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Wie macht man es wirklich richtig?

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„Hab' ich nun, ach “

Nein, nicht Philosophei, denn hier spricht nicht Faust, sondern nur ein frustrierter Erziehungsberechtigter von jetzt und hier, und darum ist auch nicht von mit heißem Bemüh'n studierter „Philosophei, Juristerei und Medizin und leider auch Theologie“ die Rede wie einst bei Goethe, sondern nur von den verschiedenen Schulen der Pädagogik.

Und der wird ja bekanntlich echte Wissenschaftlichkeit nachgesagt. Wenn schon nicht als Ganzes, so doch immerhin den einzelnen Richtungen. Von deren jeweiligen Anhängern.

Trotzdem steh ich nun da, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.

Vorgestern erst habe ich nämlich in einem erziehungswissenschaftlichen Werk gelesen, es sei für die richtige Vorbereitung der Kinder auf das Leben in unserer konfliktgeladenen Gesellschaft von größter Wichtigkeit, daß den lieben Kleinen keine heile Welt vorgegaukelt werde. Vielmehr könnten sie nicht früh genug mit den harten Tatsachen des Daseins bekanntgemacht werden. Und dabei komme nicht nur der Schule, sondern auch der Familie eine außerordentlich wichtige Funktion zu.

Worauf ich gestern früh gleich einen Streit mit meiner Frau vom Zaun brach, was in der nervenzerfetzenden Spannung der allmorgendlichen Preisfrage „Werden die Kinder heute rechtzeitig in die Schule kommen?“ freilich nicht schwer war. Die Explosion ließ sich mit der ebenso lakonischen wie realistischen Gegenfrage „Warum sollen sie ausgerechnet heute zurechtkommen?“ mühelos bewerkstelligen. 1

Nun las ich aber ebenfalls gestern, im weiteren Verlauf des Tages, in einem anderen erziehungswjssen- schaftlichen Werk schöne und überzeugende Sätze über die Wichtigkeit einer friedlichen, harmonischen Familienatmosphäre für die Entwicklung des heranwachsenden Menschen, und da ich Ratschläge von kompetenter, fachlich ausgewiesener Seite prinzipiell beherzige, nahm ich die Schaffung einer solchen Familienatmosphäre sofort in Angriff, indem ich meine ohnehin von mustergültiger Selbstbeherrschung charakteristierten, höflichen Bitten um sofortige Freimachung des Badezimmers von 97 auf 87 Phon zurückschraubte, was ohnehin nur noch die halbe Lautstärke ist.

Scherz beiseite: Erziehung war immer schon ein sehr schwieriges Metier, aber seit sie wissenschaftlich durchleuchtet wird, fühlen sich ihr nicht einmal mehr die Fachleute gewachsen, weshalb immer mehr dem Beispiel von Rousseau folgen, der seine Kinder ins Waisenhaus steckte, um sich dem Verfassen von Werken über Pädagogik widmen zu können. Allerdings nennt man die Waisenhäuser heute auch Internate.

Ich erinnere mich mit Schrecken an meine Recherchen über ein anderes kniffliges Thema und an die Auswirkungen kontroversieller Auffassungen in meiner ganz persönlichen Erziehungspraxis. Aber Hand aufs Herz: Kann man seinen Kindern wirklich ein Vorbild sein, ohne über die psychologischen Mechanismen Bescheid zu wissen, durch die Vorbilder wirksam werden? Ganz zu schweigen von der Fragwürdigkeit unreflektierter und manipulativer Vorbildlichkeit?

Es ging mir dabei schlicht um die Frage, ob ein Mann, der seiner Frau im Haushalt und bei der Kinderbetreuung hilft, damit tatsächlich im Sinne der Erziehungswissenschaft positive Wirkungen erzielt.

Ich nahm diesbezügliche Behauptungen im Buch eines Universitätsprofessors (andere Pädagogik- Bücher lese ich längst nicht mehr-ist das vielleicht ein Fehler?) für bare Münze und entschloß mich spontan, meinen Kindern ein Vorbild zu werden. Und nahm die Sache in Angriff, indem ich eines Morgens den hilfesuchenden Blick, der allmorgendlich in den Augen meiner Frau steht, dem ich aber bis dahin notorisch aus dem Wege ging, las und beherzigte.

