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Wie sieht der Alltag berufstätiger Eltern und ihrer Kinder aus? Ein Lokalaugenschein anlässlich der aktuellen "Wertedebatte".

Es liegt etwas in der Luft. So sehr die Kleinen auch damit beschäftigt sind, Bausteine zu stapeln oder bunte Spiralen auf Papier zu kritzeln: Langsam aber sicher macht sich unter ihnen eine Ahnung breit - dass es nicht mehr lange dauern kann, bis Mama oder Papa den Kopf durch die Türe steckt. Tatsächlich geben sich im Vorraum des Privatkindergartens "Mary Poppins" im achten Wiener Gemeindebezirk bald die Eltern die Klinke in die Hand.

Als erstes steht an diesem Freitag Nachmittag der Vater des kleinen Luca auf der Schwelle: Während sein 15 Monate alter Sohn noch quietschvergnügt am Boden robbt, bleiben für Papa ein paar Minuten zum Verschnaufen. "Obwohl er erst den zweiten Monat hier ist, läuft es schon super. Kein Fremdeln, nichts." Dabei sah es für die Familie nicht immer so rosig aus: "Wir waren gerade dabei, uns mit einem Lokal selbständig zu machen. Da ist der Luca passiert'", erzählt sein Vater. Mit der Geburt hat sich alles verändert: der Tagesablauf, die nötige Organisation, das Maß an Spontaneität. Angesichts der Anforderungen durch den Betrieb schied eine längerfristige Betreuung zu Hause bald aus; ein Kindermädchen war zu teuer - und der Erziehungsstil der Oma zu antiquiert. Schließlich erschien eine Kinderkrippe als beste Lösung. Und so wird der kleine Luca nun täglich um halb zehn Uhr zu "Mary Poppins" verfrachtet, um halb drei Uhr abgeholt - und fühlt sich als Kleinster unter 55 Knirpsen zwischen einem und zehn Jahren offensichtlich pudelwohl.

Zeitdruck und Genervtheit

Weniger gut geht es vielen der Eltern, weiß Thomas Hann, Leiter des "Mary Poppins"-Kindergartens und Obmann des Dachverbands der Wiener Privatkindergärten und Horte: "In der Früh merkt man den Zeitdruck, und am Abend die Genervtheit." Die eigene Berufstätigkeit und das Wohl der Kinder unter einen Hut zu bringen, erzeuge eben notgedrungen Stress.

Eine für alle unbefriedigende Situation, der immer mehr Österreicherinnen und Österreicher von vornherein durch Kinderlosigkeit entgehen. Die Folgen sind bekannt: Seit Jahren ist die Geburtenrate rückläufig. Brachte im Jahr 1962 eine Frau hierzulande noch durchschnittlich 2,8 Kinder zur Welt, so sind es derzeit nur 1,4. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, wäre jedoch eine Gesamtgeburtenrate von 2,08 Kindern je Frau nötig.

Die Eltern der dreijährigen Hasti sind deutlich unter dieser Marke geblieben. Dennoch mussten sie erleben, dass schon ein einziges Kind das Organisationstalent berufstätiger Mütter und Väter - bei mangelhaften Rahmenbedingungen - gehörig strapazieren kann: "Normalerweise besucht sie einen anderen Kindergarten", erzählt Hastis Vater, während er in der Garderobe von "Mary Poppins" seiner Tochter schweißgebadet die Schnürsenkel bindet. "Doch weil die im Juli und August geschlossen haben, war sie nun vorübergehend hier." Im Jahr davor konnte er sich während dieser beiden Monate noch Urlaub nehmen. Heuer jedoch hatte er sich vergeblich darum bemüht.

Wie die Eltern von Hasti sehnen tausende Eltern Jahr für Jahr den Schulbeginn - und damit das Ende der langen Sommerpause in vielen Kindergärten, Krippen und Horten - herbei. Doch auch während des Schuljahres wird es für immer mehr Eltern zum Spießrutenlauf, die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen und die eigenen Arbeitszeiten unter einen Hut zu bringen. "Das ist ein Dilemma, vor allem dann, wenn Frauen - wie es jetzt im Handel üblich ist - am Vormittag drei Stunden und am Abend wieder drei Stunden arbeiten müssen", klagt Edith Wilner, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins "Kinderdrehscheibe", der in ganz Wien rund 75.000 Betreuungsplätze vermittelt.

Mit einem Deckungsgrad von 96,57 Prozent bei den Kindergartenkindern und 57 Prozent bei den unter Dreijährigen liegt die Bundeshauptstadt österreichweit an der Spitze. Bereits 19 Prozent der unter Zweijährigen werden hier außerhäuslich untergebracht - im Vergleich dazu sind es etwa in der Steiermark gerade 2,1 Prozent.

Doch das breitgefächerte Angebot hat seinen Preis: Mit durchschnittlich 184 Euro pro Monat (inklusive Mittagessen) müssen Wiener Eltern für einen ganztägigen Betreuungsplatz etwa doppelt so viel berappen wie ihre Kollegen aus Vorarlberg. "Wobei es bei der Gemeinde Wien sozial gestaffelte Elternbeiträge gibt", so Edith Wilner. Zudem gebe es im privaten Sektor, der in Wien 50 Prozent des Kinderbetreuungsangebots stelle, eine Beihilfe des AMS.

Teure Flexibilität

Dennoch: Der Preis ist heiß - auch bei "Mary Poppins": 297 Euro sind für die Ganztagesbetreuung von unter Dreijährigen - inklusive Essen - zu veranschlagen. Für Drei- bis Sechsjährige betragen die monatlichen Kosten 279 Euro, für den Hort 225 Euro.

