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Jugend und Alter

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Das Jahrhundert des Kindes hat sich mannigfach ausgewirkt, von der — durchaus positiven — Versorgung des neugeborenen Erdenbürgers mit kommunalen Windeln bis zum — durchaus negativen — Mißbrauch der heranwachsenden Generation zu politischen Zwecken. So führte es auch zu eigenartigen Wandlungen des Begriffes Jugend ebenso wie zu neuen Auffassungen über deren Funktionen. Seit alters her war es dieser eigentümlich, sozusagen den Sauerteig der Gesellschaft zu bilden. War die Gesellschaft statisch, und Jahrhunderte hindurch präsentierte sie sich so, dann maß man dynamischen Kräften nicht gerade viel Bedeutung bei. Man ließ die Jugend mehr oder minder fröhlich auf dem Felde der Ehre die Klingen kreuzen, vertraute aber in ernsten Dingen dem „Rat der Alten“. Als die rapide Aenderung der Produktionsverhältnisse unsere Gesellschaft in eine dynamische verwandelte und es neuer Gesellschaftsformen bedurfte, mußte die Jugend als das verändernde Element an Gewicht gewinnen. Neben dem Schlachtfeld forderte nun die Produktion immer gebieterischer ihre jungen Kräfte. Aber auch in diesen Perioden verschloß man sich nicht der keineswegs originellen Erkenntnis, daß die Jugend ein Zustand sei, der letztlich individuell doch durch das Alter abgelöst werde. Daß dem nicht so sein müsse, entdeckte man neben mehreren anderen Ideen in Deutschland. Die sogenannte „Jugendbewegung“ erhob das Jungsein zu etwas Absolutem, zu einer prinzipiellen Lebenshaltung, die es sogar dann zu wahren galt, wenn man den Jahren nach dazu gar nicht mehr berechtigt gewesen wäre.

Im „Wandervogel“ brach die Jugend, die schon in Bismarcks Deutschem Reich geboren worden war, aus den Hürden des konservativen Spießertums aus und in die Gefilde des revolutionären ein. Die Abneigung gegen die altdeutsche Enge ihres Heimes verband sich mit dem halben Verstehen neuerer Philosophen, mit dem Ergebnis, „den Puls des Lebens zu fühlen“.

Diese Elite sollte als Jugend den Staat prägen: . , JV

„Der Hochband dient dem neuen Menschenbild, das in der deutschen Jugend aufgestanden ist, und seinem heiligen Reich*.“ Und dieses „neue Menschenbild“ sollte im gesellschaftlichen Pflichtenkreis realisiert werden: „Aus der Sendung und der Kraft des Jugendbundes muß das Manneswerk geschehen, in nüchterner Arbeit und heißem Kampf. Es gilt, das Bild hüten, Zucht üben, Treue wahren, Bund bleiben, volkshaft und welthaltig dem Reich dienen. Nur dann war das Opfer nicht umsonst; denn nur so treffen wir das deutsche Herz. Dieser Weg führt von einem bloßgelegten und suchenden Herzen zu einem anderen*.“ Mit derlei Sätzen war das Feld für die ambi-tionierten Leute, die alsbald Deutschlands Führung übernahmen, gut bereitet. Diese versäumten auch nicht, sich der Jugend ob ihrer Zu-kunftsträohtigkeit intensiv und mit einigem Erfolg anzunehmen.

Den tüchtigen Politikern folgten die ebenso tüchtigen Unternehmerpersönlichkeiten auf dem Fuße. Erkannten die einen, daß man aus dem Gebrauch der Jugend Macht, so bemerkten die anderen, daß man daraus Profit gewinnen könne. Und es wächst die Schar, jener, die servil um die Halbwüchsigen scharwenzelt, um ihr das gar nicht wenige Geld aus der Tasche zu ziehen. Der „Teenager“, wie ihn unsere an eigenständigen Wortschöpfungen so reiche Zeit nennt, bildet allmählich eine geschlossene Gruppe, um die sich eine ganze Industrie aufbaut. Ausgehend vom Film und — wenn man das Gestammel so nennen will — Gesang bis zur Beklei-dungs- und Fahrzeugproduktion. Soweit gut. Unsere Nachfahren gehen eben wieder einmal daran, eine eigene, außerhalb der unseren

Zitiert nach Harry Pross: Die Zerstörung der deutschen Politik, Fischer-Bücherei.stehende Gesellschaft zu gründen, und es entspricht der geistigen Trägheit der Epoche, daß sie keine Ambitionen hegt, die ganze Gesellschaft in ihrem Sinne zu reorganisieren. Dieser Aufsatz soll nicht den recht komplexen Gründen nachgehen, die diesmal dazu führten. Das wurde an anderer Stelle schon getan und im übrigen versichern bestimmte Zeitungen nach jeder ausgelasseneren Unterhaltung Halbwüchsiger, in deren Verlauf Einrichtungen und Nasenbeine zertrümmert werden, daß unsere Jugend nicht besser und schlechter sei als eben zu allen Zeiten. Also muß man sich nicht beunruhigen.