Und als sie wieder einmal dabei war, innerhalb von wenigen Minuten und vier Dinge gleichzeitig tuend Geschirr abzuwaschen und Frühstücke herzurichten, Betten zu machen und ein Hemd für mich zu bügeln, sich selbst für den Weg ins Büro fertigzu machen und Kindern beim Schuhezubinden zu helfen, Schultaschen zu überprüfen und am Telephon Klavierstunden zu koordinieren, Ratschläge für Schularbeiten zu geben und bei der Suche nach einem Tum- sack zu helfen, ein Aufgabenheft zu unterschreiben und einen mich zur Unzeit am Telephon verlangenden Kollegen abzuwimmeln (schließlich ging ich gerade meiner ebenso unaufschiebbaren wie verantwortungsvollen Verpflichtung nach, das Mor- genjoumal abzuhören), da nahm ich mir ein Herz, da gab ich mir einen Riß, da tat ich - als das Morgenjournal vorbei war - das Unerhörte und wischte in der Küche den von einem Kind verschütteten Tee vom Tisch.

Leider teils auf den Boden und teils auf die Hose.

Meine Frau war trotzdem sehr gerührt und sagte zu den Kindern, sie mögen sich ein Beispiel an mir nehmen.

Inzwischen wurde ich aber mit der Auffassung eines anderen Professors konfrontiert, welcher der Meinung ist, Kinder würden nicht dadurch zu emsigen, hilfsbereiten Erwachsenen, daß man sie mit dementsprechenden Vorbildern versorgt. Dabei bestehe sogar die enorme Gefahr, daß die Emsigkeit und Hilfsbereitschaft des Vorbilds zur Untätigkeit des Kindes führt, das auf diese Weise zu einem untätigen Erwachsenen wird, der sich auf die Emsigkeit und Hilfsbereitschaft anderer verläßt.

Seither halte ich es wieder für besser, mich nicht aktiv in den morgendlichen Arbeitsablauf einzuschalten, sondern Morgenjoumal hörend - alle paar Minuten zu meiner Frau zu sagen: „Mach das doch nicht selbst, sag doch den Kindern, daß sie es tun sollen!“ Leider hält sie sich nicht daran. Warum nicht, ist mir ein Rätsel.

Selbstverständlich habe ich auch lange und gründlich über das Problem „Autoritäre oder antiautoritäre Erziehung?“ nachgedacht. Ich bin dabei zu der Erkenntnis gekommen, daß ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen antiautoritärer Theorie und autoritärer Praxis viele Vorteile hat. Vielleicht hat es auch Nachteile, aber welches Erziehungssystem hat die nicht?

Und außerdem kommt es auf das Konzept, nach dem wir unsere Kinder erziehen, ohnehin nicht an. Ich kenne Eltern mit antiautoritären Erziehungs-Ideen. Ich kenne Eltern mit autoritären Erziehungs-Ideen. Ich kenne Leute, die ein gesundes Mittelmaß befürworten. Ich habe aber eine höchst seltsame Beobachtung gemacht: Die Erziehungsergebnisse aller dieser Gruppen unterscheiden sich überhaupt nicht.

Kürzlich hat mich zum Beispiel mein zwölfjähriger Sohn mit heftigen Vorwürfen überschüttet, weil ich ihn die Quizsendung im Fernsehen nicht sehen lassen wollte. Auch die kurze Zeit vorher von mir abgedrehte Science-Fic- tion-Sendung kam dabei zur Sprache. Es sei ausgesprochen prestigeschädlich in seiner Schulklasse, über solche Sendungen nicht mitreden zu können, erklärte mir mein Sohn.

Wenige Tage später sprach mich die Mutter eines seiner Klassenkameraden darauf an, ob es wahr sei, daß mein Sohn gewisse Sendungen sehen dürfe, denn ihrer berufe sich ständig darauf.

Manchmal habe ich ein wenig den Eindruck, daß wir, die Väter und die Mütter (aber ich kann halt nur als Vater sprechen) die Erziehungstheorien haben, während unsere Erziehungspraxis das Ergebnis einer streng geheimen Absprache zwischen den zu erziehenden Kindern ist. Die Kartellbehörden sollten sich darum kümmern.

Wer hat schon das Herz, seine Kinder zu einem „abweichenden Verhalten“ zu zwingen? Wer hat schon das Herz, ihnen Vergnügungen zu verbieten, die allen ihren Schulkollegen erlaubt sind? Laßt fahren alle Erziehungstheorien, die Praxis ist sowieso stärker!

Wenn ich das aber zu Hause laut sage, gebe ich schon wieder ein Beispiel in einer bestimmten Richtung, also halte ich lieber den Mund und lasse mich von meinen Kindern erziehen. Da sie im Gegensatz zu mir wirklich wissen, was sie wollen, erzielen sie dabei erstaunliche Erfolge.

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