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Kein Schulsystem kann besser sein als seine Lehrer

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Man muß im Bericht des Zentrums für Schulversuche und Schulentwick­lung über die „Evaluation der Schul­versuche im Bereich der Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen“, im soge­nannten „Petribericht“, neben den vie­len Statistiken auch die Feststellung im Heft Nr. 11, auf Seite 23 lesen:

„Die empirischen Befunde machen wahrscheinlich,daßdie Form der Schul­organisation als solche die Lernerfolge der Schüler, wenn überhaupt, so nur in bescheidenem Grad beeinflußt“.

Diesen Satz sollten wir nicht dazu verwenden, um die sogenannte „äuße­re“ Schulreform, in der es um Schulor­ganisation, Schulformen, Schulrecht u. ä. geht, als unwichtig zu erklären, son­dern vielmehr um die Berechtigung der Fragen nach den Problemen des Bil­dungszieles, des Erziehungsstiles, der partnerschaftlichen Schule u. a. hervor­zustreichen.

Innere und äußere Reform schließen einander nicht aus, sie ergänzen einan­der.

Wenn ich auch weiß, daß viele Fak­

toren der inneren Schulreform von poli­tischen und rechtlichen Entscheidungen abhängen, so lassen Sie mich doch fest­stellen, daß wir in vielen Punkten nicht auf Gesetze, Verordnungen und Erlässe ¦zu warten brauchen, wir selbst haben jetzt schon vielerlei Möglichkeiten in­

nere Schulreform zu betreiben, denn es geht um die

• Einstellung zu dem der Schule an­vertrauten Lebensgut, um die Würde und Person des Schülers,

• um die Wiedergewinnung des Pädagogischen und um die Humanisie­rung in der Schule

• um die Aufgabe der Schule, nach Sinn, Aufgabe und Verantwortung der menschlichen Existenz zu fragen,

• um den vom pädagogischen Ethos getragenen Lehrer

• und schließlich um eine partner­schaftliche Schulgemeinschaft.

Es gibt Menschen, die behaupten, daß in der heutigen Schule (besonders in der AHS) durch das Lernen das Den­ken verlernt wird. Sie wollen dadurch zum Ausdruck bringen, daß die zu gro­ße Fülle des Lehrstoffes das Eindringen in die Tiefe, das Herstellen von Zusam­menhängen und die echte Auseinander­setzung mit dem Lehrstoff verhindert. Tatsache ist, daß wir nun schon seif über hundert Jahren in manchen Fä­chern den Lehrstoff erweitern, reduziert wurden wenige Fächer. Das Problem der Lehrstoffüberfülle wird bleiben, so­lange ’Fachkollegen unter sich den Lehrplan für ihr Fach erdenken. Daß es für die Sache zielführender wäre und auch möglich sein müßte, für zukünf­tige Lehrplangestaltungen außerschuli­sche Fachleute, Eltern und Kollegen

aus anderen Fachgebieten zu Rate zu ziehen, sei in den Raum gestellt.

Lassen sie mich thesenhaft einige Be­merkungen zum Problem des Lehrstof­fes und der didaktischen Arbeit sagen:

1. Ohne große innere Reform der Schule hat der Lehrer schon jetzt die Möglichkeit, den Lehrstoff so auszu­wählen, daß der ganze Wust des Detail­wissens auf das Wesentliche zurückge­führt wird.

2. Bei der Auswahl des Stoffes muß dem Lehrer bewußt sein, daß er ein Grundlagenwissen (keine Spezialisie­

rung) zu vermitteln hat, daß er die Fä­higkeit des methodischen Denkens zu schulen und die Urteilsfähigkeit zu bil­den hat.

3. Wichtiger als Fragen nach Schul­organisation sind sicherlich die Fragen nach dem Ziel, nach dem Sinn und nach der zugrundeliegenden Wertordnung. Ein Pluralismus befreit nicht von Wer­tungen. Müssen wir nicht erleben, daß das Streben nach Wertfreiheit im Bil­dungsgeschehen dazu führt, daß im jun­gen Menschen das Gefühl entsteht, ein sinn- und wertloses Leben zu führen?

Nehmen wir auch zur Kenntnis, daß rationale Mitteilung kein ethisches Handeln im Schüler bewirkt,

4. In der Gewichtung und Anord­nung der Lehrinhalte ist dem Lehrer viel Gestaltungsraum gegeben, der viel­leicht viel zu wenig vom einzelnen Leh­rer beachtet wird.

5. Lassen Sie mich aber auch auf eine Gefahr in der heutigen Entwick­lung des Schulbuches aufmerksam ma­chen. Wir können feststellen, daß die didaktische Aufbereitung des Stoffes in den neuen Schulbüchern immer besser und ausführlicher wird. Ich weiß nicht, ob Sie meine Beobachtung teilen, daß durch diese Situation einerseits viele Lehrer dazu verführt werden, den Lehr­stoff im Buch von Seite 1 bis Schluß durchzunehmen, in dem sie Seite um Seite mit Schülern lesen, andererseits aber manche Lehrer, weil sie sich in die didaktische Aufbereitung des Lehrbu­ches nicht einspannen lassen wollen, das Buch beiseite legen und nicht ver­wenden.

Es ist dabei doch die Gefahr zu se­hen, daß das Lehrbuch entweder zum Lehrer wird oder andererseits nicht mehr als Lehrbehelf benützt wird.

6. Eine Milderung des Leistungs­druckes der Schüler, der tatsächlich in manchen Schulformen und Schulstufen gegeben ist, ist sicherlich möglich, wenn der Lehrer den Unterrichtsstoff exemplarisch anbietet,

wenn der Lehrer den Stoff nicht bezie­hungslos aneinanderreiht, wenn der Lehre? die gewonnenen Ein­sichten der Schüler stets aktiviert.

Den Schüler als Person zu werten,

entspricht einer gewissen Grundeinstel­lung und hat zur Folge, daß der Lehrer nicht nur auf den Wissenszuwachs des Schülers achtet, sondern die Gesamt­entwicklung dps Menschen sieht.

Wenn es um den Menschen geht und nicht nur um Lernprozesse, wird dem Lehrer auch zum Bewußtsein kommen müssen, daß absolute Gerechtigkeit nicht hergestellt werden kann, indem

die Leistungsbeurteilung auf das Meß­bare beschränkt bleibt.

Noten müssen, behaupte ich, nicht nur juristischen Nachprüfungen, son­dern auch pädagogischen Ansprüchen standhalten! Viele Dinge gibt es im schulischen Geschehen, die sich der meßbaren Objektivierung entziehen, wobei aber ein Verzicht auf diese Dinge hieße, dem Schüler und dem pädagogi­schen Ethos nicht zu entsprechen. Ge­rade in dieser Hinsicht wird klar, daß der Schüler dem Lehrer anvertraut ist und ein gegenseitiges Vertrauen durch

gesetzliche Maßnahmen nicht oder sehr schwer ersetzt werden kann.

Wenn von Vertrauen die Rede ist, so soll auch von der Atmosphäre, von der Geborgenheit in der Schule gesprochen werden und von der Schule als Ort der Begegnung zwischen Lehrer, Eltern und Schülern.

Wir alle wissen, wieviele Hindernisse sich der partnerschaftlichen Zusam­menarbeit entgegenstellen, die Schwellenangst der Eltern, daß bei einer Kritik oder Beschwerde das Kind es „büßen“ muß, ein falsches Rollenverständnis, manchmal Resignation der Eltern, die falsche Meinung, daß ein Elternver­ein alle pädagogischen Probleme bei ei­nem Einzelkind lösen kann, die Aggression von Eltern, die sich in der wartenden Menge vor der Klassen­tür beim Sprechtag aufstaut, oftmals die überhebliche Art der Leh­rer.

So geht eine ganz wichtige Forde­

rung der inneren Schulreform nach der partnerschaftlichen Schule. Vielerlei Wege dazu können aufgezeigt werden, einige davon seien modellartig heraus­gehoben; es sind keine theoretischen Überlegungen, sondern an mancher? Schulen bereits erprobte Modelle:

Zu Klassenabenden (Oberstufe) wer­den nicht nur Eltern, sondern auch Ver­treter der Schüler eingeladen, um be­

sonders akute Probleme zu lösen.

In einer Vortrags- oder Diskussions­reihe wird den Eltern zu pädagogi­schen, sozialen Fragen und religiösen Problemen die Möglichkeit der Infor­mation und Diskussion geboten.

Elternabende werden auch in der Form eines Teeabends zusammen mit Lehrern und Schülern gestaltet.

Eltern müssen immer wieder auf Ziel und Aufgabe einer Schule (gerade bei einer katholischen Schule) hingewiesen werden.

Der Elternkontakt darf nicht nur problembedingt sein.

Soll eine Schule ein Ort der Begeg­nung sein, so müßte sie ein kultureller Mittelpunkt mit Veranstaltungen für Schüler und Eltern sein (Ausstellungen, literarische Abende, Vorträge, Fahrten u. a.).

Viele Möglichkeiten könnten noch genannt werden; eines soll aber noch betont werden: der Lehrer ist es, der den Hauptakteur für das Gedeihen einer Schulgemeinschaft darstellt; von ihm werden sich die Eltern motivieren lassen, wenn sie dessen Bemühen dar­um spüren ...

Wenn ich nun behaupte, daß die heu­tigen Probleme der Schule vor allem Lehrerprobleme sind, oder daß die wirksamste Schulreform zum Großteil eine Lehrerreform zu sein hat, so will ich damit nicht sagen, daß es nur schlechte Lehrer gibt, daß aber viele Probleme in der Schule durch einsatz­freudige, begabte und gut ausgebildete Lehrer zu bewältigen sind.

So hat meiner Meinung nach eine Er­neuerung der Schule zu beachten:

I. Die Lehrerbildung darf nicht, wie Prof. Heitger schreibt, zum Verhaltens­training von Verfügungsmechanismen werden, sondern soll jenes pädagogi­sche Ethos erschließen, in dem das Handeln sich an ethischen Prinzipien

und nicht am berechenbaren Erfolg le­gitimiert.

2. Die Schule braucht nicht nur den gut ausgebildeten Lehrer, sondern vor

allem neben seiner Ausbildung dessen Persönlichkeit, dessen Einstellung und dessen Engagement.

3. Die Schule der Zukunft muß dem Lehrer wieder den Mut zur Erziehung geben. Es geht um die Wiedergewin­nung des Erzieherischen in der Schule; Erziehung muß sich wieder emanzipie­ren.

4. Die Euphorie, mit Hilfe von Pla­nung und Organisation einen genau durchprogrammierten Unterricht durchführen zu können, der den Be­dürfnissen des Schülers entspricht, muß der Erkenntnis weichen, daß Schule und Unterricht ein Ort der per­sönlichen Begegnung und Auseinander­setzung ist (vgl. Horner, „Wiener Leh­rer“, Heft Nr. 83,1980).

5. Der Lehrer muß schließlich die fundierte Auseinandersetzung mit den Grundfragen nach Sinn, Aufgabe und Verantwortung der menschlichen Exi­stenz anbieten. - Materielle Werte er­setzen heute immer mehr die Vermitt­lung von Liebe, geistigen Werten und Gefühlen und dies erzeugt, wie Prof. Ringel meint, Langeweile und ein Ver­hungern bei vollen Schüsseln. Pädago­gische Konzepte, die die Sinnsuche hin­dern oder ausklammern, führen letzt­lich zur Entfremdung des Menschen.

6. Der Lehrer wird gegenüber der Fülle des empirischen Stoffes die tiefe­ren geistig-personalen Aspekte des Menschen in den Vordergrund stellen, er wird das Ganze der Wahrheit heraus­stellen, er wird den ganzen Menschen sehen, sein Hirn, Herz und Hand, wie es Pestalozzi betont.

7. Es soll nicht ein leichtfertiges Schlagwort bleiben, daßdie Schule um der Schüler willen da ist und nicht die Schüler um der Schule willen. So muß der Lehrer in der Schule den Raum fin­den zur personalen Begegnung. Erzie­hung als Begegnung muß heißen, daß der Lehrer seinen Dienst nicht als „Job“ ansieht, sondern seine Aufgabe in der Begegnung mit dem Schüler sieht und durch sein Verhalten - meist ganz unbewußt - bestimmte Wertvorstellun­gen an den Schüler heranträgt.

Großartig paßt für den christlichen Lehrer das Wort eines Heiligen, eines Märtyrers und Bischofs, der um 110 in Rom den Märtyrertod erlitt, das Wort von Ignatius von Antiochien: „Man erzieht durch das, was man sagt, mehr noch durch das, was man tut, am meisten aber durch das, was man ist.“

Aus einem Vortrag vor den Direktoren aller Ka­tholischen Privatschulen im Dezember 1980 im Bildungshaus Wien-Lainz.

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