Wann Sonderschulen ideal sein könnten

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Gemeinsam lernen

von Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen sollte der Normalfall sein. Doch es gibt Formen, die sowohl die betroffenen Kinder als auch die betreuenden Menschen und auch die Systeme massiv herausfordern.

"Die einzigen, die mehrheitlich den Besuch von Inklusionsschulen wünschen, sind Eltern von Kindern mit Trisomie 21. Nahezu alle anderen fordern besondere Schulen."

Die Debatte über die ideale Schule für Menschen mit Benachteiligung -oft Kinder mit Lernschwäche, aber auch solche mit mehrfachen psychischen und physischen Behinderungen -beruht meist auf einer Fehlinterpretation. So wird behauptet, die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichte die Staaten zu einer "inklusiven Schule für alle Kinder" und verbiete Sonderschulen. Tatsache ist, dass die innerhalb der UNO für Bildung zuständige UNESCO stark von Entwicklungs-und Schwellenländern dominiert wird, da gerade diese oft massiven Bedarf an der Optimierung ihrer Schulsysteme haben. In manchen dieser Länder sind Kinder mit Behinderungen überhaupt nicht vom Schulsystem erfasst oder dezidiert ausgeschlossen. Gerade auf diesen Ausschluss aus dem öffentlichen Schulsystem bezieht sich die UN-Behindertenrechtskonvention. Daraus hierzulande die Verpflichtung zu "inklusiven Schulen" und Abschaffung der Sonderschulen ableiten zu wollen, ist unzulässig. Österreich entspricht mit seinen in das öffentliche Schulsystem integrierten Sonderschulen somit vollinhaltlich der UN-Behindertenrechtskonvention.

Die Lehrperson als Schlüssel

Dennoch gibt es Schwierigkeiten. Ein Tabuthema ist, dass in Schulen mit vergleichbarer Schülerpopulation manche Klassen immer wieder, andere nie Sonderschulzuweisungen wegen Problemen mit dem Deutschlernen vorschlagen. Das Problem liegt also nicht bei den Kindern, sondern bei der Qualität des Deutschunterrichts. Bestätigt wird dies durch teils diametral entgegengesetzte Meinungen von Lehrern zur Frage "Deutschunterricht in Klassen mit hundert Prozent nicht deutschmuttersprachigen Kindern"."Das kann ja gar nicht funktionieren!", lautet die eine Position, "Wo ist das Problem?" die andere. Letztere ist gottlob häufiger, als man vermuten würde -die öffentlich vernehmbarere ist aber leider erstere.

So wundert es nicht, dass der Eindruck entsteht, der Niedergang des heimischen Schulsystems mit massiven Schwächen im Lesen, Schreiben, Rechnen und Üben wäre ein von "Ausländern verursachtes Problem". Zutreffend ist das Gegenteil! Bereits in den 1980ern haben Studien auf steigende Probleme hingewiesen -massenhafte Fluchtbewegungen wie 2015/16 hatten damals keine stattgefunden.

Unterrichtsbesuche zeigen bisweilen Hilflosigkeit und Lärm bei der einen Lehrperson, engagiertes, fröhliches Arbeiten bei der anderen -obwohl in beiden Klassen nicht ein einziges Kind mit Deutsch als Muttersprache sitzt. Statt jener Kinder, die wegen des Scheiterns ihrer Lehrer in die Sonderschule überstellt werden, müssten also diese Lehrer in den Genuss einer speziellen, einer Sonder-Fortbildung kommen, die ihnen das Gelingen ihres Unterrichtes sichert. Dies ist eine Notwendigkeit und keine "Strafe", denn kaum eine Lehrperson hat in der Lehrerausbildung die nötigen Werkzeuge zur Bewältigung der heutigen Unterrichtsanforderungen mitbekommen. Am wirkungsvollsten wäre es, wenn mit sich selber unzufriedene Lehrerpersonen den gelingenden Unterricht ihrer Kollegen miterleben und davon lernen würden. Es gibt Schulen, die dies praktizieren -mit Gewinn für alle Beteiligten.

Die Eltern potenzieller Sonderschüler gehören übrigens allen Schichten an. Bei Kindern mit (scheinbar) sonderschulrelevanter Lernschwäche, die aus bildungsuninteressierten Familien kommen, kann die Schule kaum auf einen qualifizierten Dialog mit den Eltern setzen. Viele Kinder mit Behinderungen kommen aber auch aus Akademikerhaushalten. Diese Eltern sind meist extrem orientiert, was die Bedürfnisse ihrer Kinder betrifft. Die einzige Gruppe, die sich mehrheitlich den Besuch einer Inklusionsschule wünscht, sind dabei die Eltern von Kindern mit Trisomie 21 (Downsyndrom). Nahezu alle anderen Eltern fordern jedoch besondere Schulen, die gezielter auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen können.

Es gibt rund 1500 Arten von Beeinträchtigungen, die oft in Form von Mehrfachbehinderungen auftreten und die sowohl die betroffenen Kinder, als auch die betreuenden Menschen sowie die Systeme massiv herausfordern. Es gibt Kinder im Wachkoma, solche, die mehrfach pro Vormittag eine Darmmassage benötigen, die jede halbe Stunde einen unbeherrschbaren Schreikrampf erleiden. Und die Zahl der betroffenen Kinder wird nicht niedriger, sie steigt.

Keine kompromisslose Inklusion

Aber auch Kinder mit durchschnittlicher und hoher Begabung haben ein Recht auf optimale Förderung. Dies setzt einer kompromisslosen Inklusion bestimmte Grenzen, die so gezogen werden müssen, dass sie zum Wohl aller Kinder sind. Doch diese Herausforderung ist bewältigbar, wenn nicht faktenferne Ideologien -welcher Art immer -Handeln zum Nutzen der Kinder verhindern. Orientierte Eltern berichten etwa, dass ihre Kinder mit Benachteiligung in gewöhnlichen Regelklassen oft darunter leiden, leistungsmäßig die "Letzten" zu sein -auch wenn die Lehrpersonen ihnen viel Zuwendung geben.

Was ist also zu tun? Die Fehlinterpretation der UNESCO-Empfehlung (angebliches Verbot von Sonderschulen) führt jedenfalls in eine falsche Richtung, die einen Teil der betroffenen Kinder schädigen würde. Nötig sind Sonderschulen, die sich gezielt der Probleme der Kinder annehmen, die aber auch die Stärken dieser Kinder erkennen. Besonders Kinder, die in Teilbereichen zu kämpfen haben, können ungeahnte "Kompensationsenergien" entwickeln, die sie zu überdurchschnittlichen Leistungen befähigen -sozial, handwerklich, künstlerisch. Wenn einer Sonderschule dieser "Multi-Spagat" gelingt, kann auch sie eine ideale Schule sein, weil sie im besten Sinne ganz nahe an den Bedürfnissen der Schüler wäre.

Kontakt aller mit allen

"In den besten Schulsystemen dieser Welt haben alle Schüler Kontakt mit allen!" Dies ist ein seit vielen Jahren unveränderter Nebenbefund der PISA-Tests. Man weiß, dass Kinder, wenn sie unter sich sind, am besten voneinander lernen -teils mit mehr Erfolg als in der Schulklasse. Das Prinzip sollte demnach lauten: Kontakt aller mit allen -und wenn es "nur" in der Pause ist. Dieses Prinzip benötigt aber dreierlei: ausgiebige Pausen, geeignete Schulgebäude und extrem kooperative, dünkelfreie und engagierte Schulleiter. So wie an jener hervorragend geführten, öffentlichen High School im Mittelwesen der USA, die ich einmal besuchen durfte: Ich erinnere mich an von "selbstorganisierten" Eltern geführte Rollstühle mit benachteiligten Kindern, an ein schulisches "Musikprogramm", das zum besten des Bundesstaats gekürt worden war -und im Biologiesaal an ein Elektronenmikroskop, mit dem künftige Nobelpreisträger forschten.

Ein Traum? Für Österreich derzeit ja. Verwirklichen wir ihn! In einem der wohlhabendsten Staaten der Welt sollte das gelingen!

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