7094538-1994_41_14.jpg
Digital In Arbeit

Kein Parkplatz für Kinder

19451960198020002020

Ein Kindergartenplatz für jedes Kind, so lautet eine oft gehörte Forderung. Fragt sich nur: Entspricht das kindlichen Bedürfnissen?

19451960198020002020

Ein Kindergartenplatz für jedes Kind, so lautet eine oft gehörte Forderung. Fragt sich nur: Entspricht das kindlichen Bedürfnissen?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Thema Kinderbetreuungseinrichtungen steht derzeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Vor allem der Kindergarten als größte Institution für Kleinkinder gerät zunehmend unter Druck.

Einerseits soll ein „flächendeckendes Versorgungsniveau“ jedem Kind zwischen drei und sechs Jahren einen Kindergartenplatz garantieren, andererseits sollen verlängerte Öffnungszeiten die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit der Mütter und Kinderbetreuung ermöglichen. Argumentiert wird vor allem mit „ Frauen i nteressen“. Weitgehend unberücksichtigt bleiben die Anliegen und die Bedürfnisse der Kinder.

Auch wenn heute kaum jemand den Erziehungs- und Bildungsauftrag des Kindergartens ernstlich in Frage stellt, so ist die pädagogische Arbeit in diesen Einrichtungen bedroht, wenn sie mit überzogenen Forderungen nach „Betreuung“ belastet wird.

Dazu Brigitta Bollett, Vorstand der Abteilung für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Wien: „Der Kindergarten sollte auch heute primär eine Bildungseinrichtung und keine Aufbewahrungseinrichtung sein. Kinder sollten auch nicht vor dem dritten Lebensjahr und keinesfalls ganztägig untergebracht sein. Auch ein Erwachsener kann „Bildung“ nicht acht Stunden lang ertragen.“

Als weiteren Mangel sieht Rollett die Unterbringung der Kinder in viel zu kleinen Räumen mit viel zu vielen Kindern (25 und mehr in einer Gruppe). Große Gruppen haben zur Folge, daß mit den Kindern viel zu wenig gesprochen werden kann. Das wieder hat zur Folge, daß die Sprachentwicklung des einzelnen Kindes zurückbleibt.

Bei der Unterbringung von noch jüngeren Kindern in Gruppen von 15 bis 20 in privaten Krippen mit nur einer Erzieherin wird Sprechkontakt fast unmöglich. Auch in offiziellen Krippen mit „nur“ acht Kindern ist es undurchführbar, sich mit einem Kind mindestens eine Stunde pro Tag zu beschäftigen (was die Minimalanforderung ist), da der Erzieherin keine Zeit mehr verbliebe, alle Krippenkinder auch noch zu wickeln, zu waschen und zu füttern. Da die Sprachentwicklung ganz direkt mit der Denkentwicklung des Kindes in Zusammenhang steht, ergeben sich hier natürlich große Einbrüche.

Ein weiterer Schaden den die kindliche Entwicklung erfährt, ist die sogenannte „Stillbeschäftigung“, die in Institutionen wegen der zu großen Anzahl von Kindern üblich ist. Die Kinder machen auf diese Art viel zu wenig Bewegung, die kleine Kinder natünich brauchen. Das still beschäftigte Kind verliert auf diese Weise seine Motivation, die es später - in der Schule - dringend brauchen wird. Eine diesbezügliche Studie ergab: „Je mehr Stillarbeit in Krippe und Kindergarten, desto fauler sind die Kinder in der Schule.“ Brigitta Rollett weist in diesem Zusammenhang noch auf weitere negative Auswirkungen von Kinderkrippen und Kindergärten hin: 10- bis 15jährige Kinder werden - laut Studie - nach einer Kindheit in einer „Institution“ von ihren Eltern als emotionell instabil bezeichnet. Auch die Schulerfolge dieser Kinder bleiben weit unter den Erwartungen zurück.

ZEIT FÜR DIE KINDER

Was ist auf dem emotionalen Sektor „schiefgelaufen“?

Rollett: „Zwischenmenschliche Beziehungen brauchen Zeit, um zu wachsen. Wenn ein Kind in der Früh um sechs Uhr aus dem Bett gerissen wird, um schnell im Kindergarten abgesetzt und abends von einer müden Mutter wieder abgeholt zu werden, es zu Hause also nur „Schlafgast“ ist, so kann keine normale Eltern-Kind-Beziehung entstehen. Auch die Eltern lernen ihr Kind auf diese Art viel zu wenig kennen, um zu wissen, wie es gelenkt werden soll, was es braucht und WEIS es fühlt. Daraus ergeben sich für beide Seiten Konflikte.“

Praktikantinnen sind eine kostengünstige und kindgerechte Betreuungsmöglichkeit für Kleinkinder.

Krippen können nur dann funktionieren und Schäden für die Kinder hintanhalten, wenn die Obergrenze von vier Kindern pro Gruppe nicht überschritten wird. (Wird in Deutschland ebenfalls bereits praktiziert.) Auch hier ist finanzielle Förderung angesagt.

Tagesmütter, die maximal drei bis vier Kinder betreuen, sollten geschult und laufend betreut werden. Die Beziehungsebene zwischen Mutter oder Eltern und Tagesmutter muß „stimmen“. Auch Betriebskindergärten, in denen Mütter in einer verlängerten Mittagspause mit ihren Kindern zusammen sein können, stellen eine Alternative dar. Auch könnte der wachsende Einsatz von (Heim-)Compu- tem Müttern in Zukunft die Möglichkeit bieten, zu arbeiten und doch zu Hause beim Kind Zu bleiben.“

Sicher fordern alle angesprochenen Alternativen ein Mehr an Geld. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß auch die qualifizierte Betreuung von Kleinstkindern in einer Institution mindestens dieselben, wenn nicht sogar höhere Beträge fordert. Es bleibt also die Frage offen, ob es nicht sinnvoller ist, finanzielle Mittel den Familien zur Verfügung zu stellen, damit sie die Erziehung ihrer Kinder selbst übernehmen, oder sich individuelle Möglichkeiten der Betreuung leisten können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung