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Die Karenz ist eines der letzten Abenteuer - für Männer wohlgemerkt. Ein Erfahrungsbericht.

Viele davon enden wie Abenteuergeschichten: Mann hat sich dem Wagnis gestellt, ist zumindest nicht völlig untergegangen, die Rückkehr in die Anstellung wird dankend angenommen. Noch ein wenig außer Atem treten wir in die Normal-Männer-Riege zurück. Die Karenz, eines der letzten Abenteuer im Alltag unserer Gesellschaft. Handshake, Blick voraus, das Familienbild klebt im Portemonnaie. Vom bereits begonnenen und lange andauernden Danach ist meist nichts mehr zu lesen. Das Kind ist zwei Jahre alt. An der Zeit, sich wieder zu formieren. Man selbst ist dankbar für die gesammelten Erfahrungen, die Karenz als Psycho-Event. Danke schön, Maxl, Moritz, Anna. Danke schön auch der privilegierten Stellung in öffentlicher Hand. Anderswo, weiß man eh, geht das alles nicht so leicht, eigentlich gar nicht. Ja, ja ein Beamter müsste man sein. So in etwa bleiben wir im Gespräch. Über die uns Nachfolgenden und die (Klein-)Familie.

Am Beginn ist das Interesse groß. Karenz guuut. Es sind vor allem die Kolleginnen, die sich dafür interessieren. Die Kollegen, die Geschlechtsgenossen, geben sich eher indifferent. Die Vätergeneration greift sich auf den Kopf. Was ist da nur schief gelaufen? Das Wagnis beginnt spätnachmittags mit letztem kollegialem Schulterklopfen. Am nächsten Morgen ist der Abenteurer alleine. Mit der Familie, den vier Wänden, dem Sohn. Rollenwechsel, die erste, kurz nach acht Uhr: Die Liebste ist nach dem Frühstück in die Arbeit. Das erste Mal nach einundhalb Jahren.

Gleich vorweg: Die neuen, gut ausgebildeten Mütter (NGAMs) haben mit ihren eigenen wenig mehr zu schaffen. Sie sind kaum noch Orientierungsmarke. Ein Fortschritt mit großen Konsequenzen. Wenn man zur eigenen ein gutes Verhältnis hat, fällt einem das in dieser Situation vielleicht noch deutlicher auf. Im innersten Eigenen haust sie leider noch, die Über-Mutter. Die eigenen Väter spielen da keine Rolle. Kein Wort mehr darüber. Das hat sich verändert. Bereits zu dritt fällt das alles aber ins Gewicht. Vom Verhandlungstisch in den Wattebausch-Grabenkampf, Waffenstillstand, dann wieder Friedenverhandlungen und retour: Das kostet Kraft, schult andererseits das eigene Verhandlungsgeschick.

Merke: Organisation ist die halbe Karenz. Auslagern kann die Devise dann lauten. Kein Problem: Das öffentliche Kunststück (Klein-)Familie ist längst vom Siegerstockerl abgetreten und hat dem undefiniert Privaten Platz gemacht. Auch der weithin akzeptierte, wie praktizierte Stolz auf die eigene Ehrlichkeit lässt Tradiertes, wie Vertrautes oft inakzeptabel erscheinen. Mutter-Sein, Vater-Sein als naturgegebene Rolle, die Familie das Normalste auf der Welt, das Kind gar ein Geschenk - Gott verhüte!

