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Digital In Arbeit

Bauen an der Singlegesellschqft

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Eine Karrierefrau entdeckt im Spannungsfeld zwischen Mutterschaft und Selbstverwirklichung die Lebensfeindlichkeit der Singlegesellschäft.

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Eine Karrierefrau entdeckt im Spannungsfeld zwischen Mutterschaft und Selbstverwirklichung die Lebensfeindlichkeit der Singlegesellschäft.

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Die Mutterschaft ist zunehmend ein Stand geworden, der unerwünscht ist. Das gesellschaftliche Denken ist in eine Einbahn geraten: weg von der Mutterschaft. Es heißt, sie hindere am Eigentlichen, und dieses Eigentliche kann, so wie es verstanden wird, durchaus mit dem Überbegriff „ Selbstverwirklichung" bezeichnet werden, der dann alles in sich aufnimmt, was als Gegen weit zur Mutterschaft begriffen wird.

Man kann sich dem Sog dieser Denkfigur kaum entziehen, und die meisten Frauen heute fahren existentiell auf dieser „Einbahn". Nur deshalb erfahren gewisse Parolen, zum Beispiel die vom „Recht auf einen Kindergartenplatz" und ähnliche eine so große Akzeptanz. Wenn die Verantwortung für Kinder als Belästigung, als Verhinderung des eigentlichen Lebens der Frau, ja, als Verhinderung von Freiheit, Lust und Spaß gesehen wird," muß man logisch alles tun, um Kinder ab der Geburt oder so kurz wie möglich danach aus dem engeren Bereich der Frau, des Paares, Ehepaares, der Familie fortzuschaffen, um Raum für die eigentlichen Aufgaben und Möglichkeiten zu schaffen.

Daß die Sache mit der Mutterschaft und der „Selbstverwirklichung" einfach aussieht, dazu hat nicht wenig die unselige Ideologie beigetragen, die Frau könne sich entscheiden - „pro choice". Nicht etwa: Ob sie ein Kind empfangen, nein, ob sie das Kind (das bereits empfangen ist, also existiert) austragen soll, so als ob das, was hier bewußtseinsbeein-flußend „pro choice" genannt wird, die Wahl zwischen „Mutterschaft" und „Selbstverwirklichung" ganz einfach machen würde.

Wie unter einer gigantischen. Eisdecke liegen die Schicksale, Dramen, alltäglichen und brisanten Zerrissenheiten oder Schicksale oder gar Tragödien der Frauen heute unter diesen manipulierenden und beschönigenden oder abwertenden Ideologien begraben. Man spricht nicht darüber, wie es einer Frau im Verlauf ihres Lebens ergeht, wenn sie etwa auf Kinder prinzipiell verzichtet hat zugunsten einer außerhäuslichen Berufstätigkeit oder auch „nur", weil sie als Kind der Zeit der Spaßideologie anhängt und frei sein, „high" sein, immer gut dabei sein möchte, kurz einfach ihr Leben ganz und gar zu ihrer Verfügung haben möchte. Sie will reisen, wohin und wann immer sie will, nachts nicht zigmal aufstehen, um ein krankes Kind zu pflegen, will nicht, wie eine bekannte Bundestagsabgeordnete einmal als Grund für eine Abtreibung formulierte, 20 Jahre für ein Kind verantwortlich sein.

Ich will alle diese Motive gar nicht abwerten. Der Mensch sucht Lust, Freude, um ein altertümliches Wort zu verwenden. Ob es allerdings ein Recht auf Spaß gibt, das die Verantwortung ausschließt, das wage ich zu bezweifeln und hielte es auch für unmenschlich.

Nun gibt es aber auch Frauen, die sehr vernünftig zu sein scheinen. Sie meinen, ein außerhäuslicher Beruf brauche ihre gesamte Energie und Zeit. Es gibt Frauen, die im vollen Bewußtsein ihrer Grenzen und realistischerweise unwillig, ein Leben der Doppel- und Dreifachbelastungen zu führen, auf Kinder verzichtet haben und damit glücklich zu sein behaupten.

