7037524-1990_03_06.jpg
Digital In Arbeit

Und die Kinder?

19451960198020002020

Oft ist für die streitenden Partner die Scheidung zu­nächst erleichternd. Aber die Kinder? Unverständnis, Wut, Schuldgefühle sind häufige Reaktionen. Auszug aus einem Ratgeber.

19451960198020002020

Oft ist für die streitenden Partner die Scheidung zu­nächst erleichternd. Aber die Kinder? Unverständnis, Wut, Schuldgefühle sind häufige Reaktionen. Auszug aus einem Ratgeber.

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Kind spürt schon lange, bevor sich die Eltern endgül­tig trennen, daß etwas nicht stimmt. Ob Mutter und Vater nun mehr oder minder gewalttätig streiten, einan­der bloß noch beleidigt anschwei­gen, oder ob das Kind Zeuge von Weinkrämpfen und Wutanfällen wird - an all dem spürt es die offene oder unterschwellige Spannung. Ein Abgrund des Schweigens kann sich zwischen den Partnern auf tun, während sie anfangen, jeder für sich sein eigenes Leben zu führen.

Erwachsene denken häufig, ihr Kind werde von den Konflikten nichts bemerken, wenn sie diese einfach nicht erwähnen, wenn sie nur heimlich weinen und Ausein­andersetzungen nur hinter ver­schlossenen Türen austragen. Damit machen sie sich jedoch et­was vor. Worte sind gar nicht nötig, um ein Kind zu verunsichern, wenn es die elterlichen Spannungen doch unmittelbar erlebt.

Ebenso bedarf es ja auch keiner Worte, einem Kind zu vermitteln, daß Mutter und Vater sich lieben; das spürt es von selbst und fühlt sich sicher und geborgen. Stillende Mütter wissen, daß ihre Milch schlechter fließt, wenn sie unaus­geglichen sind, als dann, wenn sie sich ruhig und entspannt fühlen, und Mütter wie Väter machen oft die Erfahrung, daß sie ihr unruhi­ges Kind schlechter besänftigen können, wenn sie selbst gereizt oder unglücklich sind.

Wenn also Ehepartner, deren Beziehung nicht mehr glücklich ist, sich zur Scheidung entschließen, um den zwischen ihnen bestehen­den Spannungen ein Ende zu berei­ten, dann können sie sicher sein, daß ihr Kind bereits im Vorfeld etwas davon ahnt.

Für ein Kind, das daran gewöhnt war, mit beiden Elternteilen zu-sammenzuwohnen, die ihm noch dazu viel Zeit widmeten, bedeutet die tatsächliche Trennung eine dramatische Veränderung. Mag die Atmosphäre vorher auch oft ange­spannt gewesen sein - immerhin gab es immer zwei Ansprechpart­ner, während nun nur noch einer da ist. Erst ganz allmählich dringt dem Kind die Endgültigkeit des Aus­zugs von Vater beziehungsweise Mutter ins Bewußtsein.

Selbst dann, wenn ihm gesagt wurde, daß es sich um eine Tren­nung für immer handelt, kann ein Kind diese Mitteilung oft lange nicht begreifen oder will sie ganz einfach nicht wahrhaben, weil sie zu schmerzhaft ist.

Hat das Kind aber erst einmal die Endgültigkeit des Auszugs von Mutter beziehungsweise Vater begriffen, so bringt diese Erkennt­nis eine Fülle beunruhigender und schmerzhafter Gefühle mit sich.

Zwar erleichtert das Nachlassen der Konflikte und Spannungen alle Beteiligten und bewirkt eine ge­wisse Entlastung, die alle dringend benötigen; das Kind aber wird in einen Strudel von Gefühlen geris­sen, reagiert verwirrt, bestürzt und angstvoll. Seine tiefe Sicherheit, die im Zusammenleben mit beiden Eltern ihre Grundfesten hatte, ist ' erschüttert worden.

Unabhängig von seinem Alter fragt sich jedes Kind in einer sol­chen Situation, was wohl als näch­stes passieren wird. Ein Kind unter sieben oder acht Jahren muß sich dabei besonders hilflos fühlen. Es kann noch nicht verstehen, daß die Trennung seiner Eltern notwendig war, und daß dieser Schritt, der jetzt so sehr schmerzt, letztendlich allen zugute kommen wird. Weil es noch nicht versteht, warum Mutter oder Vater ausgezogen ist, hat es jetzt vielleicht Angst davor, selber weggeschickt oder ganz alleine gelassen zu werden.