Viel eher verstehen wir junge Eltern uns als Zeit-Aktionäre und Gefühlsmanager. Wir kaufen Tagesmütter-Aktien, zeichnen mehrjährige Verwandtschaftsanleihen, zahlen in Frühförderungs-Baskets ein und spekulieren hemmungslos mit Babybussis. Darüber hinaus sorgen wir noch für notwendige Wärme in der Gesellschaft. Ein Lächeln auf der Straße, ein hängenbleibender Blick in der U-Bahn: Kleinkinder ziehen eine Spur des Lächelns nach sich. Alles, fast alles miteinander sinnvoll, und meist unumgehbar. Dass Familie-Halten und Sein aber auch einfach und das Tamtam selbst machbar ist, das Ganze etwas mit geheimnisvoller Abgeschiedenheit und Neuanfang zu tun hat, auf das muss man schon selbst kommen. Vermittelt wird es einem nicht. Dafür gibt es jede Menge empfindsamer Meinungen und Ansichten kinderloser Altersgenossen. Stimmt schon, allein darüber zu reden, vielleicht gar einige Sätze lang, fällt nicht so leicht. Lieber suchen wir Zuflucht im Antwortgeben auf die Fragestellungen anderer: Ja, dem Kleinen geht es gut; Ja, wir kommen zurecht; Nein, da können wir wohl nicht kommen. NGAMs prüfen sich untereinander bevorzugt über ihre Arbeit ab.

Zumindest im Währinger Park sind die Kindermädchen längst wieder zurück. Osteuropa und die Philippinen sitzen am Kinderspielplatz auf einer Bank, reichen kleine Apfelstücke, heben kleine H&M-Bündel auf. Die NGAMs sind oft nicht da. Zumindest nicht die, die es sich leisten können. Die mittelständische Lösung ist das Handy. Auch damit lässt sich Kontakt und zugleich Distanz herstellen. Mit der Außenwelt und der Normalität der anderen.

Eine junge Mutter betritt mit ihrem einjährigen Kind das Gitterreich der Übernächsten. Schäuflein, Rechen, Kübel, Kind in praktischer Gummihosen-Verkleidung: In den Sand gesetzt, das Handy wird mit derselben Bewegung aus dem Mantel an das Ohr gelegt. "Du, servus, ja ich bin`s ...". Die Reklamation der eigenen Person lernt man - jetzt aber einmal geschlechtsneutral - spätestens im Karenz. Sich in Erinnerung rufen, Vorbeischauen, Nicht vergessen werden, "Du, ja, servus, ich bin's": Auch hier sind die NGAMs den Männern voraus. Sie knüpfen ihr Zuhause-Netzwerk früher, fleißiger, viel selbstbewusster und effizienter als unsereiner. Die Wochentage sind durchstrukturiert, am Montag bei Elsa in der Wohnung, am Dienstag Spaziergang mit Katrin, Spielgruppe und Shopping mit Alexandra am Mittwoch, der Donnerstag ist noch offen, am Freitag dann der Arzttermin. Frauenpower auch im Abseits des Privaten. Ich selbst habe mich in diesem halben Jahr drei, vier Mal mit freiberuflich tätigen Freunden und deren Kindern getroffen. Ansonsten war ich mit meinem Sohn alleine zu Hause. Auch nicht schlecht.

Wenn etwas beim Thema "Mit dem Kind zu Hause sein" nicht vermittelt oder schlichtweg übersehen wird, dann ist es die Komik. Der Humor, der den gemeinsamen Alltag durchädert und etwa dort Zuhause ist, wo die Wörter noch unerkennbar dicht übereinanderliegen, oder dort, wo Worte, wie "Bim" oder "Muh", Wauwau" oder "Roar", auf völlig Unerwartetes übertragen, sich ihrer Geräusch-Verwandtschaft entkleiden. Vieles ließe sich noch erwähnen: der wundersame Gesang, das genaue Sehen, die Unerschrockenheit allem Neuen gegenüber, und, es stimmt wirklich, der legendäre Hautduft. Eine Woche vor seinem zweiten Geburtstag hat mein Sohn im Schönbrunner Tiergarten letztendlich doch noch das Unheimliche kennen gelernt. Es war das hustende Brüllen des dort lebenden Löwen.

In Science Fiction-Filmen gehen die Helden des Öfteren durch ein Zeitloch. Die Karenz ist etwas ähnliches. Du bist im Kehrwasser des Arbeitsflusses, im Leo des Gewohnten und Üblichen. In sechs Monaten baut sich die Zeit langsam um, wie die Wohnung durch Max-Emil. Man rückt Tag um Tag näher zueinander und wenn man sich darauf einlässt, ist irgendwann alles anders. Und eben nicht nur die Tapete unseres Wohnzimmers. Das ehemals Gewohnte, die Arbeit, das Lokal-Kino-Private, das Einfach-nur-so, das ganze Übermaß an unbenannter Zeit sieht man erst jetzt, rückblickend. Ein großer ungenutzter Zeitgletscher, der sich zurückzieht, abrinnt. Irgendwohin.

