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Heimeliges Hochhaus

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Am Stadtrand von Wien, in Alt-Erlaa, wurde die Wohnzufriedenheit getestet. Ergebnis: Eitel Wonne, Sonnenschein. Sind also riesige Neubausiedlungen doch die Lösung des Wohnproblems?

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Am Stadtrand von Wien, in Alt-Erlaa, wurde die Wohnzufriedenheit getestet. Ergebnis: Eitel Wonne, Sonnenschein. Sind also riesige Neubausiedlungen doch die Lösung des Wohnproblems?

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Kaum haben wir uns an die lieben Bilder von den lieben alten Häusern gewöhnt, die via Geldinstitute ins Postkastl geflattert kamen, um uns die Altstadtsanierung schmackhaft zu machen -mit Krediten des jeweiligen Instituts, versteht sich —, werden wir schon wieder auf ein ganz neuen Wohngefühl getrimmt, diesmal durch eine wissenschaftliche Arbeit.

Vier renommierte Forscher (Irenaus Eibl-Eibelsfeldt, Hans Hass, Kurt Freisitzer, Ernst Gehmacher) und der Architekt Harry Glück weisen in einer Broschüre darauf hin, daß die riesigen Wohnanlagen dieses Architekten in

Wien zum Besten gehören, was man im sozialen Wohnbau erreichen kann.

Bewohnerbefragungen hätten eindeutig ergeben: Die Leute fühlen sich nicht nur subjektiv und absolut betrachtet sehr wohl in ihrem Domizil, auch im Vergleich mit anderen, ähnlichen, aber nicht so gut ausgestatteten Wohnanlagen ist der Zufriedenheitsgrad signifikant höher, wie es im einschlägigen Jargon so schön heißt.

Glücklich in Alt-Erlaa? Glücklich im Massenwohnungsbau? Ja!

Man wird sich von dem Vorurteil verabschieden müssen, daß das Zusammenleben sehr vieler Menschen in einer einheitlich gestalteten Wohnanlage grundsätzlich und zwangsläufig zu großen Problemen führt. Es muß dann nicht zu Problemen führen, wenn die Wohnbereiche jedes Geschosses in kleinere Einheiten unterteilt sind, wenn jede Familie sich in die Ungestörtheit ihrer Wohnung mit großer, luftiger Terrasse zurückziehen kann und die Anlage — das ist das Entscheidende — über kommunikationsfördernde Zusatzeinrichtungen verfügt, wie man sie sonst nur in Bezirkszentren findet.

Den Schwimmbädern auf den Dächern mit ihrer Aussicht auf ganz Wien zum Beispiel kommt in diesem Konzept eine entscheidende Rolle zu.

Solche Extras kann man natürlich nur bei Großbauten zur Verfügung stellen, und damit werden diese Strukturen gerechtfertigt. Der Mensch braucht auch in der großen Stadt ein bestimmtes Minimum an Bezügen zu Mitmensch und Natur. Wohnen, welches derartiges bietet, wird „vollwertiges Wohnen” genannt. Soweit die Autoren.

Ist der Massenwohnungsbau dieser Art daher die Wohnform der Zukunft? Ich könnte mir vorstellen, daß das Glück-Konzept auf die Wohnbaupolitik der DDR entscheidenden Einfluß ausüben wird. Im Westen lautet die Antwort auf die obige Frage eindeutig Nein. Und zwar aus verschiedenen Gründen, die in der Broschüre unbehandelt bleiben, j|i nicht einmal als Frage formuliert aufscheinen.

Von den technischen und baubiologischen Implikationen will ich gar nicht reden. Das ist vielleicht zu fachspezifisch. Immerhin hat uns der jüngste Innsbruk-ker Hochhausbrand wieder die Verletzlichkeit hochtechnisierter Baumonstren vorgeführt.

Da sind vor allem einmal jene teils geplanten, teils unbewußten Auswahlmechanismen, die gerade im Beispielfall Alt-Erlaa, mit seinem markant kraftstrotzenden, futuristischen Appeal, genau jene Leute ins Haus brachten, die dort gerne wohnen wollten, so daß die nachherige Ermittlung der Wohnzufriedenheit fast einer Tautologie gleichkommt.

