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Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund müssen oft mit Vorurteilen kämpfen. Am Campus Gertrude Fröhlich-Sandner in der Wiener Leopoldstadt wird Integration groß geschrieben.

Ein Blick in die Klasse genügt, um zu erkennen: Das hier ist ein multikultureller Querschnitt der Wiener Bevölkerung. Blondschöpfe stecken ihre Köpfe mit Kindern eindeutig fremdländischer Herkunft zusammen, Deutsch mit starkem Akzent ist genauso vernehmbar wie wienerischer Einschlag. Genau so vielfältig wie die Bevölkerung der Hauptstadt präsentiert sich die 3D-Klasse der Volksschule am Campus Gertrude Fröhlich-Sandner im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Und worauf es wirklich ankommt, erklärt eine quirlige Achtjährige: "Wenn jemand aus meiner Klasse einen Artikel falsch sagt, dann helfe ich dabei, es richtig zu lernen.“ Amelie unterstreicht ihre Feststellung mit einem Grinsen, das eine unübersehbare Zahnlücke präsentiert. Ihr Sitznachbar Florian fügt hinzu: "Ich finde es cool, dass so viele Kinder aus anderen Ländern in meiner Klasse sind!“

"Der Papa kann sogar Wienerisch“

Der Raum ist hell und freundlich, "Helft einander“ steht in großen Lettern an die Wand geschrieben. Die Kinder arbeiten an ihrem Wochenplan, Aufgaben aus Mathematik und Deutsch müssen innerhalb einer Schulwoche erledigt werden. Die Atmosphäre ist entspannt, ein paar Kinder kauern in der Sitzecke am Boden, andere wechseln die Plätze, um mit Freunden gemeinsam zu arbeiten. Birgit Garstenauer, die Klassenlehrerin, steht bereit, um die Aufgaben zu kontrollieren und bei Bedarf dabei zu helfen.

Die Klasse ist ein bunte Mischung: Acht Nationalitäten sind hier vertreten, die Eltern der Kinder stammen aus Rumänien, der Türkei oder den Philippinen. Und Österreich. "Ich bin in Wien geboren“, erzählt Isabella, ein zierliches Mädchen mit großen Augen und pechschwarzem Haar, stolz. "Meine Großeltern stammen aus Serbien, aber meine Mutter wurde schon hier geboren.“ "Mein Papa kann sogar Wienerisch!“, fällt Sara ihr ins Wort. Saras Familie stammt aus Bosnien, sie selbst ist geborene Wienerin. Und Isabella erklärt, dass sie mit ihrer Schwester zu Hause hauptsächlich Deutsch spreche, obwohl die Muttersprache der Eltern Serbisch sei. "Meine Eltern haben immer darauf geschaut, dass wir gut Deutsch lernen.“ Wie viele ihrer Mitschüler wächst Isabella zweisprachig auf.

Die Ganztags-Volksschule am Wiener Nordbahnhofgelände ist ein Vorzeigeprojekt in Sachen Integration: Auf zwei Klassen kommt eine Begleitlehrerin, die Sprachförderunterricht in Deutsch anbietet. "Ich weiß von meinen Kolleginnen, dass es in anderen Schulen nur ein oder zwei Begleitlehrer für die gesamte Schule gibt“, erzählt Garstenauer. Die Begleitlehrerin berichtet von oberösterreichischen Schulen, an denen österreichische Kinder und solche mit Migrationshintergrund überhaupt nur getrennt unterrichtet werden.

Zuerst die Muttersprache lernen

"Viele Eltern haben Sorge, dass ihre Kinder nicht gut genug Deutsch lernen, wenn zu viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache in ihrer Klasse sind“, berichtet die Schuldirekotrin Ingrid Fischer. Diese Angst sei jedoch unbegründet: "Wir haben einen Lehrplan, der eingehalten werden muss.“ Auffällig sei, dass viele Eltern mit Migrationshintergrund sich Sorgen über die Deutsch-Kenntnisse ihrer Kinder machen: "Wenn Leute schon lange weg aus ihrem Heimatland sind, können sie ihre eigene Muttersprache den Kindern nicht mehr so natürlich vermitteln. Diese Schüler haben folglich auch Probleme damit, Deutsch und andere Fremdsprachen zu erlernen.“ Am Campus wird dieses Thema ernst genommen: "Wir bieten muttersprachlichen Unterricht in Türkisch sowie Serbisch/Bosnisch/Kroatisch an - das kann man sich so vorstellen wie Deutsch-Unterricht für Kinder mit deutscher Muttersprache.“

Es ist erwiesen, dass Kinder, die ihre Muttersprache gut beherrschen, auch andere Sprachen leichter lernen, ergänzt die Direktorin. Und: "Bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache hat das verpflichtende letzte Kindergartenjahr bereits sehr geholfen, die Deutschkenntnisse zu verbessern.“

Dass Kinder am besten von anderen Kindern lernen, bestätigt Claudia Tiefenbach, Begleitlehrerin der 3D. "Bei uns ist es selbstverständlich, dass die Kinder sich in deutscher Sprache unterhalten. Bei einem Unterricht in Klassen, wo ausschließlich Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen sitzen, kann es kaum Fortschritte geben.“ Tiefenbach ist für den Sprachförderkurs zuständig, der parallel zum Englisch-Unterricht stattfindet, und verbringt zehn Wochenstunden in der Klasse. "Natürlich ist Englisch auch wichtig, aber zuerst müssen die Kinder die deutsche Sprache beherrschen“, erklärt Tiefenbach. Auch hier wird Wert auf eine entspannte Atmosphäre gelegt: Zwei Kinder sitzen auf einer Matte am Boden und üben deutsche Artikel, Razul holt sich aus einer Box Karteikarten mit deutschen Wörtern, Isabella und Marija zeichnen eifrig. Tiefenbach kritisiert, dass andere Schulen in Wien nicht dieselben Ressourcen hätten wie das Vorzeigeprojekt in der Leopoldstadt: "Alle Schulkinder in Wien sollten die gleichen Chancen und Möglichkeiten zum Lernen haben.“

Klassenlehrerin Garstenauer ist stolz auf ihre Klasse: "Wir sind in diesem Jahr sogar über unser Lernziel hinausgekommen.“ Nur sechs von 18 Kindern mit nicht deutscher Muttersprache benötigen den Sprachförderunterricht bei der Begleitlehrerin. "Die anderen machen zwar hin und wieder Fehler, werden aber von denjenigen, die gut Deutsch sprechen, verbessert“, so Garstenauer. Die Deutschexperten der Klasse nicken eifrig. Sudenaz, deren Eltern aus der Türkei stammen, erzählt in fehlerfreiem Deutsch von ihrer Familie: "Meine Eltern können noch nicht so gut Deutsch.“ Und Hassan, ein Junge mit ernsthaftem Blick, erzählt, dass sein Lieblingsfach Mathematik sei. Und dass er mit seiner Mutter die deutsche Sprache übe: "Wir sind kurz nach meiner Geburt nach Österreich gekommen und fahren jeden Sommer nach Ägypten. Ich freue mich aber jedes Mal schon auf Wien und meine Freunde.“

Schule repräsentativ für Wien

Auch Silvia Schreiber, Elternvertreterin der 3D, ist zufrieden: "Die Zahl der Migranten in Wien ist eine Tatsache, die wir als gegeben hinnehmen müssen. Es sollte der Mensch, und nicht die Herkunft im Mittelpunkt stehen.“ Direktorin Fischer betrachtet die unterschiedlichen Kulturen an ihrer Schule als Bereicherung: "Die Ganztagsschule bietet einen großen Vorteil für Kinder mit Migrationshintergrund. Hier verbringen sie mehr Zeit mit anderen Kindern und sprechen dadurch auch mehr Deutsch.“ Von der Praxis mancher Eltern, ihre Kinder in Privatschulen zu schicken, hält Fischer nichts: "Die Bedingungen an den Schulen sollten die gesellschaftlichen Gegebenheiten widerspiegeln. Privatschulen, die nur von österreichischen Schülern besucht werden, respräsentieren einfach nicht unsere Wirklichkeit“, ist die Schuldirektorin überzeugt. "Wenn Kinder den Umgang mit anderen Kulturen erlernen, können sie später auch unsere Gesellschaft verändern. Dann kommen wir vielleicht irgendwann weg von dieser teils sehr ablehnenden Haltung unseren Zuwanderern gegenüber.“

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