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Frauenuberschu

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In einem Brief aus England berichtete man vor kurzem, daß englische Journalisten den Frauenüberschuß in Österreich in den Alters Jahrgängen zwischen 18 und 45 Jahren auf 65 Prozent berechnen.

Frauenüberschuß. Das kann bedeuten: Frauen, sich neidisch verdrängend in allen Berufen, sich um jeden Lohn anbietend, daher lohndrückend auch für den männlichen Arbeitnehmer. Heimarbeiterinnen in sonnenlosen Hinterhauskämmerchen, um einen dankbar angenommenen Schundlohn arbeitend, bis die Tuberkulose dem Elend barmherzig ein Ende macht. Mädchen, die den bangen und oft schmutzigen Kampf um den Mann und Versorger wieder aufnehmen müssen, wenn sie nicht die mutlose Reihe der Arbeitslosen verlängern wollen. Frauen, hoffnungslos auf die Straße gedrängt und der Prostitution preisgegeben. Das kann bedeuten: Unzählige Herzen, Hirne, Hände ausschalten aus gemeinnützigem Tun; Tausende Frauen verurteilen zu einem unseligen Leben, zu einem trostlosen Sterben.

Frauenüberschuß. Das kann bedeuten: ein Volk, durchsetzt von der dienenden Bereitschaft mütterlicher, arbeitstüchtiger Frauen. Frauen an allen Stellen, wo es gilt, Fürsorge, Heimlichkeit, Wohlbehagen, Freude zu geben, Beziehungen von Mensch zu Mensch zu schaffen, Dienst am Kind, am jungen Menschen, am leidenden, am fehlgegangenen, am alten Menschen zu leisten, und ein ganzes Herz für jeden Menschenbruder einzusetzen. Mädchen, hingespinnt auf ein bewahrendes Lebensziel, die Jugend nützend in ehrlich schwerer Berufsvorbereitung, alle Ichwünsche vergessend in einem geliebten Beruf. Das kann bedeuten: ein Volk, das sich durch Fraueneinfluß einstellt auf Friede, Güte, Menschenwertnng und Menschenliebe. Frauen, deren Leben gesegnet ist und deren Sterben beweint wird von vielen.

Frauenüberschuß Das kann ein unlösbares Problem oder eine herzenlösende Gnade bedeuten. Das kann Fluch oder Segen sein.

Immer wieder hat es in der Geschichte da und dort Frauenüberschuß gegeben. Jede Zeit ist in ihrer Art damit fertig geworden. Zumeist haben die Frauen aus der Zeit heraus die Lösung ihrer Frage gefunden und niemals zum Schaden der Gemeinschaft. Um sehr weit zurückzugehen: Was waren die Beginen des Mittelalters, deren es Abertausende gab, anders, als ein Frauenüberschuß, der sich ohne äußere Organisation und ganz aus dem Denken des Mittelalters heraus auf der Hände Arbeit verlegte, ein zurückgezogenes Leben führte, sich besonders dem Dienste des Nächsten widmete und dabei, wie Martin Grabmann in seinem Werke „Mittelalterliches Geistesleben“ feststellt, durchaus „nicht ein pessimistischer, finsterer, sclbstgenügsarner, auf Andersdenkende und Anderslebende gering herabschauender Frauentyp war, sondern frohe, hochgemute, selbst.ose, von hingebender Nächstenliebe erfüllte Seelen“.

Der Frauenüberschuß des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das in wiederholten Revolutionen Freiheit und Gleichheit aller Menschen verlangt hatte, äußerte seinen Lebenswillen in einer Art Revolution. Es waren damals unerhörte, heute selbstverständliche Rechte, die die Frauen für sich verlangten, ja stürmisch und hartnäckig begehrten. Die weiblichen Revolutionäre stammten aus den bestbürgerlichen Kreisen, sie hatten das verächtliche Schmarotzertum der alten Jungfer-Tanten als unerträglich und entwürdigend erlebt sie warfen die versklavende Tradition ab, die ihnen nur zwei Lebenswege offen ließ, den der Ehe und den ins Kloster. Als diese Frauen in die Hörsäle und Laboratorien einzogen, als sie als erste Frauen unter Aufsehen in diesen oder jenen Beruf einrückten oder gar in die Rigorosen stiegen, da hatten sie eine schwierigere Umwälzung durchgekämpft als jene männliche Jugend, die für Parlament und Preßfreiheit Barrikaden gebaut hatte.

Der Frauenüberschuß nach dem ersten Weltkrieg stammte aus den bürgerlichen, ' bäuerlichen und proletarischen Kreisen. Mit der Vitalität dieer besten und unaus-geschöpften Volksschichten waren die Frauen schon während des Krieges in die verschiedenen Berufe eingetreten. Es ergab sich aus der Zeit, daß sie diesmal ihre Sache in den politischen Parteien und durch sie austrugen. Links und rechts standen Frauen von großem Format auf und nahmen sich der Sache ihrer Schwestern an. Sie setzten es — wenn es nottat, sogar mit parlamentarischer Intervention — durch, daß die Frauen immer mehr in die ihnen zukommenden leitenden Stellungen einrückten und daß sich ihre Gleichberechtigung in allen Berufen zumindest theoretisch durchsetzte. Wenn die Linke dabei die Frauenfrage in materiellem Sinne großzügiger löste als die Rechte, so war es wiede. diese, die die weltanschauliche Lösung unterbaute. Denn nicht von der materiellen Seite her allein läßt sich die Frage des Frauenüberschusses behandeln. Lauter und unabweisbarer als beim Mann spricht das Herz in der Frau und begehrt das gute, alte Reclu auf Liebe und Heim, auf Mutterschaft und Kindersegen. Es war die Verankerung in der Religion, es waren ihre geheimen und nur dem Glaubenden sich öffnenden Kraftquellen, die eine besonders gefährdete Frauengeneration so formte, daß sie der Invasion der nazistischen Ideenwelt widerstand und einen Krieg von unerhörter Leidenswucht ertrug.

Der Frauenüberschuß nach dem zweiten Weltkrieg sitzt vielfach noch in Schulbänken, er kommt in einem Abbau sondergleichen aus Betrieben und Büros nach Hause, er hat in so manchen Fällen sich wieder auf die Schulbank gesetzt, um einen neuen Weg zum Brot zu finden.

Es ist sicher, daß wir Frauen der älteren Generation, die wir jede ganz persönlich für uns die Frage des Frauenüberschusses aus Gottes Gnade schon einmal lösen konnten, eine große Verantwortung haben für die letzte Generation, die unsern Weg noch steiler “wird gehen müssen. Man muß nur einmal vor Schulklassen stehen — ob es in Wien, in Linz oder Ischl ist — und unsere Mädchen sehen, ihre hellen Augen, ihre reinen Stirnen, ihre frischen Wangen. Ganz heiß strömt es da einem durchs Herz vor Liebe und Mitfühlen; sie werden es schwer haben, sie werden lieben, ohne Gegenliebe zu finden, sie werden die Kinder anderer Frauen sehnsüchtig betrachten. Sie werden viel lernen, hart arbeiten, viel allein durchstehen müssen, um sich ihr schmales Brot, ihr kleines Heim zu sichern; sie werden viel überwinden, vielem entsagen müssen, um zufrieden und endlich glücklich zu werden. Und unwillkürlich gelobt man im stillen einer solchen Mädchenschar: Ich will alles tun, was in meiner Macht steht, damit auch euer Leben, sich rundet und in einem herzausfüllenden Berufe eure Mädchensehnsucht weite Erfüllung findet!

Die Frage des Frauenüberschusses wird letzten Endes von den Frauen gelöst werden müssen. Zu sehr sind die Männer in die schweren Fragen des Wiederaufbaues eines zerschlagenen, geplünderten Landes verstrickt. Zu hart ringen sie mit Problemen der elementarsten Lebenssicherung. Zwar brauchen wir ihre Hilfe, und ihre Bereitschaft ist uns auch heute offener denn je, auf jeder Seite, bei jeder Partei. Sie werden uns Wege ebnen, Türen öffnen, Mittel bereitstellen; aber das Beste müssen wir Frauen hinzutun: die Grundlinien ziehen,

„In der nächsten Zukunft wird ein bestimmtes Maß Planwirtschaft lieber Zusammenarbeit unvermeidlich sein, aber strenge Staatskontralle ist an sich keine Errungenschaft, und Entwürfe, um die Industrie der direkten Kontrolle der Wählerschaft zu unterstellen, müssen mit großer Sorgfalt überprüft werden. In einer zentralisierten Wirtschaft unter Staatskontrolle verliert nicht nur der Kapitalist und Unternehmer etwas von seiner Freiheit, sondern auch der Arbeiter und der Verbraucher. Wir dürfen nicht vergessen, daß übertriebene Zentralisation die Industrie nicht allein gebrechlicher und weniger anpassungsfähig macht und den Interessen und der Bewegungsfreiheit des Arbeiters Einbuße tut, sondern auch, daß bei der Verbilligung industrieller Produkte die Spezialisierung eine weit größere Rolle gespielt hat als die Vereinheitlichung der Kontrolle. Wenn nicht, wie es in Kriegszeiten der Fall ist, ein machtvolles anfeuerndes Motiv jeden einzelnen Arbeiter erfüllt, so sind große Organisationen nur geeignet, sich als starr, leistungsunfähig und unmenschlich hart zu erweisen. Man darf keineswegs die Gefahr unterschätzen, daß der blinde Eifer dilettantischer Organisatoren uns in den bevorstehenden Umwälzungen eiserne Planungssysteme aufzwingt, die, jeder Entwicklung und jedes Wachstums unfähig, dazu führen werden, unternehmungsmüde Schablonenmenschen ohne Initiative hervorzubringen.“

Michael Roberts, „Die Erneuerung des Westens“ in denen die Lösung der Frauenfrage geschehen soll, den Geist schaffen, aus dem heraus wir uns gegenseitig helfen wollen.

Dieser Geist wurde geboren in den Konzentrationslagern; es ist die ehrfürchtige Haltung vor jedem Menschenbruder,“ wer immer er sei, es ist eine absolut soziale Ausrichtung, die an keinem VorteiJ Freude hat, der nicht auch dem Bruder zuteil wird; es ist ein barmherziges Umfangen jedweder leidbestimmten Kreatur. Wenn dieser Geist die Menschen beseelte, dann hätte unerhörtes Leid unerhörten Sinn gefunden, dann wären Millionen Nächte nicht umsonst durchwacht, durchweint, durchlitten; denn Tage froher Menschenliebe stiegen freudeschenkend aus ihnen auf.

Man mag uns Frauen neue Lebensaussichten eröffnen, tausend neue Berufsmöglichkeiten geben; wenn wir nicht von der durchlebten und durchlittenen Tragik der vergangenen Jahre zur letzten Selbstlosigkeit gedrängt wurden, wenn uns das Leid von Tausenden nicht segnet zur brennenden Leidenschaft einer neuen Nächstenliebe, dann werden wir alle Menschenfragen nur in alter Flickmethode lösen, dann bleiben tiefste Frauenfragen ungelöst.

Noch sind wir alle eingesponnen in die beengenden Kreise selbstsüchtigen Denkens. Sieben Jahre lang hat ein jeder nur daran in Bangigkeit denken müssen, seine Nahrung, seine Habe, seine Existenz, sein Leben zu sichern. Der eine versuchte es mit der Mitgliedschaft bei der Partei, der andere durch Spenden, der dritte durch Windungen und Wendigkeit. Es wird Zeit, daß die Menschen herausfinden aus dem Krampf der Ichsicherung. Frauen müssen dies zuerst imstande sein.

