Kinder, warum tu ich mir das an?

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Ihr erstes Lächeln erwidern. Ihrem ersten "Mama“ lauschen. Ihre ersten, wackeligen Schritte begleiten. Sie beim Schlafen, Wachsen und Welterkunden betrachten. Eigentlich macht nichts im Leben so glücklich wie eigene Kinder. Oder? - Eine Betrachtung unterschiedlicher Antworten auf die Gretchenfrage, wie man es mit der Elternschaft hält.

Wir haben es völlig freiwillig gewagt. Nicht weil wir geahnt hatten, was uns erwarten würde, sondern weil uns irgendwann die Ahnung beschlich, dass da einfach mehr sein müsste: mehr als Arbeit und Wochenende, mehr als Freunde und Feste, mehr als ein Urlaub in Übersee. Es war der entscheidende Moment, als wir uns für Kinder entschieden, wie so viele andere Paare auch. Zwar schrumpft die Zahl derer, die eigene Nachkommen als allein seligmachendes Lebensziel empfinden - oder auch als "Geschenk Gottes“: Doch dass Kinder prinzipiell zu einem geglückten Leben dazugehören, würden wohl die meisten unterstreichen.

In Frankreich ist die Lust auf Kinder besonders groß. In einer Umfrage der Zeitschrift Philosophie magazine aus dem Jahr 2009 beantworteten 60 Prozent die Frage "Warum bekommt man Kinder?“ mit folgendem Satz: "Ein Kind macht das tägliche Leben schöner und glücklicher.“ Auch in der aktuellen Europäischen Wertestudie von 2008 fielen die Französinnen und Franzosen mit besonderer Kinderliebe auf: 66 Prozent behaupteten, dass Kinder "für eine gute Ehe wichtig“ seien. In Österreich wurde diese Ansicht immerhin von 53 Prozent der Befragten geteilt.

Spaßbremse Kind

Auch Daniel Gilbert beschreibt seinen erwachsenen Sohn als "eine der größten Freudenquellen in meinem Leben.“ Als Professor für Psychologie an der Harvard Universität hat er freilich auch Fakten gesammelt, die eine andere Sprache sprechen: So würden Paare zu Beginn ihrer Ehe meist relativ glücklich sein, doch mit der Zeit immer unzufriedener werden, schreibt der 54-Jährige in seinem Bestseller "Ins Glück stolpern“ (siehe rechts). Ihren ursprünglichen Grad an Zufriedenheit erreichten sie erst dann wieder, wenn das letzte Kind das Elternhaus verlassen habe. "Im Gegensatz zu Berichten in der Boulevardpresse“, so Gilbert, "ist das einzige bekannte Symptom, das beim, Leere-Nest-Syndrom‘ auftritt, ein erleichtertes Aufatmen.“

Bei Müttern ist dieses Befreiungsgefühl besonders ausgeprägt. Kein Wunder, schließlich sind es vor allem die Frauen, die sich bevorzugt um den Nachwuchs kümmern - und auch die meisten persönlichen Belastungen und beruflichen Schlechterstellungen zu schultern haben.

Dass sich eine Familiengründung ordentlich zu Buche schlägt (allein die direkten Kosten belaufen sich laut Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung auf rund 500 Euro pro Monat und Kind), haben angehende Eltern wohl schon immer geahnt. Doch ihre Hoffnung, durch die schiere Existenz von Kindern eine unbezahlbare Bereicherung des Lebens zu erfahren, hat offensichtlich überwogen. Umso verblüffender ist, wie mühsam Eltern den täglichen Umgang mit ihren Kindern empfinden. Der Princeton-Psychologe Daniel Kahnemann hat im Jahr 2003 genau 1000 Arbeiterinnen in Texas nach ihren Lieblings-Aktivitäten befragt. Am Ende rangierte Kinderhüten unter 19 Tätigkeiten nur auf dem 16. Platz - hinter dem Sporttreiben, Einkaufen oder Fernsehen. Sogar Hausarbeit erschien den Frauen attraktiver, als Zeit mit ihren vermeintlichen Glücksbringern zu verbringen.

"Dies alles sollte uns nicht überraschen“, meint Daniel Gilbert. "Obwohl das Elternsein viele belohnende Momente hat, umfasst die überwiegende Mehrzahl der Momente mit Kindern den dumpfen und selbstlosen Dienst an Menschen, die Jahrzehnte dazu brauchen, bis sie ungern zugeben, wie dankbar sie für das sind, was wir getan haben.“ Kinder würden eben Arbeit bedeuten - wirklich harte Arbeit.

