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Noch 476 Jahre bis zur Gleichberechtigung

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Bei - weitgehend -gleichen Bildungschancen ist Frauen die Spitze der Karriereleiter immer noch verwehrt.

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Bei - weitgehend -gleichen Bildungschancen ist Frauen die Spitze der Karriereleiter immer noch verwehrt.

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Im knappen graublauen Kostüm mit strahlend weißer Seidenbluse und einem schicken Laptop in der I edertasche über der Schulter wirkt sie, als könne kein Zweifel sie aus der Bahn werfen. „Ich als Journalistin,” sagt sie, „muß immer topfit sein”. Kine Falte durchzieht die goldbraun getönte Stirn über dem makellosen Make up. Nicht lange, denn: „Bei Völlegefühl und Kopfschmerz habe ich immer mein Aspro dabei”. Tabletten für Wehwehchen aller Art werden heute in rauhen Mengen angeboten. Die „Pille”, um Frauen den beruflichen Aufstieg zu erleichtern, gibt es aber bekanntlich nicht. Im Gegenteil. Kurz vor dem Sprung durch die „gläserne Decke”, die vom rfop-management trennt, werden Frauen wie von unsichtbarer Hand zurückgehalten. 'I 'opfit zu sein, garantiert in der Männerwelt noch keinen Job an der Spitze.

Das Unbehagen wächst. Die größte Belastung ist für die meisten Frauen die Kombination von Beruf, Haushalt und Familie. Für jede Zweite ist das Kind auch das Ende der Karriere. Mehr als die Hälfte der Frauen will Teilzeitarbeit oder Kindergärten beim Arbeitsplatz.

Kinder, Küche, Karriereknick: den Frauen wird das Dilemma zunehmend bewußter. Härtere Zeiten im Zusammenleben der Geschlechter sagten die Soziologen schon vor zehn Jahren voraus. „Viel spricht für die Prognose eines langen Konflikts”, schrieb der deutsche Ulrich Beck bereits 1986, „das Gegeneinander der Geschlechter bestimmt die kommenden Jahre.” „Die erwartete Gleichberechtigung”, meinte Beck, „trifft auf gegenläufige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und im Verhalten der Männer”.

Daß die Uhren des Bewußtseins zurückgedreht werden können, bleibt allerdings unwahrscheinlich. Heute sind die Frauen andere Persönlichkeiten, stellt die Psychotherapeutin Botraud Perner fest, „sie beanspruchen mehr Baum. Wenn der Mann nicht bereit ist, von seinen 90 Prozent an Macht 40 Prozent abzugegeben, wird das unerträglich.” Viele junge Paare ziehen heute nicht mehr zusammen, meint die Therapeutin, weil die Frau sich „sicherheitshalber” den Bückzug offenhalten will. Immer weniger lassen sich auf ein vages Vertrauensverhältnis ein, sondern bleiben lieber im Beruf.

Der Frauenbericht 1995, seit dem UNO-Jahr der Frau 1975 der dritte seiner Art, spricht von einer Verbesserung der Position der Frau im Bildungswesen. Der Trend zu höherer Bildung ist bei Mädchen stärker als bei Buben: So schließen in Wien rund 57 Prozent der Mädchen eine Allgemein Bildende” Höhere Schule ab, rund 50 Prozent beenden eine berufsbildende

Schule. Vor 20 Jahren konnten 73 Pro-' zent der Frauen nur auf ein Pflichtschulzeugnis verweisen.

„An der Ungleichverteilung in der Bildung,” besagt der Frauenbericht, „hat sich (jedoch) tendenziell nichts verändert”. Nach wie vor konzentrieren sich Mädchen auf bestimmte Schultypen: sie setzen musische Schwerpunkte, besuchen neusprachliche und wirtschaftskundliche Beal-gymnasien. An den berufsbildenden Schulen tendieren sie eher zu hauswirtschaftlichen Berufen, „wo sie fast ausschließlich unter sich sind”. Auch die Handelsakademien und Fremdenverkehrsschulen werden vorrangig von Mädchen besucht.

