Wenn Mama Schule macht

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Eltern sind in Österreich eine der drei Säulen der Schulpartnerschaft. Vor allem die Mütter helfen tatkräftig mit - sofern sie können. Annäherungen zum Muttertag.

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Eltern sind in Österreich eine der drei Säulen der Schulpartnerschaft. Vor allem die Mütter helfen tatkräftig mit - sofern sie können. Annäherungen zum Muttertag.

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Eigentlich hat sich Sabine Gruber vom Kampfplatz Schule längt zurückgezogen und das Feld als gestresste Architektin ihrem schriftstellernden Gatten Walter überlassen. Sollte er sich doch darum bemühen, bei den Scharmützeln mit Prof. Reingard Söllner, dem Klassenvorstand ihres 13-jährigen Sohnes Lukas, die Contenance zu bewahren. Doch beim "Kinder-Eltern-Lehrer-Gespräch", bei dem der Problemschüler eine Portfolio-Präsentation halten sollte, brauchte es wieder eine starke weibliche Hand. "Heute, liebe Lehrerinnen und Lehrer [...] sowie liebe Eltern, möchte ich über die besondere Bedeutung von Wasser sprechen", hat Mama Gruber ihrem Sohn auf einem Zettel vorformuliert. "Dabei spanne ich einen Bogen vom Alten Testament bis zu den Wassermühlen Mallorcas [...]".

Man könnte diese Szene aus dem Buch "Leider hat Lukas schon wieder " des Lehrers, Autors und Kurier-Kolumnisten Niki Glattauer (s. u.) für heillos übertrieben halten. Tatsächlich ist sie aber nicht weit von der Realität entfernt, zumindest in bildungsnahen Schichten.

"Alle anderen machen das auch"

Auch Karin W. greift ihren Kindern tatkräftig unter die Arme. Die 35-jährige Alleinerzieherin von zwei Gymnasiasten, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist neben ihrer Vollzeittätigkeit täglich mindestens eine Stunde lang auch als Ko-Lehrerin ihrer Buben beschäftigt. Derzeit fordert sie vor allem ihr elfjähriger Sohn: "Eigentlich sollte er in der Nachmittagsbetreuung die Hausübung machen, aber wenn er um 15.30 Uhr heimkommt, ist er meistens noch nicht fertig", erzählt sie. Erst gestern habe sie ihm abends noch dabei geholfen, eine Sagen-Nacherzählung in Reinschrift in sein Heft zu übertragen. "Dann habe ich ihn noch auf seine Fehler hingewiesen. Eigentlich wollen die Lehrer das ja nicht - aber alle anderen Eltern machen das auch und ich will nicht, dass mein Sohn Nachteile hat."

Kann mein Kind in der Wettbewerbsgesellschaft mithalten? Ergriffen von dieser "Bildungspanik", wie sie der Soziologe Heinz Bude beschreibt, bringen sich immer mehr Eltern, vor allem aber Mütter, im Schulalltag ihrer Kinder ein. Und die Schulen rechnen damit. "Was im österreichischen Schulsystem geschieht, ist eine Prämienverteilung an fleißige Mütter", lautet der süffisante Befund des Bildungsforschers Stefan Hopmann von der Uni Wien. Anders als etwa in Skandinavien oder Kanada gehe hierzulande ohne Mamas gar nichts: vom Lesen mit Taferlklasslern bis zur Nachhilfe für die Zentralmatura, die am 9. Mai beginnt. Jene Kinder, die auf diese Ressource nicht zurückgreifen können, fallen freilich eklatant zurück: Wie die jüngste Auswertung der Deutsch-Bildungsstandard-Testungen in den 4. Volksschulklassen gezeigt hat, liegen zehnjährige Akademikerkinder im Leseverstehen bis zu drei Lernjahre vor ihren Klassenkollegen aus bildungsfernen Familien.

Wie sehr der Lerndruck steigt und die Eltern gefordert sind, zeigt das Nachhilfebarometer 2015 der Arbeiterkammer Wien: Drei von vier Müttern oder Vätern sind demnach selbst als Nachhilfelehrer ihrer Kinder im Einsatz; in den Volksschulen sind es 89 Prozent, in der Oberstufe immerhin noch bis zu 40 Prozent. Zudem gaben die Familien zuletzt 119 Millionen Euro jährlich für externe Nachhilfe aus -um zehn Millionen Euro mehr als noch im Jahr davor.

Um den Druck auf Eltern zu reduzieren, hat die Stadt Wien bereits im Herbst 2014 unter dem Namen "Förderung 2.0" eine "Gratisnachhilfe" an den Volksschulen gestartet; im Februar 2015 kamen für alle AHS- und NMS-Standorte Angebote an Volkshochschulen dazu. Ob das die Eltern tatsächlich entlastet, wird das neue Nachhilfebarometer zeigen, das am 13. Mai präsentiert wird. Aktuell bleibt jedenfalls die Forderung nach einem Ausbau ganztägiger Schulformen. Laut Bildungsministerium soll der Anteil jener Pflichtschüler in Österreich, die eine Ganztagsschule besuchen, bis 2018/19 von derzeit 22 auf 30 Prozent steigen. 800 Millionen Euro stellt das Ministerium den Ländern dafür zur Verfügung.

Stefan Hopmann warnt indes vor überzogenen Erwartungen: "In Deutschland, wo man viele hundert Millionen investiert hat, konnte man die Leistungsentwicklungen nur marginal beeinflussen", betont er. Schule sei eben nicht stark genug, um außerschulische Ressourcen auszugleichen - oder gar "mit Helikoptereltern aus Döbling konkurrieren" zu können, so Hopmann. Höchst notwendig sei freilich die gezielte schulische Förderung von Kindern, die Unterstützung brauchen - und eine viel intensivere Zusammenarbeit mit den Eltern, von denen viele oft nicht wüssten, dass und wie sie sich einbringen müssten.

Übergriffige Eltern?

Aber wie sehr sollen sich Eltern im Schulalltag tatsächlich involvieren? Die Antwort muss sich vor allem am Alter des Kindes ausrichten, betont die Supervisorin Elisabeth Rosenberger, Vorsitzende des Verbandes der Elternvereine an den höheren und mittleren Schulen Wiens sowie stellvertretende Präsidentin des Bundeselternverbandes. "Wenn ich mich bei einem Erstklasslerkind einbringe oder in der 2. Klasse Gymnasium den Spint meines Kindes ausräume, ist das in Ordnung. Aber es gibt auch Eltern, die regelrecht übergriffig werden, weil das Kind glänzen muss." Ein anderes Problem seien freilich Politiker, die den Eltern suggerieren, dass sie in der Ganztagsschule gar nicht mehr gefordert seien. "Eine Lehrerin hat mir einmal gesagt: Wie soll ich die 25 Kinder am Nachmittag individuell in der Lernstunde betreuen? Mit den vorhandenen Ressourcen ist das eine Illusion," erklärt Rosenberger. Statt in eine "Förderung 2.0" zu investieren, hätte das Geld lieber den Schulen selbst überlassen werden sollen, um sich Unterstützungspersonal zu holen.

Nicht ganz glücklich ist die Elternvertreterin auch mit Niki Glattauers Buch über den Eltern-Lehrer-Komplex: "Ich finde das massiv überzeichnet", sagt Rosenberger. Dass die Architektin Sabine Gruber per Mitteilungsheft dazu verdonnert wird, als nähmaschinenlose Karrierefrau den Topflappen ihres Sohnes fertig zu stellen, sei eher abwegig. "Solche Wünsche sind im Gymnasium noch nie an mich herangetragen worden", sagt sie. Ein Hoffnungsschimmer. Immerhin.

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