Es gibt Frauen, die damit glücklich sind. Es gibt mehr Frauen, die damit nicht glücklich sind. Wenn sie es wären, hätten sie es nicht nötig, die Tätigkeiten der Mutter und Hausfrau mit der fanatischen Besessenheit abzuwerten, wie wir es oft antreffen.

Von wenigen glücklichen Beispielen abgesehen: Wir können eher davon ausgehen, daß der Verzicht auf Mutterschaft dem Leben einer Frau eine Dimension abschneidet, vielleicht umso mehr da, wo ständig das Gegenteil versichert wird. Die oft verzweifelten Versuche der sterilen Frauen und Paare sprechen da eine eigene Sprache, ebenso die Torschlußpanik jener Frauen, die bis zur Zäsur der 40 bewußt wegen des außerhäuslichen Berufs auf Kinder verzichtet haben und dann plötzlich unbedingt und nicht selten wie besessen die Mutterschaft nachholen wollen, nicht selten nach einer oder mehreren Abtreibungen.

Auch diese Schicksale sind oft tragisch und man kann beobachten, daß sich sehr oft „das Gesetz der Selbstverwirklichung", nach dem man zu handeln glaubte, in sein Gegenteil verkehrt. Man war nur das Rädchen im Getriebe des gesellschaftsökonomischen Prozesses ...

„Sind Sie denn nun gegen Berufstätigkeit der Frauen, Frau Struck? Wollen Sie die Frauen wieder an den Herd zurückschicken, zurück zu den drei K: zu Kindern, in die Küche, in die Kirche?"

Diese Fragen, die schon keine Fragen mehr sind, sondern in Frageform verpackte Unterstellungen, sind suggestiv. Obwohl man offiziell nicht müde wird, ständig zu betonen, daß den Frauen die Entscheidung zwischen Familie, Kindern und außerhäuslicher Berufstätigkeit freigestellt sei, ja, daß es eine „Vereinbarkeit" von beiden geben müssen (und eben dazu die Kinderkrippen und das „Recht auf einen Kindergartenplatz" geben müßte), ist längst schleichend der eine Bereich aus dem öffentlichen Bewußtsein der Ehrbarkeiten ausgeschlossen worden.

Es ist nur noch Floskel und Phrase, daß man der Frau auch zugesteht, sie könne im Haus tätig bleiben. Man neigt schon mehr zu der „Vereinbarkeit", was dann im Klartext bedeutet, daß der häusliche Bereich der Arbeit nichts bedeutet, weder, wenn man sie ausschließlich ausübt als hauptberufliche Hausfrau und Mutter, noch, wenn man „doppelbelastet" für die Hausarbeit und die Erziehung und Versorgung der Kinder neben der außerhäuslichen Berufstätigkeit verantwortlich ist und sich mit Hilfe von Tagesmüttern, au-pair-Mädchen, einspringender Großmutter oder anders durchschlägt.

Der Bereich des Hauses ist tabu, wird zum Nichts-Ort. Das kommt auch in der fragenden Unterstellung zum Ausdruck: Wollen Sie die Frauen wieder auf Haus und Herd, Kinder und Kirche reduzieren?

Keine Äußerung erlebte mehr Protest in meinen Lesungen vor dem Karlsruher Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Abtreibungsparagraphen als diese: Ich gab zu bedenken, daß dadurch, daß in der Ex-DDR ungefähr 90 Prozent der Frauen berufstätig gewesen waren, niemand blieb, der die Häuser hätte pflegen können. Sind sie dort nicht auch deshalb so zerstört, weil niemand sie mehr betreut, niemand mehr in ihnen gelebt und gearbeitet hat, und nicht nur, -weil Ersatzteile gefehlt haben?