Manchmal geht die Belastung auch fließend in einen Zustand über, den man Psychoterror nennt. Eltern von Schreibabys wissen, wie sich das anfühlt. "Diese Schallbelastung entspricht dem Dezibel-Wert neben einer sechsspurigen Autobahn“, erklärt Paula Diederichs, die in Berlin am Aufbau von fünf Schreibaby-Ambulanzen beteiligt war. 15 bis 20 Prozent aller Neugeborenen brüllen so laut und ausdauernd, dass sie in diese Kategorie einzuordnen sind. Für die betroffenen Eltern bedeutet das eine unvorstellbare Belastung: "Alle Schreibaby-Eltern haben Gewaltfantasien. Sie denken daran, das Kind an die Wand zu klatschen oder so lange zu schütteln, bis es still ist“, weiß Diederichs, die betroffenen Eltern "ressourcenorientierte körperpsychotherapeutische Krisenintervention“ anbietet - und einen Raum, in dem sie endlich Ruhe finden können. Hier werden sich manche wohl auch eine ganz konkrete Frage stellen: Ist das wirklich jenes erfüllte Elternleben, von dem ich so sehnsuchtsvoll geträumt habe?

Man muss keine Schreibaby-Mutter sein, um irgendwann auf diese Frage zu stoßen. Oft reicht schon ein ganz normaler Tag, auf den man abends erschöpft, genervt und leer zurückblickt. Mutterschaft sei und bleibe eben eine "große Unbekannte“, schlussfolgert die französische Philosophin, Feministin und dreifache Mutter Elisabeth Badinter in ihrer Streitschrift "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter“ (siehe oben): "Die einen finden darin ein Glück und einen Gewinn für die eigene Identität, die unersetzlich sind. Andere schaffen es mehr schlecht als recht, die widersprüchlichen Anforderungen miteinander zu vereinbaren. Und wieder andere würden nie zugeben, dass ihnen eben das nicht gelingt und dass sie das Gefühl haben, gescheitert zu sein.“ In unseren Gesellschaften gebe es freilich kaum ein größeres Tabu: Zu bekennen, dass man für das Mutterdasein nicht geschaffen sei, "ließe eine Frau als unverantwortliches Monster erscheinen.“

So radikal Badinters Ansichten sind und so verbissen sie vor einer "naturalistischen Offensive“ durch die von ihr verachteten Stillbefürworter der "La Leche League“ warnt: Ihre Analysen über die Ambivalenzen von Mutterschaft sind durchaus erhellend. Im Kern liegen sie auch nicht so weit entfernt vom relativierenden Befund der Forscherinnen und Forscher über das kindliche Beglückungspotenzial.

Kinder als Langzeitinvestition

Die Gretchenfrage aber bleibt: Wenn Kinderhaben wirklich mit derart vielen Mühen und Qualen verbunden ist - warum tut sich der vernunftbegabte Mensch derlei immer wieder an? Weil Kinder eben eine "Langzeitinvestition ins Glück bedeuten“, glaubt der Rostocker Demografie-Forscher Mikko Myrskylä, der seine Ergebnisse nach einer Befragung von über 200.000 Frauen und Männern in 86 Ländern im Vorjahr publiziert hat. Zwar sinke das Glücksniveau der Eltern ab dem ersten Kind durch Schlafmangel, Sorgen und finanzielle Beschränkungen ab, doch ab einem Alter von etwa 40 Jahren würden sich Eltern deutlich glücklicher fühlen als Kinderlose - vor allem in Staaten mit schwachen Sozialsystemen, in denen die Menschen auf die Unterstützung durch den eigenen Nachwuchs angewiesen sind.

Daniel Gilberts Anwort geht in eine andere Richtung: Elternglück werde einfach erfolgreich suggeriert - von Müttern, die gerne Großmütter wären, oder von Freunden mit Kindern, die sich wünschen, dass man es ihnen gleichtun möge. "Kinder machen glücklich“ sei ein "Super-Replikator“, ein Satz, der sich trotz mäßigen Wahrheitsgehalts wie ein ansteckender Virus verbreite. Der Glaube an ihn sei schon deshalb unverzichtbarer Teil unserer Kultur, "weil die gegenteilige Überzeugung die Gesellschaft auflösen würde.“ Selbst handfeste Argumente seien dagegen chancenlos. Verstärkt wird dies durch die Eigenart unseres Gedächtnisses, Ereignisse nicht nach ihrer Häufigkeit, sondern nach der Tiefe des Eindrucks zu sortieren, den sie bei uns hinterlassen. Ein einziger liebevoller Blick des Kindleins vor dem Einschlafen schafft es, einen nervtötenden Tag vergessen zu machen.

Mutter Natur ist wahrlich raffiniert. Wir hätten es wissen müssen.

Unbeliebt

Eine Umfrage unter 1000 Arbeiterinnen in Texas über ihre bevorzugten Aktivitäten zeitigte verblüffende Ergebnisse: Kinderhüten rangierte hinter dem Sporttreiben, Einkaufen oder Fernsehen. Sogar Hausarbeit war beliebter.

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