Lernen, leisten, leiden

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Neben PISA startet erstmals auch die Studie PIRLS in Österreich - und untersucht neben den Leseleistungen der Volksschüler auch ihr Wohlbefinden.

Nun wird es wieder ernst: Nach vorgezogenen Tests in sechs Berufsschulen beginnt diesen Donnerstag der dritte Durchlauf der OECD-Schülervergleichsstudie PISA (Programme for International Student Assessment). Rund 5000 Schülerinnen und Schüler des Geburtsjahrgangs 1990 - vom Gymnasiasten bis zum Poly-Schüler - werden dieser Tage vor einem Feuerwerk an Fragen brüten: Auf dem Prüfstand stehen vor allem ihre naturwissenschaftlichen Kompetenzen, aber auch ihr Wissen und Können in den Bereichen Lesen und Mathematik wird einmal mehr untersucht.

Lesen ohne Sinn

In ihrem Prüfungsstress sind die 15-und 16-Jährigen freilich nicht allein. Auch Österreichs Volksschüler stehen unter Leistungsdruck: Im Rahmen der internationalen Lese-Studie PIRLS (Progress in International Reading Literacy Study), an der weltweit 41 Länder (darunter erstmals auch Österreich) teilnehmen, werden ab kommendem Montag die Lesefähigkeiten von rund 4500 Kindern der vierten Volksschulklassen unter die Lupe genommen.

Ein heikler Test, hat doch PISA zuletzt bei Jugendlichen am Ende der Schulpflicht bedenkliche Mängel festgestellt: Demnach können in Österreich 14 Prozent der 15-und 16-Jährigen nicht sinnerfassend lesen. Wie stark diese Defizite schon am Ende der Volksschulzeit zu Tage treten (und ob etwa die Initiative "Lesen fördern" des Bildungsministeriums zur Behebung dieser Mängel ausreicht), werden die PIRLS-Ergebnisse im Dezember 2007 dokumentieren.

Und sie zeigen noch viel mehr - schließlich begnügt sich PIRLS nicht mit der bloßen Testung der Lesefähigkeit, sondern spürt mit Hilfe von Schüler-, Lehrer-und Elternfragebögen auch dem familiären und schulischen Leben österreichischer Zehnjähriger nach. "Fühlst du dich sicher an der Schule?" werden die Viertklässler hier gefragt, "Bist du gerne an der Schule?", "Hast du das Gefühl, dass sich die Lehrer an deiner Schule um dich kümmern?", "Wurde dir im vergangenen Monat etwas gestohlen?", "Wurdest du zuletzt von einem Mitschüler schikaniert?" oder auch "Wurdest du im vergangenen Monat von einem Mitschüler verprügelt?".

Ähnliche Fragen, die Österreichs 15-und 16-Jährigen parallel zu PISA 2003 im Rahmen der nationalen Zusatzerhebung "Belastung in der Schule" gestellt worden waren, hatten zum Teil erschütternde Ergebnisse gebracht: So gaben insgesamt 80 Prozent der 1502 untersuchten Jugendlichen an, sich durch schulische Probleme belastet zu fühlen. Etwa drei Viertel der Schülerinnen und Schüler fühlten sich durch schulische Leistungsanforderungen zumindest zeitweise unter Druck gesetzt, und mehr als ein Drittel klagte über chronische Belastung durch zu hohe Anforderungen. Ebenso ein Drittel fühlte sich zumindest gelegentlich durch demütigende Lehrerinnen und Lehrer, gemeine Mitschüler oder gering schätzende Eltern verletzt - rund zehn Prozent sogar mindestens ein Mal pro Woche.

Zehn Jahre - und schon Täter

Dass Gewalt auch in Volksschulklassen zu Hause ist, hat Christiane Spiel von der Universität Wien mit zahlreichen Studien belegt: "Durchschnittlich rund zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler geben an, selbst Opfer von Gewalt zu sein", betont die Psychologin. Rund zehn Prozent behaupten im Gegenzug, selbst Gewalt auszuüben - wobei die Schwankungsbreite zwischen den einzelnen Klassen laut Spiel sehr groß sei.