Eine Tendenz, die sich im Studium fortsetzt. So findet man an der Technischen Universität nur 19 Prozent Studentinnen, beim „klassischen Ingenieursstudium”, dem Maschinenbau und der Elektrotechnik sind es gar nur 4,3 Prozent. Beim Frauenanteil in Ingenieurstudien liegt Österreich damit von allen EU- und EFIA-Staaten an letzter Stelle. Typisch weibliche Studien sind Sprachen, das Lehramt, die Übersetzerund Dolmetschausbildung und Pharmazie: mit einem Frauenanteil von zwei Drittel bis 90 Prozent. Warum die Neigung, technische Berufe zu ergreifen, so gering ist, ließ das Unterrichtsministerium ergründen. Besul-tat: die schulische Leistung, auch in Mathematik, ist bei Mädchen besser als bei Buben. Der Unterschied liegt in der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten. Burschen trauen sich auch mit einem Vierer in „Mathe” ein Technikstudium zu. Mädchen zweifeln an sich, selbst wenn sie über-durschnittlich gut sind. Noch etwas zeigte die Umfrage des Ministeriums: Mädchen, die nicht gemeinsam mit Buben in der Schule sozialisiert wurden, wagten sich häufiger an Naturwissenschaften, Mathematik oder Technik.

Die Koedukation, die gemeinsame Erziehung der beiden Geschlechter (1975 gesetzlich verankert) geriet ins Schußfeuer der Kritik. Studien nannten Gründe der Benachteiligung: Zwfir erbrächten Mädchen mehr Leistung, die Buben schlügen aber lauter um sich und sicherten sich so die Anerkennung der Lehrer. Und auch der Lehrerinnen. Manche Studien (Horstkemper 1987) kamen zu dem

Schluß, daß sich Mädchen bei gleichen Leistungen für weniger begabt halten. Die geringeren Erfolgsaussichten zeigten sich allerdings nur dann, wenn sie sich mit Buben verglichen. „Oft wird vergessen,” besagt der vom Bundesministerium für Frauenangelegenheiten herausgegebene Frauenbericht 1995, „was die Mädchen selbst (zu ihrer eigenen Einschätzung) beitragen.” Die feministische Schulforschung kritisiert diese „Opfertheorie”: „Frauen werden Bollen einfach zugeschrieben, ihnen wurde nicht gestattet, kulturelle und politische Prozesse zu beeinflussen”.

„Es ist auch denkbar”, heißt es im Frauenbericht, „daß in das gängige Bild von Lernen und Beteiligung, das Verhalten der Mädchen nicht hineinpaßt.” Daß Mädchen im Unterricht eher still sind, wird oft als ihr angelerntes, frauentypisches Sich-Zurück-nehmen gewertet. „Darin kann aber auch eine fehlende Vertrautheit mit den Methoden der Beteiligung, die im Unterricht gefragt sind, gesehen werden”. (Jungwirth 1991). Psychotherapeutin Botraud Perner sieht ein völlig unterschiedliches Herangehen der beiden Geschlechter an die Außenwelt. „Männer neigen dazu, in Hierarchien zu denken, sich Führungspersonen zu unterwerfen oder gegen sie zu rebellieren.” Frauen hingegen achteten mehr darauf, daß es „der ganzen Gruppe gut geht”. Frauen denken weniger in Schienen, das mache Angst, sei aber gleichzeitig-auch eine Chance, meint Perner. „Gerade in Zeiten wie diesen, wo nur mehr soziale Kreativität den Planeten retten kann”.

Der Blick auf das Wohlergehen der ganzen Gruppe lenkt Frauen oft vom Denken an das eigene Befinden ab. Auch bei der Berufswahl. Zwar ist die Beruftsätigkeit heute von hohem Stellenwert in der Lebensplanung beider Geschlechter. Allerdings denken junge Frauen mehr daran als ihre männlichen Zeitgenossen, wie sie wie Familie und Kinder mit den beruflichen Plänen in Einklang bringen.

„In vielen Bereichen des Erwerbslebens,” schreibt der Soziologe Ulrich Beck, „haben die Frauen ,sinkende Schiffe' erobert. Typische Frauenberufe sind die, die unsicher sind: Sekretärin, Verkäuferin, Lehrerin, angelernte Industriearbeiterin ”. Bei Fortschreiben des derzeitigen Tempos, soließdieUNO-Welt-organisation anläßlich der Frauenkonferenz in Peking errechnen, dauert es noch 476 Jahre, bis die Gleichstellung der Geschlechter - nicht nur im Beruf - erreicht ist.