Geboten wird dafür bestmögliche Betreuung durch fünf Kleinkindpädagoginnen und zwei Helferinnen - sowie größtmögliche Flexibilität: Zwischen sieben Uhr früh und sechs Uhr abends - Sommerferien inklusive - können die Kinder jederzeit gebracht oder abgeholt werden. Nur an Freitagen haben sich die Eltern bis fünf Uhr abends einzufinden. Noch müssen sie sich dazu im Haus Tigergasse 4 in den ersten Stock bemühen. Eine Übersiedlung soll ihnen das schon demnächst ersparen - und den Kindern in einem nahe gelegenen Park endlich mehr Platz zum Herumtollen bieten.

Die Mutter des neunjährigen Felix kann den Umzug kaum mehr erwarten: "Im Sommer ist es für Kinder in Wien unmöglich", beklagt die Kinderkrankenschwester aus Oberösterreich. Seit der ersten Klasse Volksschule verbringt Felix seine Nachmittage im Hort von "Mary Poppins". Zuvor wurde er in einer der rund 100 Wiener Kindergruppen betreut, die von Elternvereinen in Eigeninitiative geführt werden. "Hier haben die Kids mehr Freiheiten, und es herrscht nicht so ein Drill", ist die junge Frau mit dem frechen Irokesenschnitt überzeugt. Mindestens so wichtig wie Öffnungszeiten sei es schließlich, einen Betreuungsplatz zu finden, "wo ich mein Kind mit einem guten Gefühl im Bauch zurücklassen kann". In den ersten drei Lebensjahren hat sie sich selbst um den Jungen gekümmert und ging als Krankenschwester in Karenz. Eine Zeit, die sie nicht missen möchte: "Durch ein Kind ändert sich sehr viel, aber es kommt alles wieder zurück", ist sie überzeugt. Ihr Kind bereits mit einem Jahr in eine Krippe zu geben, wäre ihr "absurd" erschienen.

Genauso absurd empfinde sie im Übrigen die von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer losgetretene "Wertedebatte", meint sie beim Hinausgehen: "Erst heute hat ein Mann in der Straßenbahn zu mir gesagt: Sie gehen heute nicht auf eine Party, oder?"

Im Spielzimmer ist inzwischen fast so etwas wie Ruhe eingekehrt. Es ist vier Uhr - eine Stunde noch, und auch die letzten Kinder werden ihre Eltern in die Arme schließen. Elias ist der nächste Auserwählte: Kaum hat er die Stimme seiner Mutter vernommen, stürzt er schon freudig Richtung Tür. Die junge Frau weiß sich vor lauter Küssen kaum zu retten. Schon um Viertel nach sieben Uhr morgens hatte sie ihn hergebracht. Kein Zweifel: Der Dreieinhalbjährige hat sie vermisst. Und die Situation wird noch schlimmer, ahnt die alleinerziehende Mutter und studierte Juristin: "Derzeit habe ich noch eine Stelle als Rechtspraktikantin. Doch ab November geht's ans Eingemachte: Dann muss ich 40 Stunden pro Woche arbeiten - sonst können wir uns das Leben nicht mehr leisten." Das Jugendamt sei derzeit damit beschäftigt, die Alimente des Kindesvaters einzutreiben. Bis dahin müssten sie und ihr Sohn von monatlich 900 Euro ihr Dasein fristen. Allein 279 Euro sind für den Kindergarten abzuziehen, magere 63 Euro beträgt der Zuschuss. Angesichts dieser prekären Situation hat sie für die derzeitige "Wertedebatte" nur ein Adjektiv parat - "letztklassig": "Eltern brauchen keine Wertedebatte, sondern Betreuungsplätze, die sie sich leisten können, und Ganztagesschulen, damit sie nicht auch noch den Hort bezahlen müssen."

Vereinsamte Eltern

Die weit reichenden Folgen der Elternschaft hat auch der Vater der siebenjährigen Mimi am eigenen Leib verspürt: "Wenn man ein Kind bekommt, verliert man langsam aber sicher den gesamten Freundeskreis. Man vereinsamt regelrecht", meint der 43-jährige "überzeugte Partygeher". Wie groß die Misere ist, wenn auch noch finanzielle Probleme dazukommen, will er sich gar nicht ausmalen: "In dieser Hinsicht macht Geld schon glücklich." Sprach's - und kehrt mit Mimi an der Hand "Mary Popper" den Rücken.

Indes hat sich der Kindergarten schon fast geleert. Thomas Hann hat es sich mit den beiden letzten Knirpsen, Sebastian und Isabella, in der "Kuschelecke" bequem gemacht. Gemeinsam blättern sie in einem Bilderbuch - bis punkt fünf Uhr die beiden Mütter in der Tür erscheinen. Isabellas Mama, eine Italienerin, stürmt mit großem Hallo auf die Kleine zu und gibt ihr sogleich die Brust: "Verglichen mit Italien ist die Situation in Österreich noch gut", sinniert sie. "Bei uns wurden Frauen bei ihrer Anstellung sogar gezwungen, ihre Kündigung zu unterschreiben - nur für den Fall, dass sie schwanger werden."

Nähere Informationen unter www.kinderdrehscheibe.at und beim Dachverband der Wiener Privatkindergärten und Horte unter www.kindergarten.at. Eine aktuelle Broschüre der AK Wien bietet einen Überblick über die Wiener Angebote. Zu bestellen unter (01) 310 00 10-329.

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