Was ich meinte: Das Haus als Kulturort, als Ort der Zuflucht, der Geborgenheit, der Familie, hat nicht ein -fach nur eine hotelartige Funktion. Gibt man ihr diese, dann bricht etwas weg, auf dem wir alle stehen ...

Ich war 20 Jahre lang „Karrierefrau". Ich stocke und frage mich: War ich es wirklich? Ich war zerrissen zwischen „Mutterschaft und Selbstverwirklichung", zwischen Familienfrau, Familienmutter und Berufstätigkeit außer Haus, Karrierefrau. Und das ist vielleicht das schlimmste, was man sich und seinen Kindern, seiner Familie antun kann: daß man sich nicht klar definieren kann, daß man -kurz - zerrissen ist...

Nach all den Jahren der Zerrissenheiten mit allen Folgen für mich und meine Kinder, zuerst für das Auseinanderbrechen der Gesamtfamilie -zwei Scheidungen mit ebenfalls allen Folgen für mich und die Kinder (da bin ich repräsentativ) - hat es sich endlich entschieden: Die Familie steht an erster Stelle, die Kinder stehen an erster Stelle.

Sie werden vielleicht sagen: zu spät. Aber ich sage, es ist nie zu spät, auch für die Kinder einer alleinstehenden Mutter, wie ich es spätestens seit 1981 bin, nicht für meine Kinder, von denen jetzt zwei studieren außer.Haus sind und zwei, sieben und 16, noch bei mir leben. Die Kinder sind das wichtigste, der zentrale Kern des Lebens, meines Lebens.

Vielleicht war ein schwerer Unfall nötig, die Wahrheit dieser Notwendigkeit definitiv zu enthüllen. Es gibt nichts Schlimmeres als die Verletzungen und Verwundungen eines Kindes mitzutragen und mitanzusehen. In den Momenten, Tagen, Wochen und Monaten enthüllt sich wiederum eine Wahrheit: Über ein Dutzend Bücher, die man geschrieben hat, Karriere, Erfolg, Buhm - alles wird plötzlich unbedeutend, surrt in sich zusammen. Etwas Wiederholbares. Und man fragt sich, wofür und warum man mit rasendem Atem das alles hat erreichen wollen. Für das Lächeln eines Kindes nicht!

Ich muß gestehen, während meiner Laufbahn hatte ich immer wieder die Anwandlung - meist wenn eines der Kinder sehr klein war —, mich einige Jahre ganz und ausschließlich der Familie zu widmen, Ehrgeiz, Berufseifer, Verdienenwollen, Buhm und so weiter hintanzustellen. Wie ich jetzt sehe, war es eine instinktive, natürliche und intelligente Reaktion.

Doch muß ich in der Rückschau sagen: Wer das nicht wollte, wer diese Anwandlung zerstreute, das war der Mann, der damalige Ehemann. Er fürchtete, ich, die Frau, die Mutter, könnte mich langweilen und unzufrieden werden als „Nur-Hausfrau" und ihm auf die Nerven fallen. Wir saßen schon in einem anderen Zug, den ich schwer anhalten konnte. Jedenfalls meinte ich, es nicht zu können. Natürlich sagte er das nicht so offen, aber die panische Abwehr ließe auf diesen Hintergrund schließen.

Es ist also nicht so, daß Männer über einen Kamm zu scheren sind, daß sie die Frau zur Hausfrau und Mutter machen, sie darauf „reduzieren" wollen, wie es in der Sprachregelung, die Mutterschaft abwertet, heißt. Das wird ja immer vergessen in all diesen stromlinienförmigen öffentlichen Debatten. Ja, Debatten sind es nicht einmal. Es sind ideologische Ohrwürmer und Verlautbarungen, die uns da erreichen, aus Sprachrohren der Singlegesellschaft.

Die Autorin ist

Schriftstellerin und lebt in Gütersloh in der Bundesrepublik Deutschland

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