Für jede dritte Frau, so konstatiert der Männerforscher Walter Hollstein, ist der Wiedereinstieg in den Beruf mit einem Abstieg verbündet. Frauen verkaufen, kassieren, beraten, tippen, reinigen und backen, erziehen, helfen, pflegen und versorgen. „Durch die Angleichung in der Bildung ist aber eine prekäre Situation entstanden.” meint Beck. „Frauen wissen heute um ihre Lage Bescheid.” „Der Weg nach vorne in den Beruf ist angesichts stabiler Massenarbeitslosigkeit (und großer Bationalisie-rungsreserven in frauenspezifische Arbeitsplätze ebenso versperrt”, schrieb der Soziologe schon vor zehn Jahren, „wie der Weg zurück in die Ehe- und Familienversorgung. Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen ist ab jetzt unauslöschbar sichtbar. Die gleiche Ausbildung der Frauen ist ihr lebendiger Maßstab.”

Noch steigt die Zahl der berufstätigen Frauen, wenn auch zaghaft: von 57 Prozent (1981) auf 63 Prozent (1993). Die Statistik illustriert auch die „Domänen” der Frau: Gesund-heits- und Fürsorgewesen: 81 Prozent Frauen. Haushaltung und -Wartung:

80 Prozent. Körperpflege, Beinigung und Bestattung: 74 Prozent. Bekleidung, Bettwaren und Schuhe: 72 Prozent. „Die Tatsache, daß die Arbeitswelt in Männer- und Frauenberufe zerfällt,” läßt der Frauenbericht wissen, „ist das Ergebnis der unterschiedlichen Sozialisation. Die Bol-lenzwänge zu durchbrechen, erfordert Mut”.

Mut auf beiden Seiten, denn kaum ein Mann, der Vater wird, macht sich Gedanken, über die Vereinbarkeit von Haushalt und Beruf. Die Familienrechtsreform von 1970 brachte zwar die rechtlichen Voraussetzungen für gleichberechtigte Partnerschaft, trotzdem ist Hausarbeit und Kinderbetreuung, neben dem Beruf, groß-teils Frauenarbeit. Fast ein Drittel der berufstätigen Frauen ist nur teilerwerbstätig. Das bringt Zeit für die Familie, kostet aber Geld für die eigene Existenz. Vollzeit allein heißt jedoch nicht volle Gleichheit. Das Einkommensminus gegenüber männlichen Kollegen beträgt bei Arbeiterinnen immer noch 35 Prozent. Bei Angestellten gar 40 Prozent. Das Gesetz von 1993, das gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit verspricht, ist also noch Papier.

Männer, die „aus dem stillschweigenden Bündnis um Machterhaltung” (Beck) ausscheren, werden von ihren Geschlechtsgenossen diskriminiert. „Der Chef meines Mannes”, spricht die Therapeutin Botraud Perner aus ihrer Erfahrung als Politikerin, „machte blöde Witze, als mein Mann heimgehen wollte, um die Kinder zu betreuen, weil ich in einer Sitzung war.” Trotz alledem sind Frauen gebildeter und mobiler geworden. Immer mehr arbeiten außer Haus. Immer weniger lassen sich „alles” gefallen. Und trotzdem - es gibt Bestrebungen, alles wieder zurückzudrehen, meint die Politologin Sieglinde Bosenberger. „Das ist klar, wenn es um die Verteilung von knappen Gütern geht. Die Männer werden natürlich zurückschlagen”.

Vieles spricht also für die Prognose eines langen Konflikts. Ja, meint die Therapeutin Perner, „denn Frauen wissen heute, daß sie ohne Mann glücklicher werden. Aber manchmal kommt halt noch die Liebe dazwischen.”

Wenn die Liebe zur Beziehung und zum Alltagsgegenüber wird, sind Konflikte programmiert. Fehlende institutionelle Lösungen, wie Kindergärten, flexible Arbeitszeiten und soziale Sicherheit potenzieren private Auseinandersetzungen. Und umgekehrt. Kurz: das Private wird politisch.

In diesem Sinne ist das Frauenvolksbegehren, über das die FURCHE 7/13 Februar 1996 im Dossier ausführlich berichtet hat, wohl auch für die Männer nicht unbedeutend.

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