ihre Grundstücke. Warum lassen sich die Leute das gefallen?

die furche: Dem Hochhaus als Bautyp stehen Sie sehr skeptisch gegenüber. Warum?

rainer: Das Hochhaus ist als Wohnhaus ungeeignet und für die Umgebung immer schlecht. Es nimmt dem Gegenüber die Aussicht und die Ruhe weg. Es wurde nur akzeptiert, weil es der Magistrat genehmigt hat. Ich würde mir das nicht gefallen lassen. Man kann doch tausenden anderen nicht mit einem Federstrich Licht und Sonne wegnehmen. Wenn ich sehe, wie viel schöner Raum in Wien frei ist, frage ich mich, ob man dort noch verdichten muss. Warum noch dichter? Die Nachteile werden immer größer. Damit Bodenspekulanten noch mehr Geld verdienen, müssen Menschen in ungesundem Ambiente leben.

Prinzipiell muss man zwischen Wohnhochhäusern und Bürohochhäusern unterscheiden. Es ist erschreckend, dass immer dieselben Fehler wiederholt werden! Jetzt wird das Hochhaus als Errungenschaft gefeiert, dabei ist es doch nur eine Fortsetzung der Zinskaserne als Missbrauch mit dem Boden

die furche: Jahrzehntelang waren Hochhäuser in Wien fast ein Tabu. Jetzt schießen sie förmlich aus dem Boden. Gibt es einen Grund für den neuen Wiener Hochhausboom?

rainer: Das Hochhaus ist ein Schmarotzer auf Kosten anderer. Früher hat man ihm im Interesse der Öffentlichkeit von der Stadtplanung aus einen Riegel vorgeschoben. Diese Barriere ist plötzlich gefallen. Jetzt erlaubt man es eben. Früher verlangte man von der Öffentlichkeit mehr Parks, wenn es in einem Wohngebiet zu wenig Grün gab. Für die, die durch die hohe Bebauung benachteiligt waren, schaffte man mehr Komfort. Man musste zum Hochhaus auch öffentliche Bedürfnisse erfüllen. Heute wird nicht mehr der Grünraum vergrößert, weil man hoch baut. Man gehorcht nur noch der Notwendigkeit. Ich frage mich alle Tage, warum der Riegel gegen das Hochhaus gefallen ist. Stadtplanung hat die Aufgabe, öffentliche Bedürfnisse zu erfüllen. Planungsstadtrat Schicker soll Ihnen erklären, wie er es damit hält. Warum man an bestimmten Stellen 100 Meter hoch bauen darf, und daneben nur 20.

die furche: In welchem Bereich sehen Sie heute Handlungsbedarf beziehungsweise Versäumnisse der Wiener Stadtplanung?

rainer: Handlungsbedarf überall - Versäumnisse viele.

die furche: Sie sind ein Verfechter des verdichteten Flachbaus. Wo liegen die Vorteile dieser Bauform?

rainer: So wird das dargestellt: der Rainer ist der Häuslbauer. Mein Lieblingsthema ist die Stadtplanung als Ganzes. Da spielen natürlich die Reihenhäuser eine wesentliche Rolle. Ganze Länder haben nur so gebaut. London ist zum Großteil verdichteter Flachbau.

die furche: In welchem städtischen Umfeld lässt sich verdichteter Flachbau am besten verwirklichen?

rainer: Verdichteter Flachbau ist nicht nur etwas für die Stadtrandlage. Das dürfte es gar nicht geben. Jeder Platz soll so gut sein, dass er die Qualität der Stadtrandlage hat. Die ganze Lainzerstraße in Hietzing ist eine Aneinanderreihung von zweigeschoßigen Häusern, die hinten ihre Gärten haben. Das ist mitten im urbanen Gebiet. Alt Hietzing, gegenüber dem Dommayer: das ist eine kultivierte, angenehme Wohnform. Die niedrigen zwei bis dreigeschoßigen Häuser sollten der normale Typ sein. Die haben alle Vorteile, die man sich wünschen kann. In Persien, in China, in Pompeji, in allen frühen Hochkulturen waren jahrhundertelang die Städte nur mit ebenerdigen Hofhäusern bebaut. Nur die öffentlichen Gebäude und Moscheen waren anders. Auch im Mittelalter waren die Wohnhäuser klein und die Kirchen hoch. Das kleine Haus gibt den Maßstab für das große an, das öffentliche Gebäude wird zur Stadtkrone. Verdichteter Flachbau lässt sich überall verwirklichen. In meiner Gartensiedlung Linz-Puchenau gibt es alle Hausformen, 3.000 bis 4.000 Leute sind darin sehr glücklich. Es gibt Familien, die leben in der dritten Generation in Linz Puchenau.

die furche: Sie haben selbst mit Herrmann Knoflacher ein Gutachten zu Landstrasse-Wien Mitte erstellt. Welche Form der Architektur schlagen Sie dort vor?

rainer: Wir haben eine achtgeschoßige, innerstädtische Bebauung in der typischen Blockstruktur vorgeschlagen. In den ersten Geschossen waren vielfach zusammenhängende, große Laden- und Geschäftsflächen mit Cafés vorgeschlagen, darüber gegliederte, lichtdurchflutete Bürogeschosse, gekrönt von Wohnungen mit ringsumlaufenden Terrassen. Dieser Vorschlag war genehmigt, durchgearbeitet, geplant. Man bringt dort in der jetzigen Form mit den 97 Meter-Türmen nicht wesentlich mehr Wohnungen unter.

Das Gespräch führte Isabella Marboe

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