Unterricht mit rauem Gegenwind

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Gewalt an Schulen soll durch ein Bündel an Maßnahmen bekämpft werden. Unterrichtsministerin Claudia Schmied hat dies zu einem ihrer Kernthemen erkoren. Doch werden die richtigen Schritte gesetzt? Die grundlegende Frage, welche Erziehungsaufgabe die Schule erledigen soll, bleibe ungelöst, beklagen Fachleute.

Ruhig ist es zurzeit in vielen österreichischen Schulen, es sind Semesterferien. Doch unruhig werden so manche Lehrer, Eltern und Schüler, wenn es um ein Thema geht: Gewalt - zwischen Lehrern und Schülern und zwischen den Schülern selbst. So umstritten die Frage, ob diese denn wirklich zugenommen hat und was genau unter Gewalt zu verstehen ist, so unbestritten die Feststellung: Es muss etwas geschehen!

Und das soll es auch: Unterrichtsministerin Schmied ließ sogar ein Symbol kreieren: eine weiße Feder als Logo für eine Initiative gegen Gewalt an Schulen. Untersuchungen würden zwar keine dramatische Zunahme an Gewalttaten aufzeigen, so die SP-Ministerin, aber rauer sei das Schulklima allemal geworden. "Die Schule ist ein Ort, der gesellschaftliche Probleme früh aufzeigt."

"Wenn man Präventionsprogramme durchführt, sensibilisiert man auch, zum Beispiel gegenüber Formen indirekter Gewalt. Das kann dann zum Anstieg von Angaben über Gewalterfahrungen bei Statistiken führen", erklärt die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel im FURCHE-Gespräch, die das Ministerium in puncto Maßnahmen zur Vorbeugung von Gewalt berät.

Ob verstärkte Sensibilisierung oder tatsächlicher Anstieg - eine jüngste Studie unter niederösterreichischen Lehrern aller Schultypen und Eltern im vergangenen Jahr sorgt für Beunruhigung: Geht es nach dieser Umfrage, nahm die Gewalt aus Sicht der Lehrer in den letzten Jahren deutlich zu. Die Studie wurde vom Institut für Stressprophylaxe und Salutogenese unter Federführung von Michael Benesch durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie, bereits Ende des Jahres präsentiert, wurden nun im Band "Feindbild Lehrer?" publiziert. Das Buch wurde von der Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner herausgegeben und kürzlich vorgestellt.

Alarmierende Studie

Rund 80 Prozent der Lehrkräfte waren im Schuljahr 2007 persönlich von Provokation und Verweigerung durch Schüler betroffen. Fast jeder Fünfte musste die Erfahrung machen, dass Schüler Besitzgegenstände des Lehrers beschädigten. Gar 13 Prozent haben direkte körperliche Attacken erfahren, so die Studie. Auch 78 Prozent der Eltern gaben an, dass sich die Gewaltbereitschaft erhöht habe, besonders die verbale Gewalt. Die Sicht der Schüler wurde nicht untersucht.

Dennoch: Ob es eine Zunahme an Gewalt gebe oder nicht, könnten nur Längsschnittstudien untermauern, und diese gebe es in Österreich nicht, so Spiel. Bei den kommenden PISA-Tests würde neben Leistungsdaten auch die Gewaltbereitschaft von Schülern untersucht werden. "Dann hätte man erstmals eine repräsentative Studie dazu, die man in Beziehung zu sozioökonomischen Daten und zu Leistung setzen könnte", sagt die Bildungspsychologin. Doch bis diese PISA-Ergebnisse publik werden und vermutlich wieder Wellen schlagen, müssten die jetzt angekündigten Maßnahmen schon greifen, hoffen Beteiligte. Doch wie vielversprechend sind die Pläne - von mehr Schulpsychologen bis hin zu Verhaltensvereinbarungen (siehe unten)?

Für Elternvertreter Johannes Theiner geht die bisherige Diskussion nicht tief genug: "Die Erziehungsaufgabe der Schule muss endlich schärfer definiert und die pädagogische Partnerschaft mit den Eltern gezielt gefördert werden. Pauschale Schuldzuweisungen an Eltern helfen nichts. Verhaltensvereinbarungen, die das Ministerium forciert, sind gut, aber zu wenig," sagt der Vorsitzende des Verbands der Elternvereine an den höheren und mittleren Schulen Wiens. Die Schule habe auch einen sozialen Erziehungsauftrag. Sein Gegenüber von der Pflichtschul-Lehrergewerkschaft, Walter Riegler, sieht es erwartungsgemäß anders: Was derzeit auf dem Tisch liege, reiche nicht, sagt er. "Wir müssen von der Ansicht weg, dass Gewaltprävention auf Basis von Vereinbarungen oder Freiwilligkeit funktioniert", ärgert er sich über den ministeriellen Wunsch nach Verhaltensvereinbarungen in allen Schulen.

Es braucht laut Riegler endlich ein Gesetz, das genau die Erziehungsaufgaben der Eltern regelt und auch Konsequenzen festlegt: Jene Eltern, mit denen es ohnehin eine gute Gesprächsbasis gebe, bräuchten keine Verhaltensvereinbarung, und jene, die sich querlegten, die würden sich auch daran nicht halten. "Es geht nicht darum, dass die Schule immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen soll. Es geht darum, dass diese Eltern dann noch sabotieren, wenn jemand anderer diese Rolle übernimmt", klagt Riegler und beziffert die Gruppe jener schwierigen Eltern mit 15 bis maximal 20 Prozent. Die Aufstockung von Schulpsychologen ist für Riegler nur "Kosmetik". Es brauche noch mehr Psychologen und Sozialarbeiter, die den Lehrern zur Seite stehen. "Wir werden so lange Kosmetik betreiben, bis das Problem nicht mehr bewältigbar ist."

"Schmieds Pläne nur Kosmetik"

Schülervertreter Klaus Baumgartner will das Thema Gewalt nüchterner betrachtet wissen. "Wenn Eltern ihren erzieherischen Aufgaben nicht nachkommen können, dann muss die Schule mehr Verantwortung übernehmen", sagt der Bundesvorsitzende der "Aktion kritischer SchülerInnen" (SPÖ). Es brauche noch mehr Schulpsychologen, aber auch die Lehrer müssten mehr soziale Kompetenzen beherrschen. Sozialarbeiter müssten vor allem in sozialen Brennpunkten zum Einsatz kommen.

Schulpsychologen selbst bleiben hingegen realistisch: "Wünsch Dir was, das geht eben nicht. Wir sind froh über jede zusätzliche Kollegin und Kollegen", sagt Agnes Lang, Leiterin der Schulpsychologie-Bildungsberatung Oberösterreich. In diesem Bundesland gibt es derzeit 20 Schulpsychologen. In Wien ca. 30. Dort würde ein Schulpsychologe für 10.000 Schüler zuständig sein, rechnet der Leiter der Beratungsstelle für die AHS in Wien, Gottfried Banner, vor. Seit 20 Jahren sei kein Dienstposten aufgestockt worden.

Feindbild Lehrer?

Von Rotraud A. Perner (Hg.)

Aaptos Verlag, Wien 2009, 160 S., brosch., 113,20

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