Bemerkenswert sind die Reaktionen der Erwachsenenwelt. Auf diese scheinen — wenn auch verspätet und in anderen Bereichen — die Parolen der Jugendbewegung zu wirken. Im letzten Jahrzehnt ist nämlich tatsächlich so etwas wie ein Jugendkult entstanden. Das hat nichts damit zu tun, daß die Jugend ihrer gesellschaftlichen Funktion wegen anerkannt wird. Das hängt nicht vom Fortschritt der Kosmetik ab, sondern davon, daß sich unsere Zeit immer mehr auf vulgär-materiellen Lebensgenuß ausrichtet. Eine Periode, die unter dem Doppelgestirn von Sexualität und leichtem Gelderwerb steht, muß natürlich jene Eigenschaften verehren, die zumindest zu ersterem die größten Möglichkeiten eröffnet.

Das führt zu einer gesellschaftlichen Abwertung des Alters. Am stärksten treten aber deren Symptome auf dem Arbeitsmarkt hervor, indem sich die Unternehmer beharrlich weigern, trotz Mangels an Arbeitskräften ältere Dienstnehmer einzustellen. Aber der Begriff des „weisen Alten“ ist aus unseren Vorstellungsbildern völlig entschwunden und durch den volkstümlichen Begriff des „alten Teppen“ ersetzt worden. Daraus ergeben sich aber auch die erheiterndsten Situationen in der parteipolitischen Publizistik. So ist es in unseren Breiten nicht nur üblich geworden — das ist ein Geschenk der Vereinigten Staaten —, daß der Politiker vor der Kamera grundsätzlich lacht, als ob die Politik eine unbändig lustige Sache wäre, sondern daß man, besonders in Wahlzeiten, nur Maturaporträts veröffentlicht.

Anderseits ist es kein Widerspruch, daß sich die SPOe gezwungen sah, durch Parteitagsbeschluß zu verhindern, daß die Politiker bis ins biblische Alter auf ihren Sesseln kleben bleiben. Solche Maßnahmen werden notwendig, weil die bejahrten Funktionäre ihre jugendliche Agilität sich und den anderen beweisen wollen. Nur wenige verstehen es, im richtigen Augenblick zurückzutreten und ihr Alter in einem eben dieser Lebensepoche entsprechenden Stil zu verbringen.

Sosehr man allerdings der Umwelt das Schauspiel ewiger Jugend vorgaukelt, sosehr man die Jugend im Munde führt und auch dort lobt, wo ihr harter Tadel gebührte, so wenig denkt man daran, diese wirkliche Verantwortung tragen zu lassen, wo nicht der akute Mangel — wie beispielsweise an den Universitäten — dazu zwingt. Da läßt man lieber Maturabildnisse veröffentlichen.

Manche meinen, das Problem löse sich von selbst, man möge die Dinge ruhig auf sich beruhen lassen. Die nächste heranwachsende Generation habe ohnedies an nichts anderem Interesse als am Geldverdienen, so daß den bejahrten Funktionären mangels einer Möglichkeit abgelöst zu werden, nichts übrigbliebe, als auf ihren Stühlen, zu sitzen, bis sie buchstäblich herunterfallen. Allerdings wäre damit weder der Gesellschaft gedient noch dem Alter und seinem Wert.

Diese Anomalie läßt sich aber gar nicht so leicht korrigieren. Es handelt sich ja um Symptome 'sehr tiefgreifender Verzerrungen in den Wertvorstellungen unserer durch rapiden ökonomischen Aufstieg geprägten Gesellschaft. Um sie verschwinden zu lassen, bedürfte es einer gründlichen Gesellschaftsreform. Das möge allerdings jenen, die dem Uebel steuern könnten und keinen Finger rühren, nicht als Entschuldigung dienen. Auch umfassende Reformen lassen sich in der Gegenwart nicht dekretieren, sondern werden durch vielfältige und mühselige, besonders erzieherische Arbeit am Gesellschaftskörper wirksam.

Man handle also! Die Zeitungen mögen künftig keine Maturabildnisse von Leuten zwischen 60 und 70 bringen, diese wieder mögen versuchen, mit Würde zu altern, und schließlich rede man nicht zuviel von der Jugend, sondern übertrage ihr Verantwortung.

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