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Machtkampf in der Familie

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In einer Gesellschaft, in der man nicht mehr um Nahrung oder ums Überleben kämpft, gibt es nur noch den Machtkampf.

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In einer Gesellschaft, in der man nicht mehr um Nahrung oder ums Überleben kämpft, gibt es nur noch den Machtkampf.

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Ist der Generationenkampf heute noch ein revolutionärer Kampf? Einst war er es, als die Väter noch die Macht in der Familie und somit auch in der Gesellschaft repräsentierten und die Mütter sie unterstützten. Heute sieht die Lage ganz anders aus.

In den ersten Jahren unseres Jahrhunderts sagte der Knabe Motele, Held eines Romans von Scholem Alejchem: „Mir geht’s gut, ich bin ein Waisenkind.“ Heute haben es viele Kinder gut, ja noch besser, denn sie haben - ohne Waisenkinder zu sein - nur mit einem Eltern- teil zu tun.

Und selbst die von ihnen, die mit beiden Eltern zusammen in einer sogenannten „intakten Familie“ leben, stehen nur in den seltensten Fällen einer geschlossenen Elternfront gegenüber. Sehr oft werden sie im ehelichen Kampf der Geschlechter - ein Kampf, in dem es keine Sieger geben kann — als Verbündete von beiden Seiten umworben und korrumpiert.

Die Kinder - sie haben unfehlbare egoistische Instinkte und bessere Nerven als die Alten — ziehen davon ihren Nutzen und behaupten ihre eigene Machtposition. Auch nach der Trennung bleibt der dem Erziehungsberechtigten entgegengesetzte Elternteil ein mächtiger Alliierter der Jungen, selbst wenn sie mit ihm keinen Kontakt haben.

Ich wollte im vorigen Satz „der jungen Rebellen“ schreiben, dies wäre jedoch falsch: Rebellieren kann man nur gegen eine herrschende Macht, und die gibt es in diesem Fall nicht; es handelt sich also nicht um junge Rebellen, sondern um junge Machtkämpfer. In einer Gesellschaft, in der man nicht mehr um die Nahrung und ums Überleben kämpfen muß, gibt es nur noch den Machtkampf. Das heißt; Es geht nur noch darum, wer wen herumkommandiert und wer wen ausbeutet; wer arbeiten muß und wer schmarotzen kann. In diesem Kampf haben heute die Eltern — oder doch die meisten von ihnen — die schwächere Position.

Am leichtesten haben es die Kinder, die mit einem Vater allein leben. Die Mädchen, weil sie von den Vätern verhätschelt und ohne Mühe mit ihnen fertig werden; selbst zweijährige Frauen schaffen es, einen Mann um den Finger zu wickeln. Verliebte Männer und welcher Mann ist nicht in seine Tochter verliebt?! - unterwerfen sich der weiblichen Herrschaft ohne Widerstand.

Buben müssen mit einem verzweifelten, wenn auch schwachen und aussichtslosen Widerstand seitens des Vaters rechnen - schon deshalb, weil ihre Machtkampfmethoden brutaler und direkter sind als die der Mädchen. Als mein Sohn klein war, meinte er, es sei besser, mit einem Vati allein zu sein als mit einer Mutti, weil die Vatis mehr Geld verdienen und den Kindern mehr geben können. Als Teenager schätzte er mein Einkommen nicht mehr so optimistisch ein. Für edles, was er an modischer Kleidung und moderner Technik kaufen wollte, reichte es ja bei weitem nicht aus.

Dafür hatte er Freiheiten, die er in keiner anderen Art der Familie haben könnte. Mit seiner Mutter hätte er - er ist ja ein Gentleman - unmöglich so reden können, wie er mit mir redete. Wenn ich manchmal versuchte, ihn schüchtern daran zu erinnern, daß ich doch sein Vater sei, meinte er, daß wir ja Freunde seien, und mit Freunden rede man offen und ohne Rücksicht.

Die Freundschaft wurde jedoch sofort vergessen, wenn es um die Erziehung ging. Er hat mich sehr streng erzogen, tadelte unerbittlich alle meine schlechten Manieren und Gewohnheiten.

Daß er ein hochqualifizierter Erzieher war und ist, ist klar. Wer kann klüger sein als ein junger Mann in der Pubertät?

Aus dem Fernsehen kannte er alle gelehrten psychologischen, pädagogischen und soziologischen Wörter, verstand also von der Erziehung ge nauso viel wie die renommierten Experten. Noch mehr: Er kann mit praktischen Ergebnissen aufwarten; denn er ist absolut davon überzeugt, daß er sich selbst, ganz allein, erzogen hat. Falls er doch bei sich irgendeinen Fehler oder eine kleine Unzulänglichkeit fand, sagte er mir ganz offen, daß es meine Schuld ist - ich hätte ihn rechtzeitig zu dem und dem zwingen oder von dem und dem abhalten sollen.

Ich bin kein machtgieriger Mensch und hätte gerne alle Gewalt meinem Sohn abgegeben, wenn ich welche gehabt hätte, schon um die Verantwortung loszuwerden. Selbst juristisch hatte ich jedoch keine elterliche Gewalt, nur die Sorgepflicht und die Erziehungsberechtigung. Die letztere nutzte mir in etwa so viel wie die Berechtigung, in der Lotterie zu gewinnen oder Staatspräsident zu werden.

Das ist es aber: Bei den heutigen Machtkämpfen, ob in der Familie oder in der Gesellschaft, will jeder die Macht und keiner die Verantwortung. Und den Eltern bleibt die Verantwortung - ohne Macht.

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