Oktober bis April: Ist das viel oder wenig Zeit? Wie im Flug dahin? Ich habe nach langer Zeit wieder viel und konzentriert Radio gehört. Zu Mittag gegessen wurde im letzten Drittel des Ö1-Mittagsjournal. Wenn`s denn genehm war. Über das neue Kindergeld war viel die Rede gewesen. Gut oder schlecht, nur ein erster Schritt in die richtige Richtung oder infames Roll-back der neuen Regierung? Mann hört zu, während ich für meinen Sohn die Gemüsesuppe im Löffel kalt blase.

Kritiker verweisen auf das schwedische Modell und die weibliche Gefahr vor dem eigenen Herd. Als Minderheiten-Mann koche ich zwar jeden Tag für meine Familie, aber was folgt daraus? Laut Statistik waren im März 1.414 Männer im Karenz. Was als Eindruck dennoch bleibt: Adäquat wird über meinen Nachwuchs anlässlich der diversen parteipolitischen Pressekonferenzen, Kamingesprächen oder Enqueten keinesfalls gesprochen. Und auch nicht über das, was ich Familie nenne.

Um deutlich zu werden: Gemeint ist die klassische Herkunft, also kultiviert nostalgische Babyboom-Generation. Kreisky-Kinder, die getragene Großvater-Stimme hat sich einem tief in der Ohrmuschel für immer festgesetzt. Unterm Strich findet sich weiters: So wie es heute ONE, max.mobil, die Telekom, telering, Priority und sicherlich noch einige andere Telefongesellschaften gibt, so verhält es sich eben auch mit den 68er-Jahrgang-Familien. Das Kunststück ist nur mehr unter neuen Vorzeichen zu haben. Sonst spielen die NGAMs, um es kurz zu machen, einfach nicht mehr mit. Warum auch in die dunkle Familienhöhle eintreten, wenn es zumindest anderes gibt?

Transnationale Synergien sind somit vonnöten. In der Wirtschaft ebenso wie bei den locker werdenden Bausteinen der - noch kann man es sagen - rotweißroten Gesellschaft. Richtig so. Nur: Die angemessene Sprache, die passende Frequenz wird seitens der Gesellschaft dennoch gesucht werden müssen. Für die Einige-Kilogramm-Schweren, die sprachlosen, quengelnden Mutter-Kind-Pass-ÖsterreicherInnen, wie auch für deren Väter und Mütter. Gleich woher. Vielleicht ist die 68er-Generation die letzte, die das bedrückende, wie lustvolle Bis-das-der-Tod-Euch-scheidet-Familiengeheimnis mit in ihr Generationengrab nimmt. Größere Zukunftschancen möchte man ihm nicht beimessen.

Die Signale vom Familien-Privaten lesen und sehen sich in letzter Zeit anders, vor allem für Karenz-Väter mit entsprechender Aufmerksamkeit. Die Mittelstands-Kids spielen seit einiger Zeit offensichtlich verrückt, planen Mordzüge gegen Eltern und Lehrer (Zeitungsmeldungen), verlassen kommentarlos ihre halbierten Familien (Paulus Hochgatterers Romane) oder killen sich untereinander (Michael Hanekes Filme). Mediale und künstlerische Überspitzungen gewiss, der Blick auf den gerade erst eingeschlafenen Sohn bleibt dennoch skeptisch. Die neue Zumutung des Es-ist-alles-möglich darf einem auch Furcht bereiten. Zumindest für einige Augenblicke. Das beste Rezept dagegen: Man lässt sich zurück ins Becken der Intimität fallen.

Merke zuletzt: Das Feine am Karenz ist dessen Eindeutigkeit. Mann ist zu Hause und die einzige wirkliche Aufgabe ist jener Mensch, der mir mit angetrentztem Schlafanzug gegenüber sitzt. Morgens, um sechs Uhr.

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