Es dürfte sich um eine Minderheit der Wiener handeln, auch was die Zahlungskräftigkeit betrifft. Es könnte durchaus der paradoxe Fall eintreten, daß der überwiegend positiven Einstellung der Bewohner eine überwiegend negative des Rests der Wiener gegenübersteht, ja das ist sogar sehr wahrscheinlich. Danach haben die Wissenschafter leider nicht gefragt.

Die Minderheitentheorie wird auch dadurch gestützt, daß für einen weiteren „vollwertigen” Wohnbau, den erst jüngst fertiggestellten Heinz Nittel-Hof in Wien-Floridsdorf mit der Lupe Bewohner gesucht werden müssen, die sich solches Wohnen auch leisten können, während gleichzeitig rund 20.000 Wiener um eine Wohnungszuweisung Schlange stehen.

Wie sozial ist der soziale Wohnungsbau eigentlich noch? Nicht nur die Wartenden werden sich gefrozzelt vorkommen. Auch der indignierte Rest der Steuerzahler wird sich fragen, was mit dem Geld, das ihm unter dem Vorwand des sozialen Wohnbaus aus der Tasche gezogen wird, eigentlich geschieht.

Wohnen hat viele Gesichter. Der „soziale Wohnbau” hat vorrangig einmal allen Leuten, die überhaupt nicht „wohnen”, im landläufigen Sinn eines akzeptablen Dachs über dem Kopf, eine brauchbare Wohnung zu schaffen. Und zwar schnell. Familien mit kleinen Kindern muß dabei absoluter Vorrang eingeräumt werden, weil wir von den Sozialpsychologen (Hans Strotzka) wissen, daß die kindliche Wohnumgebung lebensprägend wirkt.

Dann erst können wir über das „Vollwertwohnen” weiterplaudern. Es ist mit Sicherheit falsch, das Glück'sche Beispiel zu verallgemeinern. Was dem einen sein Schwimmbad, ist dem anderen sein Theater. Umfassender betrachtet mündet der Diskussionsanstoß in ein großes Plädoyer für die Stadtsanierung.

Die meisten Infrastruktureinrichtungen, welche von den Soziologen für „vollwertiges” Wohnen gefordert werden, sind im dichtbebauten Gebiet schon vorhanden, das übrige, insbesondere die Naturbezüge müssen wir noch schaffen, wenigstens in rudimentärer Form.

Für Altstadterneuerung

Eine durchgreifende Stadtsanierung in diesem Sinn eröffnet tausendfältige Möglichkeiten des Wohnens, jedenfalls ein viel breiteres Spektrum, als es moderne Massenwohnungsbauten jemals bieten können. Darunter werden viele „Vollwertwohnungen” sein, aber auch weniger gute Behausungen.

Wichtig ist, daß in Altstadtgebieten — auch heute schon — Angebote zur Verfügung stehen, die akzeptabel und erschwinglich sind. Man kann sie erhöhen, ohne Baugelder zu investieren, indem man z. B. die leerstehenden Wohnungen für den Bedarf mobilisiert. Wie, ist natürlich ein eigenes Kapitel.

Solche Gedanken hat die Baulobby nicht gern. Sie will weiterbauen. Groß und viel. Sie ist gefährdet. Alle Prognosen deuten auf eine radikale Einbremsung der Neubautätigkeit hin.

Die „Fertigteilbau Wien”, die während ihres über 20jährigen Bestandes an die 25.000 Wohnungen errichtete, hat erst jüngst das Handtuch werfen müssen. Was vordergründig „Vollwertwohnen” heißt, ist hintergründig ein Kampf um Arbeitsplätze. In einer aufgeblähten Bauindustrie.

Wissenschafter aufgepaßt! Man kann auch mit der Verlautbarung richtiger Erkenntnisse ein falsches Bewußtsein nähren!

Der Autor ist Architekt.

STADT UND LEBENSQUALITÄT. Von Irenaus Eibl-Eibelsfeldt, Hans Hass, Kurt Freisitzer, Ernst Gehmacher, Harry Glück. DVA und österreichischer Bundesverlag, Wien 1985.179 Seiten, ill.

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