6610982-1954_51_06.jpg
Digital In Arbeit

Baukunst im kalten Krieg

Werbung
Werbung
Werbung

Oeffentliche Gebäude sind Symbole der Macht, und wer meint, die Uebertreibung der Symbole durch abgewirtschaftete Systeme werde nun durch eine Beschränkung auf das „Vernünftige" abgelöst, irrt sich gründlich. Die russische wie die amerikanische Bausymbolik erhebt den gleichen Anspruch wie die hitlerische. Desgleichen haben sich die Intellektuellen in aller Welt eine Formensprache ausgedacht, die an der Hausform, daher auch an der Lebensform, rüttelt. Als Antwort darauf sind die Konservativen zu einer levée en masse angetreten, die sich mit neun Zehntel aller neuen Häuser und Möbel ausweist und den Anstrengungen der Neutöner hohnlacht. Schließlich hat die Kunstbildung eine Unmenge gescheiter Leute hervorgebracht, welche wissen, was die Kunst im allgemeinen und im besonderen Platz verlangt, so daß sie imstande sind, das keimende Pflänzchen neuer Form oder neuer Tradition totzureden. Die Architekten, nach Erbmasse und Werdegang den obigen und vielen anderen Lagern angehörend, stehen ziemlich dumm im Streite, als Geführte, nicht als Führende. Sie haben ihre Position an die Meinungsmacher verspielt. Der Star von gestern, der zur Zeit des Individualismus einen soliden Stamm von Propagandisten als gütiger Souverän anführte, und dem braven Kollegen gelegentlichen Zuspruch gönnte, sieht die Hausmacht zerbröckeln und versteht die Welt nicht mehr.

Die Welt, die heutige, ist schwer zu verstehen. Es gibt zu viele richtige Richtungen, aber keine verbindliche Grundhaltung. Es gibt daher auch allzuviele Architekturen. Alles was stark ist, hat eine zumindest dem Volumen nach starke Baukunst. Während Individualismus und künstlerische Persönlichkeit zum komischen Relikt heruntersanken, bläht sich das Kollektive. Es ist niemals fein. Zwar macht die Intelligenz noch immer die Meinung, aber sie ist mit der Macht gekoppelt und ist insoferne dünn geworden, als sie die Lebensströme nicht mehr beherrscht, die zu einer großen Baukunst Voraussetzung sind. Sie unterstützt daher eine Spielart der Baukunst, die nihilistisch zu nennen ist, weil sie auf dem Amüsiertsein beruht. Sie erfaßt das Volk nicht und niemand kann sich über ihre Dauer Illusionen hingeben, welcher sieht, wie jedes Jahi; der neue Reiz den alten frißt. Die massive Kollektivität aber, die sich auf das Gerührtsein vor dem Altgewordenen oder noch viel öfter einfach auf Grinzing verläßt, weiß um die Kraft der Wiederholung Bescheid.

Aus der Vielzahl der religiösen, politischen, künstlerischen Grundhaltungen erwächst eine analoge Zahl stilistischer Versuche, die den Bürger vor den Kopf stoßen. Er sammelt sich in sentimentalen oder geistreichen Kollegien und beschließt — was kann der Unschöpferi- sehe anderes beschließen — das Althergebrachte. Die Unzufriedenheit mit dem Bild der erneuerten Städte führt dazu, daß man neuerdings sogar das große Tabuwort „Städtebau" anzweifelt und heftige Diskussionen darüber anstellt, wie der „Verwüstung“ Einhalt geboten werden kann. Mit den Darmstädter Gesprächen begann es in Deutschland. Die Bewegung greift nunmehr nach Wien über und die Tonart verschärft sich. Trutzbauten der alten wie der neuen Richtung werden aufgeführt, dem eiflen ein erhebendes, dem anderen ein zu verabscheuendes Symbol.

Vielleicht haben beide recht. Aber erst dann, wenn der Bau steht. Niemals solange er sich im Skizzenstadium befindet. Die belanglose Skizze kann durch die besondere Art des Künstlers zum Meisterwerk ausreifen. Die Nuance entscheidet im Künstlerischen. Aber die Diskussionen, die über die Skizzen entbrennen, stützen sich auf das „Prinzipielle“. Darauf etwa, daß ein großer ‘ oder hoher Baukörper unter allen Umständen den niedrigen erdrückt. Es gibt aber in der Baugeschichte der Fälle genug, wo das Meistertverk gerade durch die öde Nachbarschaft zum Juwel wird. Ebenso gibt es eine Unzahl von Stadtsilhouetten, wo keineswegs ein dominanter Turm wie St. Stephan durch andere hohe oder sogar plumpe Baukörper Verlust erleidet. Wenn man auch zugibt, die Gefahr sei in der heutigen ungeklärten und brutalen Architektur größer, so ist nichtsdestoweniger die Argumentation falsch und noch mehr die kleinlichen Mittel der korrigierenden Verbesserung. Man kann sagen: Es ist zu gefährlich, in die ehrwürdige Umgebung einen neuen Bau zu setzen, weil wir keinen Meister haben, dessen Lebensarbeit eine Gewähr für die glückhafte Lösung bietet. Aber man kann nicht sagen, daß es irgendwelche Baumaße gibt, die prinzipiell am gegebenen Platz unzulässig sind. Eine Rede,

die darauf zielt, man soll am besten gar nichts machen, und früher sei es viel schöner gewesen, ist sentimental und eigentlich feige. Man müßte das vertrauenswürdige Talent finden. Diesen dürfte man ebensowenig die Hände binden, als man es bei einem Komponisten oder Schriftsteller für möglich hält. Jedoch eine solche Begründung ist unwienerisch, weil die Bezweiflung des Könnens auf einen persönlichen Angriff hinausläuft. Nicht einmal unter Berufung auf den aus der Renaissance stammenden Erfahrungssatz, der beim Baukünstler die 40-Jahr- Grenze fordert, kann man den aus politischen Gründen geförderten Kult der Jugend unterbrechen und so wie im Politischen die Meisterung der unsicheren Zeit den Alten anvertrauen.

Es wird also bei jeder Gelegenheit weiter gebeckmessert, so daß man gespannt sein mag, zu welchem Zeitpunkt der kalte Krieg in die Revolution der empörten Wienerherzen übergeht Dabei scheint es einfach zu sein, in eine vernünftige Ordnung einzumünden. Man muß die Talente finden, die Konfektionäre ausschalten. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß die Baukunst ebenso verworren ist wie die geistige Situation, so daß also an ehrwürdiger Stätte nur in äußersten Notfällen Neubauten entstehen. Will man sie verhindern, so muß eine Organisation den Grundeigentümer entschädigen. Entschließt man sich zum Bau, so soll der Chor der Dreinredner zum Verstummen gebracht werden, weil die vielen Köche den Brei verderben. Mit dem Uebertragen der Lasten auf andere Schultern, der Bezahlung der Schönheitsforderung aus anderen Taschen, soll man Schluß machen. Denn erstens gibt es für jede Aufgabe eine Lösung, zweitens ist das Leben unter allen Umständen stärker und drittens läßt sich eine konservative Haltung schwer mit dem Verlangen nach kostenloser Grundabtretung, Verminderung der Stockwerkszahl usw. vereinigen. Hier liegt die moralische Schwäche der Kulturverteidiger, die dann von den beamteten Managern sehr leicht ad absurdum geführt werden: Man läßt sie ausreden, sich gegenseitig paralysieren und schafft zur gegebenen Zeit über Nacht ein mit Sanktionen verknüpftes Faktum.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung