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Unsere Lehrer am Rande des Nervenzusammenbruchs

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In zunehmenden Maß sind Lehrer vom „Burn-out-Syndrom” betroffen. Ist die Ursache Überforderung und Überlastung? Oder mangelt es einfach an der Ausbildung?

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In zunehmenden Maß sind Lehrer vom „Burn-out-Syndrom” betroffen. Ist die Ursache Überforderung und Überlastung? Oder mangelt es einfach an der Ausbildung?

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Wir hören es schon lange: Die Lehrer sind am Rande ihrer Kräfte. Sie schaffen es kaum mehr, „über die Runden zu kommen” (die Redewendung aus der Boxersprache ist nicht zufällig!). Speziell in den Pflichtschulen (vor allem in den Hauptschulen) findet man in zunehmendem Maß Schüler mit mangelnder Konzentration, starker Motorik, fehlender psychischer Stabilität, Verweigerungshaltung und Aggressionen. Es besteht also kein Zweifel mehr, daß die bestkritisierte Institution des Staates Zug um Zug nachgegeben hat. Die Schulkritik des 20. Jahrhunderts hat endgültig gegriffen. Die Wellen der „Humanisierung” des Schullebens unterspülen ihre Fundamente.

Wie ist es dazu gekommen, und wie kann sich die Schule wieder erholen und zu dem werden, was sie nach Oscar Spiel zu sein hat: „Eine Arbeits-, Erlebnis- und Verwaltungsgemeinschaft.”

„Erholung für die Schule wird es so lange nicht geben, als Mütter konstant überlastet und als Alleinerzieherinnen (53 Prozent der Ehen in Wien sind heute geschieden) den Anforderungen von Kindererziehung, Berufsund Alltagsbewältigung alleine gegenüberstehen”, meint Universitätsprofessor Max Friedrich, Vorstand der Universitätsklinik für Neuropsychia-trie des Kindes- und Jugendalters. „Schule ist den psychischen und sozialen Defiziten von fehlenden Elternteilen nicht mehr gewachsen. Sie kann die Erziehungsarbeit unserer Kinder nicht komplett übernehmen, sie muß wieder an die Eltern ,zurück-delegieren'.” Nun werden Lehrer heute aber häufig auch zur Ersatzidentifikationsfigur, für den fehlenden Vater - ein Umstand, der schon deshalb schwierig ist, weil der männliche Anteil an Lehrern heute auf 15 Prozent geschrumpft ist. So werden auch hier Frauen überfordert. Der Lehrer/die Lehrerin soll nach wie vor das „Wahre, Gute und Schöne, Bildung und Erziehung” vermitteln. Dieser Auftrag sieht sich in den letzten zehn Jahren aber einem deutlichen Paradigmenwechsel gegenüber. Das ursprünglich autoritäre Prinzip der Erziehung hat sich zu einem liberalen „Laissez faire” gewandelt.

Wir brauchen heute daher zunehmend den Einsatz von Schulpsychologen, von gut ausgebildeten Schulärzten und Beratungslehrern, damit dem Erziehungsauftrag entsprochen werden kann. Lehrer werden dem sogenannten „Burn-out-Syndrom nicht entgehen, solange es den Bogen von steigender Aggression, Verrohung und sozialer Defizite gibt. Jemand muß heute wieder Verantwortung übernehmen, sonst kann Sozialisation und eine Reifung der Emotionalität von Jugendlichen nicht mehr stattfinden. Gewalt ist immer das Resultat von Reibung, von nicht verarbeiteten Konflikten und ungelösten Problemen.”

Johann Steinringer, Geschäftsführer des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (IBW), Pädagoge und Psychologe, sieht den Ansatzpunkt für eine Verbesserung der schulischen Bedingungen in einer an den wirtschaftlichen Erfordernissen unserer Zeit orientierten Lehrerausbildung. „Auch in der Wirtschaft zerbrechen Menschen an Aufgaben, die an sich einfach zu lösen wären, wo aber kein professionelles Wissen eingesetzt und vermittelt wurde. Alles im Leben ist eine Frage der Bewältigung. Wenn ein Lehrer in grenzenlosem Altruismus für seine Kinder zerfließt, und nie gelernt hat, sich abzugrenzen, wird er an seiner Aufgabe scheitern. Die Wirtschaft lehrt uns, daß nur ein unternehmerischer Umgang mit einer Gruppe (von Schülern und Stu:. denten) erfolgreich sein kann. Zu bewältigende Aufgaben müssen verteilt, Fachwissen sollte nicht nur ,vorgelesen', sondern selbständig erarbeitet werden.

Im Zeitalter des ,Internet' sollten Lehrer und Professoren, Berater und Begleiter ihrer Schüler werden. Jeder Maturant ist heute in der Lage, sich aus unserer Informationsgesellschaft jene Dinge auszusuchen, die ,responsible' sind. Der Lehrer soll dabei helfen, Entscheidungen zu treffen und eine geeignete Auswahl von Angebotenem durchzuführen. Der Lehrer soll anleiten, vorhandene Informationen zu finden, die zur Erreichung eines Zieles notwendig sind. Die neue Methodik an Schulen sollte daher vorrangig eine Selektion von Informationsmaterial beinhalten.” Eine zweistündige Vorlesung an der Universität über Dinge, die man im Buch des Professors nachlesen kann, hält Johann Steinringer für eine unnötige und unzeitgemäße Infantilisierung junger Menschen. Viele Anforderungen sind aber leider gesellschaftlich sanktioniert.

Steinringer: „Mein Wunsch an die Ausbildung in den pädagogischen Akademien und an den Universitäten: Das ,Kopflastige auf die ,Basics' zu beschränken, kognitive Dinge erlernen lassen. Lehrerausbildung braucht heute mehr denn je das ,Dual-System', das heißt das Wissen muß in die konkrete Praxis umgesetzt werden können. Hier ist begleitende Supervi-sion und Assistenz durch sogenannte ,Paten' schon während des Studiums Gebot der Stunde. So etwas ist natürlich teuer. In Zeiten, in denen Einschränkung angesagt ist, sollte die Frage ,Sparen' in eine Frage des richtigen Jnvestierens' umgewandelt werden. Es ist falsch zu sagen: ,Wir müssen bei der Bildung unserer Kinder sparen.' Wahr ist vielmehr: ,Wir müssen in die Bildung unserer Kinder richtig investieren'.”

Auch hier kann die Wirtschaft Erfahrungswerte und Hilfestellungen anbieten: Das sogenannte „Lehrerleitbild” wurde beispielsweise von einem Betriebsberater entwickelt. Tests zur Persönlichkeitsbestimmung per Computer für die Auswahl von Schuldirektoren wurden als Münchner Modell übernommen und seit zwei Jahren in Anwendung gebracht. Solche Investitionen kommen einer besseren Führung des öffentlichen Betriebs Schule zugute und wirken sich auch mittelbar auf unsere Kinder aus.

Das Umgehen-Können mit Menschen, das Überforderungen und Fehlentwicklungen vermeiden hilft, ist mit professioneller Hilfe „erlernbar”. Es gibt entsprechende Verhaltensweisen, die man trainieren kann. Ein gewisses Maß an Frustrationstoleranz ist ebenfalls erlernbar. Wenn man mit einer Gruppe von 25 müden oder aufgestachelten Schülern arbeitet, müssen solche Fähigkeiten vorher erlernt und geübt worden sein.

Steinringer: „Natürlich ist es enorm schwierig, einen so großen Apparat wie das Unternehmen Schule mit seinen über 100.000 Beschäftigten in Österreich in Bewegung zu bringen. Dezentralisation von Entscheidungen, Autonomie sowie neue Managementideen werden notwendig sein, um zu einer dauerhaften Entlastung und Neuorientierung der Lehrer zu kommen. Die wirkliche Kraft guter Unternehmen liegt aber letztlich nur in der Synergie, im Zusammenwirken aller in einem Betrieb Beschäftigten.”

Gertrude Brinek, Universitätsassistentin am Institut für Erziehungswissenschaften mit Lehramt für Pflichtschulen, Pädagogin und Psychologin, hat zehn Jahre im Schuldienst „auf der heißen Ebene der Leopoldstadt” verbracht, und weiß aus eigener Erfahrung, welche Anforderungen die Gesellschaft heute an ihre

Lehrer stellt: „Wir sollen Therapeuten, Animateure, Moderatoren, Sozialarbeiter und Gesundheitsverwalter in einer Person sein. Ich sehe das Problem der Überforderung von Lehrern hauptsächlich darin, daß auf die Fach didaktik zu wenig Wert gelegt wird. Die Kunst der richtigen Veranschaulichung von Wissen ist der Schlüssel zu einem guten Zugang zu Schülern und Studenten. Es genügt heute einfach nicht mehr zu wissen, in welchem Archiv die Werke Shakespeares zu finden sind. Es sollte bereits der Englischunterricht so spannend gestaltet sein, daß es für den Schüler in weiterer Folge interessant wird, sich auch mit den Werken Shakespeares zu beschäftigen. Die Liebe zum Fach, nicht nur die Technologie des Unterrichtens, sind die Voraussetzungen eines gelungenen Unterrichts.

Enttäuschte Lehrer flüchten...

Zusätzlich sollte positive Zuwendung zu Schülern und Studenten vorhanden sein. Liebe zu anderen wird aber nur dann möglich, wenn sich Lehrer und Lehrerinnen auch mit der eigenen Person auseinandergesetzt haben. Dazu braucht es Ethik und ein großes Maß an dialogischer Kompetenz, die nicht auf Kommunikationstechniken reduziert werden sollte. Wenn all das fehlt und der Lehrer im Unterricht Schiffbruch erleidet, greift er vielleicht zu autoritären Methoden und scheitert.

Ich kenne enttäuschte Lehrer, die sich in einen Zweitberuf flüchten, dem alle Leidenschaft geschenkt wird und aus dem Energie und Kraft geschöpft wird. Es gibt Tennis- und Fahrlehrer, Versicherungsvertreter und Hobbymaler, die in diesen Zweitberufen Trost und auch zusätzliche Geldmittel gefunden haben. Es gibt aber auch Lehrer die ganz resignieren und nur noch von einem Ferienblock zum anderen ,hinleben'.”

Das Bild des charismatischen Lehrers, der Menschen für Dinge, die er selbst für wichtig hält, begeistert, ist jedoch keine Schimäre. Diese Lehrer gibt es, und man sollte sie arbeiten lassen. Es ist falsch, gute (und auch schlechte) Lehrer mit den Defiziten unserer Gesellschaft zu überfrachten. Man sollte endlich damit aufhören, von Lehrern und Schule zu er-< warten, daß sie „alles können”. Wenn Kariesfälle bei Kindern ansteigen, wenn es mehr Verkehrstote, mehr Probleme in den Familien, mehr Rassismus und Rechtsextremismus gibt, ist es nicht immer und einzig Aufgabe der Schule, hier gegenzusteuern. Wir haben in den letzten 25 Jahren gemeint, es muß „mehr” Schule geben, mehr Fächer, mehr Stunden, mehr Lehrer. Heute gilt das nicht mehr, heute geht es um die inneren Reformen, um Qualitätsverbesserungen im inneren Bereich.

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis war in den siebziger Jahren noch 1:21, heute ist es bereits 1:9. Das heißt, Osterreich hat personell sehr viel investiert. Dieses Tempo des Wachstums kann nicht gehalten werden. Die Verbesserungen und Qualitätssteigerungen, die wir in den siebziger Jahren in die Wege geleitet haben, sollten dabei helfen, uns mit den Problemen unserer Zeit auseinanderzusetzen: Sinnkrise, Orientierungslosigkeit, Verhalten im Pluralismus, neuer Egoismus, Verantwortung für die Generationen. Das sind die neuen ethischen Anforderungen, die an die Schule von heute gestellt werden sollten.

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