Es , d a r.f keine Frau geben, die ihre Augen schließt vor der Bedrohung, der ihre Mitschwe-stern durch das Problem des Frauenüberschusses ausgesetzt sind. Die Frauen in den gesetzgebenden Körperschaften werden ihre äußerste Energie daransetzen müssen, um alle Möglichkeiten zu fördern, durch die Frauen zu Beruf und Brot kommen können. Die Frauenvertreterinnen in den Gewerkschaften und Kammern werden es nicht leicht haben, wenn sie ihren Kolleginnen die gleichen beruflichen Rechte, die gleiche materielle Stellung sichern wollen, wie sie die Männer haben. So manch frauenfeind-lichc Bestimmung der Hitlerzeit muß noch durch energische Frauenhände zum Tempel hinausgefegt werden. Die Frauen in den leitenden Stellen dürfen sich nicht damit begnügen, selbst schön watm und gesichert zu sitzen. Wo immer sie die Möglichkeit finden eine Frau unterzubringen, haben si# es zu tun. Arbeitgeberinnen haben aus ihrem sozialen Pflichtgefühl heraus so viel Frauen und Mädchen, als es betriebsmäßig nur immer möglich ist, zu beschäftigen, auch wenn der eigene Gewinn dadurch etwas geschmälert wird. Frauen und Mädchen aller Schichten und Stände können darüber nachdenken, ob es nicht neue Bil-dungs- und Berufswege zu entdecken gibt. Jede gut verdienende, alleinstehende Frau' kann eine brave Wirtschafterin mitleben lassen. Wenn uns eine neue Bautätigkeit schöne Heime für die ledigen, berufstätigen Frauen gibt und wir uns selbst unsere netten Klubs schaffen, dann gibt es wieder Möglichkeiten für hundert fleißige Frauenhände. Auch das Problem der Hausgehilfin und der Haushaltstützc könnte neu angepackt werden, um diesen Mangelberuf, der doch so fraulich ist, schmackhafter zu machen. Das schulisch auf den gepflegten Haushalt vorgebildete, tarifmäßig höher einzureihende Mädchen kommt nur tagsüber in den Haushalt, so daß sie die Annehmlichkeiten eines Eigenheimes, einer eigenen und selbständigen Existenz bewahrt. Endlich werden junge Mädchen und Frauen auch wieder Beschäftigung im häuslichen Dienst im Ausland finden, wenn sie nur dafür genügend vorgebildet sind und sie haben im fremden Land beste Gelegenheit, fremde Sitte und fremden Brauch kennenzulernen und werden so bestens geformt für den Fremdenverkehr, dessen Höchststeigerung ja eines der wirtschaftlichen Ziele Österreichs ist. Vielleicht bedarf es nur darin einer geistigen Umstellung der Mütter und Töchter, die dienende Berufe nur allzu rasch ablehnen. Aber da heißt es wohl, klug die Wirklichkeit zu erfassen, alle Vorurteile und windigen Träume aufzugeben und die konkrete Möglichkeit mit beiden Händen anzupacken. Ein gut ausgebildeter und arbeitsfreudiger Mensch setzt sich überall durch und steigt überall zu Spitzenstellungen empor.

Was immer wir an praktischen Möglichkeiten und materiellen Sicherungen für Frauen und Mädchen ersinnen und durchsetzen, eines muß uns klar sein: damit allein lassen sich Frauenherzen nicht abspeisen. Wer auf Gold verzichten mußte, den kann man nicht mit Blech zu Dank verpflichten wollen. Frauen, denen trotz ihres Wunsches Ehe und Mutterschaft versagt bleiben, werden wir mit gutbezahlten Berufsstellungen allein nicht glücklich, ja nicht einmal zufrieden machen. Viel ist schon für Frauenglück getan, wenn diese Berufe den Dienst am Menschen in irgendeiner Weise fordern; alles ist getan, wenn das Frauenherz durch jene Bindung fixiert ist, die wir Religion nenen. Daß sie schon im Kinde Wurzel schlage, im Mädchen erstarke, in der reifenden Frau zum Kristallisationspunkt werde, das ist jener Aufgabenkreis, der das Problem des Frauenüberschusses in letzter Verantwortung und aus dem innersten Kern herauslösen muß.

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