Auch eine weitere Belastung nimmt zu - der Erwartungs-und Leistungsdruck durch die Eltern, die am Ende der Volksschule alles versuchen, um ihren Sprösslingen den Weg ins Gymnasium zu ebnen. "Es ist ganz offensichtlich, dass in Ländern mit mehrgliedrigem Schulsystem wie Österreich oder Deutschland spätestens ab der dritten Klasse ein solcher Druck zu spüren ist", meint Elsbeth Stern vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (siehe auch Kasten). "Das Problem ist, dass man die Kinder damit zu Pseudoleistungen führt, aber nicht das eigentliche Lernen fördert." Zudem würde bei der frühen "Auslese" zwischen künftigen Hauptschülern und Gymnasiasten das Elternhaus und die soziale Herkunft der Kinder eine übermäßige Rolle spielen - ein Befund, der nicht zuletzt durch die PISA-Ergebnisse unterstrichen wurde.

"Zwei Töpfe sind zu wenig"

Um niemanden zu überoder zu unterfordern, sondern "alle Schüler zu ihrem persönlichen Optimum zu bringen", plädiert Stern deshalb für ein Infragestellen des mehrgliedrigen Schulsystems - "nicht deshalb, weil alle Kinder gleich sind, sondern weil sie so unterschiedlich sind, dass sie mit zwei oder drei Töpfen nicht wirklich gut bedient sind."

Auch Andreas Ehlers, Vorsitzender des Landesverbands der Elternvereine an Wiener Pflichtschulen, wünscht sich eine "differenzierte gemeinsame Schule mit sehr viel Förderprogrammen". Der Druck der Eltern auf ihre Kinder (und die Noten gebenden Lehrerinnen und Lehrer) werde an der Schnittstelle zwischen Volks-und Mittelschule von der "Angst um das Fortkommen der Kinder beflügelt" - zumal in Bezirken wie Döbling oder Hietzing, wo rund 80 Prozent der Kinder ins Gymnasium gehen. "Da geht es nicht um primitiven Eltern-Ergeiz", stellt er klar, "sondern um das Bewusstsein, dass das eigene Kind nur bei bester Ausbildung eine Chance hat."

Früh, früher - zu früh?

Es gebe in Österreich "keine echte vorschulische Förderung", klagte SP-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos Dienstag vergangener Woche - und forderte einmal mehr ein verpflichtendes Vorschul-oder Kindergartenjahr. Ähnliches hatte auch die "Zukunftskommission" in ihren (genau vor einem Jahr präsentierten) Reformvorschlägen angeregt - vor allem, um Kinder mit Migrationshintergrund beim DeutschLernen und Festigen ihrer Herkunftssprache zu unterstützen. Manchen Eltern und Pädagogen beginnt diese Förderung freilich zu spät: Sie wünschen sich mehr Lernanreize oder auch Fremdsprachenkurse im Kindergarten. Eine Vorstellung, der die Berliner Bildungsforscherin Elsbeth Stern nichts abgewinnen kann. "Ich bin ziemlich sicher, dass solche Kinder niemals ordentlich sprechen lernen würden," meinte sie gegenüber der Zeitschrift Geo Wissen - und legt im Gespräch mit der Furche nach: "Das Dümmste ist, einfach Lernstoff vorzuverlegen. Im harmlosesten Fall bringt das gar nichts. Und im schlechtesten Fall empfinden Kinder ihr erstes Lernerlebnis als frustrierend." Statt "Training" im Kindergarten empfiehlt Stern eine spielerische Annäherung an sprachliche Strukturen. "Mit Kindern zu singen oder zu reimen ist sicher die sinnvollste Frühförderung." DH

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