Für einen Säugling oder ein Kleinkind ist die Angst vor einer Trennung und davor, verlassen zu werden, riesengroß, alles beherr­schend und namenlos. Anders ver­hält es sich beim Schulkind, dessen Angst sich konkret darauf richtet, zukünftig auf den elterlichen Bei­stand, regelmäßige Mahlzeiten und andere körperliche Zuwendungen verzichten zu müssen.

Hat sein Vertrauen in die absolu­te Sicherheit erst einmal einen Riß bekommen, so läßt sich dieser nicht so einfach wieder kitten. Wer schwer krank war, gewinnt ja auch nicht sofort unerschütterlichen Glauben an seine Gesundheit wieder. Und bevor Sie Ihr Kind zu beschwichtigen versuchen, weil es sich scheinbar so wirklichkeits­fremd und unbegründet um ausrei­chenden Schutz, um Essen und um Kleidung sorgt, bedenken Sie, daß dies vielleicht nur seine Art ist, seine tiefe Sehnsucht nach Zuneigung und Sicherheit zum Ausdruck zu bringen.

Eltern haben häufig das Gefühl, daß ihr heranwachsendes Kind sich nichts sehnlicher wünscht als sie endlich loszuwerden, um sich ihrer Kontrolle zu entledigen. Dies ist ein notwendiger Entwicklungs­schritt, wenn er auch viele ärgerli­che Begleiterscheinungen mit sich bringt. Doch kann dieser ohnehin mühsame Weg zu einer wirklichen erwachsenen Unabhängigkeit für den Jugendlichen erschwert wer­den, wenn nicht er selbst, sondern seine Eltern die Trennung begeh­ren - wenn diese also, statt weiter ein zwar heftiger, aber heimlicher Wunsch zu bleiben, zum Faktum wird, noch bevor der Heranwach­sende dazu eigentlich bereit ist.

So kann es geschehen, daß er durch die Trennung seiner Eltern nicht mehr an die Erfüllung seiner eigenen Wünsche für die Zukunft glaubt und seine Hoffnungen be­reits vorzeitig begräbt.

Von Vater oder Mutter getrennt zu werden, tut jedem Kind weh und erfüllt es mit Wut. Ähnliche Gefüh­le entstehen beim Tod eines Eltern­teils, allerdings unterscheidet sich der Verlust durch Trennung und der Verlust durch Tod in einem gravierenden Punkt: Stirbt in der Familie ein Mensch, so kann jeder seine Trauer offen zeigen; denn dieser Verlust ist offensichtlich und wird von allen als solcher aner­kannt. Trauer aber, so sehr sie auch schmerzt, leitet bereits einen Hei­lungsprozeß ein.

Auch durch die Trennung von einem Elternteil erlebt das Kind einen schweren Verlust, dessen Endgültigkeit jedoch selbst seine Eltern oft gar nicht erkennen oder wahrhaben wollen. Dadurch neh­men sie ihrem Kind die Möglich­keit, offen zu trauern, und damit die Chance einer baldigen Heilung. Hinzu kommt, daß sie selber über die Trennung vielleicht eher erleich­tert sind und ihre Freude über die wiedergewonnene Freiheit, die das Kind nicht teilen kann, ungeniert ausdrücke

Ebenso kann Wut ein bestimmen­des Moment in den Empfindungen eines Kindes darstellen, dessen Eltern sich getrennt haben. Viel­leicht reagiert es mit Verbitterung auf den vermeintlichen „Verrat" des Elternteils, der weggegangen ist, und lehnt gleichzeitig den zurück­bleibenden Elternteil dafür ab, daß er dies offensichtlich zugelassen oder sogar unterstützt hat. Auf diese Weise werden Liebe und Loyalität des Kindes beiden Eltern gegenü­ber auf eine harte Probe gestellt.

Und als wären Traurigkeit, Schmerz und Wut über die Tren­nung nicht schon schwer genug zu ertragen, glaubt ein Kind darüber hinaus oft noch, selbst die Schuld oder zumindest eine Mitschuld an der Trennung zu tragen.

Wenn zum Beispiel ein kleines Mädchen seine Eltern oft dadurch zur Verzweiflung gebracht hat, daß es abends nicht ins Bett gehen wollte, kann dieses Kind die Tren­nung seiner Eltern mit seinem Ungehorsam in Zusammenhang bringen und sie als wohlverdiente Strafe dafür ansehen.

Auszug aus: WENN ELTERN SICH TREN­NEN. Klett-Cotta, Stuttgart 1989. 135 Seiten, öS 202,-. Sonja Goldstein ist Rechtsanwältin, Albert Solnit Kinderpsychiater.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung