"Ein Jahr Kindergarten ist nicht ausreichend"

Werbung
Werbung
Werbung

Simone Breit, Leiterin des Projekts der Sprachstandsfeststellung beim Bifie, über Maßnahmen, um die sprachlichen Fähigkeiten von Vorschulkindern zu verbessern.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Die Ergebnisse der ersten Sprachstandsfeststellung liegen vor - 23 Prozent der Kindergartenkinder haben sprachlichen Förderbedarf. Bei Kindern mit Migrationshintergrund benötigen 59 Prozent Sprachförderung.

Die Furche: Frau Breit, was muss sich nun im Kindergarten ändern, um die Kinder besser in der Sprache, aber auch in anderen Kompetenzen zu fördern?

Simone Breit: Verbesserungen von Rahmenbedingungen sind eng mit diesem Projekt verknüpft. Die Sprachstandsfeststellung braucht Zeit und auch personelle Ressourcen. Es ist eine international anerkannte Richtlinie, dass circa 15 Kinder von zwei Fachkräften betreut werden sollten.

Die Furche: Das klingt zurzeit eher unrealistisch: In Wien etwa soll es ab Herbst einen kostenlosen Kindergarten geben. Das bedeutet vermutlich mehr Kinder bei einem Mangel an Fachkräften.

Breit: Solche Angebote müssen mit einem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen einhergehen. Sie dürfen nicht auf Kosten der Qualität gehen. Es darf kein Zurück zu Bewahranstalten geben; Kindergärten sind Bildungseinrichtungen.

Die Furche: Sind Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen gut genug ausgebildet, um Kinder ausreichend sprachlich zu fördern?

Breit: Man muss die Ausbildung als Gesamtes im gesellschaftlichen Kontext sehen. Die Anforderungen, die an den Kindergarten und an die Pädagogen und Pädagoginnen gestellt werden, nehmen zu. Sie werden für vieles verantwortlich gemacht, sie arbeiten unter schwierigen Arbeitsbedingungen und schlechten Rahmenbedingungen. In Bezug auf die Anforderungen reicht die derzeitige Ausbildung sicher nicht aus.

Furche: Ihre Erhebung zeigt: Je länger Kinder einen Kindergarten besuchen, umso besser sind die sprachlichen Fähigkeiten. Ist ein Jahr Verpflichtung für Fünfjährige, wie jetzt geplant, nicht zu wenig?

Breit: Ein Jahr kann keine Wunder vollbringen - dessen muss man sich bewusst sein. Mittelfristig sollten Kinder einen Kindergarten zwei Jahre besuchen. Die Verpflichtung für alle Fünfjährigen ist nur ein erster Schritt.

Die Furche: Ihre Studie zeigt auch, wie schwer man jene erreicht, deren Kinder nicht in den Kindergarten gehen. Nur 9 Prozent dieser Kinder besuchten die Schnuppertage, bei denen dann die Sprachstandsfeststellung durchgeführt wurde.

Breit: Damit haben wir nicht gerechnet, das hat uns vor den Kopf gestoßen. Es zeigt dringenden Handlungsbedarf auf, um an diese Zielgruppe heranzukommen. Gerade in dieser Gruppe ist der Förderbedarf sehr groß.

Die Furche: Neben dem Appell zum Kindergartenbesuch - müssten die Eltern nicht auch unterstützt werden, ihre Kinder besser sprachlich zu fördern?

Breit: Wir müssen die Eltern dringend mit ins Boot holen und ihnen näherbringen, was sie zur Förderung ihres Kindes tun können. Die frühe sprachliche Förderung im Elternhaus ist ganz wichtig für die spätere Lesekompetenz der Kinder. Das wissen wir von den Elternfragebögen der PIRLS-Lesestudie. Es geht um alltägliche Aktivitäten wie etwa Bilderbücher anschauen, Reime oder Singspiele. Es geht aber nicht um das Vorwegnehmen schulischer Inhalte.

Die Furche: Müsste man bei Migrantenkindern nicht auch erheben, wie gut sie die Muttersprache sprechen, um sie besser fördern zu können?

Breit: Pädagoginnen und Pädagogen sind sich bei mehrsprachigen Kindern bewusst, dass nur ein Teilsegment ihrer sprachlichen Kompetenz erhoben wird. Eine Erfassung der Fähigkeiten in der Erstsprache ist zwar wünschenswert, aber kaum machbar in Bezug auf Instrumentarium und Personal. Die Erfassung der Kompetenzen in der Herkunftssprache eines Kindes wäre nur dann sinnvoll, wenn sie Hand in Hand mit einer Förderung gehen würde.

Die Furche: Wird man mit den Standards, die Ihrer Studie zugrundeliegen, der individuellen Entwicklung eines jeden Kindes gerecht?

Breit: Kinder sollen entsprechend ihres Entwicklungsstandes gefördert werden. Wenn eine Pädagogin nicht weiß, wo jedes Kind steht, kann es nicht zielgerecht gefördert werden. Der Kindergarten ist ein Raum ohne Druck, wo Kinder in spielerischer Atmosphäre lernen. In der Volksschule sind schon Leistungsanforderungen dabei. Besser früher investieren als später reparieren.

Simone Breit ist Bildungswissenschafterin und Kindergartenpädagogin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung