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INTERKULTURELLES LERNEN

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Im Frühjahr 1989 wurde bei großer internationaler Beteiligung in Wien der Kongreß „Die kindgemäße Grundschule" abgewickelt. Fachleute und hohe Beamte des Unterrichtsministeriums diskutierten und beschlossen unter anderem Möglichkeiten der Integration körper- und lernbehinderter Kinder im Regelschulwesen. Die schulische Integration ausländischer Kinder wurde nicht mitdiskutiert. In den Wiener Pflichtschulen war damals schon jedes vierte Kind ausländischer Herkunft, ihrer Anwesenheit „verdanken" ganze Sonderschulen und viele Hauptschulen in Ballungsgebieten ihr Bestehen.

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Im Frühjahr 1989 wurde bei großer internationaler Beteiligung in Wien der Kongreß „Die kindgemäße Grundschule" abgewickelt. Fachleute und hohe Beamte des Unterrichtsministeriums diskutierten und beschlossen unter anderem Möglichkeiten der Integration körper- und lernbehinderter Kinder im Regelschulwesen. Die schulische Integration ausländischer Kinder wurde nicht mitdiskutiert. In den Wiener Pflichtschulen war damals schon jedes vierte Kind ausländischer Herkunft, ihrer Anwesenheit „verdanken" ganze Sonderschulen und viele Hauptschulen in Ballungsgebieten ihr Bestehen.

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Seitdem es „Fremdarbeiter" (bis 1975 galt in Österreich bezeichnenderweise das NS-Fremdarbeiterge-setz) beziehungsweise „Gastarbeiter" gibt, besuchen selbstverständlich die Kinder dieser Arbeitnehmer - soll man sie „Fremdkinder" oder „Gastkinder" nennen? - auch unsere Schulen. Durch ihre Anwesenheit hat sich schon vor 25 Jahren die österreichische Schullandschaft verändert. Eine Tatsache, die bis Ende der achtziger Jahre kein echtes Thema der Bildungspolitik ist. Wie man offiziell nicht akzeptieren will, daß Österreich faktisch Einwanderungsland war und ist, so nimmt man auch in der Bildungspolitik und in der Schulverwaltung nur zögernd zur Kenntnis, daß die Anwesenheit von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache kein vorübergehender Zustand ist.

Über fast ein Jahrzehnt konnte man Jahr für Jahr in Zeitungen lesen, die Zahl ausländischer Schüler wäre „plötzlich" gestiegen! Bildungsplanerische Maßnahmen und zukunftsorientierte Konzepte fehlten weitgehend und laufen derzeit erst an. Neue Entwicklungen versucht man, mit Adhoc-Maßnahmen (zum Beispiel „Bunte Klassen", „Offene Sprachlernklassen", Förderunterricht, Begleitlehrer) pädagogisch-administrativ zu steuern. Die Maßnahmen wurden und werden als „Schulversuche" getarnt, sind niemals wissenschaftlich vorbereitet oder gar empirisch begleitet worden. Damit soll nicht unterstellt werden, daß diese Notmaßnahmen, die zumeist von engagierten Lehrerinnen und Lehrern erdacht und realisiert wurden, erfolglos gewesen seien. Nur: Es kann nicht gesagt werden, welcher Schulversuch welche Erfolge gebracht hat, und gerade solche Ergebnisse benötigte man heute mehr als je zuvor.

1991 besuchten nach Statistiken des Bundesministeriums 47.373 ausländische Kinder unsere Pflichtschulen (das sind 7,5 Prozent aller Pflichtschüler). Jeweils über 16.000 Kinder sind ihrer Staatsbürgerschaft nach Türken oder Jugoslawen (1991 bestand Jugo slawien j a noch), drittstärkste Gruppe sind Kinder aus Deutschland. Nicht einmal 500 dieser Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien besuchen die AHS-Unterstufe, bei den Türken sind es noch weniger, die den schulischen Aufstieg schaffen. Wien hat die meisten ausländischen Kinder in den Schulen (21.410 in Pflichtschulen, das sind 25,6 Prozent der Pflichtschüler), es folgen Vorarlberg (6.051 oder 17,6 Prozent), Niederösterreich (5.733; 4,7 Prozent), Oberösterreich (5.146; 4,1 Prozent), Salzburg (3.127; 6,9 Prozent), Tirol (3.080; 5,1 Prozent).

Der Trend zur privaten Volksschule ist seit Jahren ebenso bekannt wie die Flucht aus Hauptschulen in Ballungsgebieten. Immer ist dabei wichtiges (oder wichtigstes) Motiv die Anwesenheit ausländischer Kinder in den Klassen. Der vielfach ausländerfeindliche (dafür aber angeblich inländerfreundliche) Wiener Wahlkampf konnte für einigermaßen Informierte doch wirklich keine Überraschung sein. Einige Tage nach den FPÖ-Triumphen in Wien startet nun in Salzburg FPÖ-Mainoni mit dem bekannten Wiener Vokabular (Überfremdung, neuerdings heißt es ja wohl Umvolkung, „unsere Schule für unsere Kinder"...) und gespickt mit falschen Zahlen (der Überfremdung) den Wahlkampf für Herbst 1992.

Man müsse an Schulen ein Klima schaffen, das „gegenseitigen Respekt und gegenseitiges Verständnis für die Grundwerte und die Kultur aller im Land lebenden Menschen wecke", heißt es in einer Aussendung des Boltzmann-Institutes für Schulentwicklung kurz vor den Wahlen in Wien im Herbst 1991. Solche Worte stellen zweifellos wichtige Ziele „interkultureller Erziehung/interkulturellen Lernens" dar. Diese soll vor allem Brücken schlagen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur, Sprache; soll Überfremdungsängste und Vorurteile überwinden; soll Einfühlungsvermögen in fremde Kulturen wecken beziehungsweise ausbauen und zu Toleranz und Achtung vor anderen führen. Sie soll also - zukunftsgerichtet - auf eine Kultur der Zwei- und Mehrsprachigkeit in einem multikulturellen Österreich (ja Europa) vorbereiten. Nur: „Erziehung zur internationalen Verständigung vor der eigenen Haustür" (Jürgen Zimmer) kann doch nicht in der Schule allein geprobt werden!

Interkulturelle Erziehung/Lernen hat vor allem in der Welt der Erwachsenen und auf politischer Ebene stattzufinden, hat sich zum Beispiel in einer Änderung des Ausländerwahlrechtes, einer ausländerfreundlicheren Wohnungs- und Sozialpolitik niederzuschlagen. Erst dann kann der entsprechende Beitrag zum interkulturellen Lernen der Schule wirksam werden. So aber stopft man die Schule mit Idealen voll, an die die Gesellschaft selbst überhaupt nicht glaubt (beziehungsweise die sie in der Praxis gar nicht verwirklicht sehen will).

1990 unterzeichnete Österreich die UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Ein ernst gemeintes Anerkennen dieser Konvention heißt, daß alle Kinder gleiche Rechte auf Bildung/Ausbildung und später gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben müssen. Diese Gleich-Berechti-gung ist derzeit nicht gegeben, ja wird sogar durch das Ausländerbeschäftigungsgesetz verhindert, da noch immer ausländische Jugendliche teilweise als Konkurrenten inländischer Jugendlicher in verschiedenen Berufssparten „ausgeschaltet" werden.

Halten wir weiter fest: Fremdsprachige ausländische Kinder sind überproportional häufig in der Sonderschule zu finden (je nach Bundesland zwei- bis viermal so häufig als österreichische Kinder), sie haben kein Recht auf muttersprachliche Förderung im Rahmen des Regelunterrichts (in Schweden zum Beispiel ist dieses Recht gesetzlich verankert); ausländische Kinder sind vor allem in den III. Leistungsgruppen der Hauptschule zu finden; sie erreichen häufig keine qualifizierten Bildungsabschlüsse und haben im Beruf kaum bessere Chancen als ihre Eltern! Dort - am unteren Ende der Berufshierarchie -wünscht sie ja auch der Durchschnittsösterreicher zu finden. Umfrageergebnis des Fessel und GfK-Institutes 1992: ausländische Arbeitskräfte als Hilfs-, Reinigungs- und Küchenpersonal akzeptiert!" Die UN-Konvention gilt für inländische und ausländische Kinder gleichermaßen. Derzeit liegt im österreichischen Parlament diese Konvention zur Beratung und Genehmigung. Eine - historisch -geradezu einmalige Gelegenheit, den Stellenwert von Kindern in unserer Gesellschaft zu überdenken, heißt es in einer Aussendung des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie dieser Tage. Hoffentlich werden bei diesem Überdenken nicht neuerlich die vielen zehntausend Kinder und Jugendlichen ausländischer Herkunft ausgegrenzt!

1990 lebten in Österreich weit über 130.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren mit ausländischer Herkunft. Der überwiegende Teil von ihnen ist hier geboren oder viele, entscheidende Jahre der Entwicklung aufgewachsen. Wird auch die Kinderrechtskonvention für diese „unsere" Fremden wieder nur ein Stück Papier bleiben?

Der Autor ist Leiter von Arbeitskreisen des Unterrichtsministeriums und Landesstellen zum Thema „Interkulturelles Lernen" an der Pädagogischen Akademie in Salzburg.

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