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Gefährdungen und Chancen des heutigen Religionsunterrichts

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Die Diskussion um den Religionsunterricht, die zuletzt wieder von linken Splittergruppen losgetreten wurde - sie hätten lieber ein Lehrfach „Marxismus“ gesehen - hat auch ihr Gutes. Die Aufgaben, aber auch die Sonderstellung des Unterrichtsfaches „Religion“ in unserem Schulsystem werden wieder grundsätzlich bedacht. Dabei wird spürbar, daß die Schwächen dieses Faches nicht so sehr an den kritisierten Punkten liegen, sondern anderswo.

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Die Diskussion um den Religionsunterricht, die zuletzt wieder von linken Splittergruppen losgetreten wurde - sie hätten lieber ein Lehrfach „Marxismus“ gesehen - hat auch ihr Gutes. Die Aufgaben, aber auch die Sonderstellung des Unterrichtsfaches „Religion“ in unserem Schulsystem werden wieder grundsätzlich bedacht. Dabei wird spürbar, daß die Schwächen dieses Faches nicht so sehr an den kritisierten Punkten liegen, sondern anderswo.

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Die eigentliche Qefahr für den Religionsunterricht liegt nicht so sehr in seiner befürchteten Links- oder Rechtslastigkeit, auch nicht in den diversen Einseitigkeiten in progressive oder konservative Richtungen - sondern in der Langeweile. Und damit meine ich nicht sosehr die Müdigkeit von Lehrer und Schüler, verursacht durch stundenlanges Herumsitzen und Reden, Schreiben und Hören, sondern etwas, das ich vorläufig „existenzielle Langeweile“ nennen möchte: Der Religionsunterricht ist in Gefahr, am Leben der Schüler vorbeizureden.

Wenn die Schüler das Christentum nicht als Antwort auf die Frage ihrer Existenz verstehen, wenn ihre Sinnfrage ungelöst bleibt, dann versandet der Religionsunterricht in existenzieller Belanglosigkeit - und wird dadurch überflüssig.

Nach zweitausend Jahren Kirchen- und Theologiegeschichte ist es verständlich, daß ein unübersehbares Maß an Wissen die Sicht auf einige wenige Grundaussagen des Christlichen verdecken. Ein Unterrichtsfach für Religion wird ąllzu leicht der Gefahr erliegen, durch ein Übermaß an Fachwissen den Kern christlicher Aussage zu ersticken. Dabei genügt es nicht, wenn der Lehrer die Übersicht und damit das geforderte Grundwissen über das Wesen des Christentums hat - der Schüler ist das Kriterium, ob die Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Randerscheinungen gelungen ist. Dies trifft vor allem für die Mittel- und Oberstufe unserer Schulen zu. Jeder Lehrer kann seinen eigenen Unterricht daraufhin testen, wenn er seinen Schülern unvorbereitet die Frage stellt, inwiefern das Christentum sein eigenes Leben verändert, bereichert oder beschneidet. Oder er kann seine Schüler auffordern, in wenigen Sätzen das Wesen des Christentums für einen Andersgläubigen ohne jegliche Kenntnis unserer Religion zu beschreiben. Bei den Antworten möge er die „Investition“ eines sechs- oder zehnjährigen Religionsunterrichtes berücksichtigen.

Es ist zugegebenermaßen schwierig, in einem regelmäßigen Unterrichtsfach in verbaler Unterweisung Dinge zu vermitteln, die so elementar mit Erfahrung, mit der Biographie des einzelnen Schülers und mit seinen altersspezifischen Problemen zu tun haben, wie ein existenzbezogener Glaube. Doch wenn das in einem Unterrichtsfach schlechthin unmöglich sein sollte - dann erst wäre schulische Verkündigung zwecklos.

Ziel des Religionsunterrichtes ist nicht so sehr die Aneignung von Fachwissen, sondern von „Lebenswissen“ - also von Einstellungen, Werthaltungen und Fähigkeiten, die das Leben erhellen, regeln und deuten.

Das heutige \ lempsychologische Wissen hat uns etwas desillusioniert: Wir sind bescheidener geworden im Anspruch, durch Reden und herkömmliches Lehren beeinflussen zu können. Wir haben aber auch die unrealistische Meinung aufgegeben, es gäbe so etwas wie „wertfreie Bildung“ oder „objektives Wissen“. Daraus folgern sich zwei Feststellungen: Bildung ist ein dialogischer Prozeß und keine

Einbahnkommunikation. Bildung ist Beeinflussung und Wertvermittlung- gewollt oder ungewollt. Daher am besten gewollt und offen deklariert.

Ein Religionsunterricht, der das berücksichtigt, wird den Schüler und sein vorläufiges Lebenswissen zum Ausgangspunkt seines Unterrichts machen, und zwar in eindeutiger Priorität vor den Lehrplänen und den nicht lebensbezogenen Lehrstoffen (die Großzügigkeit der kompetenten Stellen in dieser Frage ist gegeben). Das hat nichts mit dem so sehr beredeten „Zerdiskutieren“ zu tun. Hier tritt etwas ganz anderes ein: das Gespräch. Leider ist allzuoft noch der Religionsunterricht ein durchlaufendes Antwortgeben auf Fragen, die nie (oder vor Jahrhunderten) gestellt wurden, während die gestellten Fragen mit dem Hinweis auf den Lehrplan oder sonstwas unbeantwortet bleiben. Lebenswissen entsteht jedoch nicht durch herkömmliches „Lernen“ (aus Büchern und Heften), sondern aus Ratlosigkeit, aus unseren Wünschen, Sehnsüchten und Fragen.

Der Religionsunterricht steht, wie das Christentum überhaupt, in der Spannung zwischen seinem heraus-

fordernden Auftrag und der freien Annahme durch den Einzelnen - also in der Spannung zwischen Doktrin und Toleranz.

Diese Dialektik wird in zwei Fehlhaltungen sichtbar: in der Indoktri- nierung und in einer Pseudoobjektivität. Beides sind letztlich Formen starker Machtausübung. Wer indoktri- niert, droht - mit Kirchenausschluß, Hölle, schlechten Noten oder Ubelwol- len. Der Pseudoobjektive erhebt einen subtileren, aber kaum geringeren Anspruch. Wer ihm widerspricht, gilt als dumm. Ob der Religionsunterricht diese Spannung aushält, erweist sich am Widerspruch gegen Lehrermeinungen. Wer diesen Widerspruch gelten läßt, ohne den eigenen Anspruch aufzugeben - und vor allem, wer im Widerspruch das (meist auch vorhandene) Richtige erkennt und anerkennt - der meistert dieses Problem.

Hier sind wir bei einem sehr heiklen Problem angelangt, bei der Persönlichkeit des Lehrers. Es gehört viel Ichstärke dazu, mit Widerspruch wohlwollend umzugehen und nicht die Lehrerautorität zum Niederknüppeln von Meinungen zu mißbrauchen. Es braucht sehr viel Zuwendung zum Schüler, die oft erst die Aussagen der Schüler in all dem Unausgesprochenen und manchen Hintergründen verständlich machen.

Der Religionsunterricht braucht keine unnahbare und distanzierte Lehrerautorität, sondern vielmehr eine wohlwollende Beziehung mit dem Selbstverständnis als Mitarbeiter des Schülers am selben Bildungsprozeß - kurz: eine freundschaftliche Beziehung.

Wer Bildungäls dialogischen Prozeß begriffen hat, versteht sich anders: Er ist Partner an diesem Prozeß, und Zwar stärkerer Partner, weil ör mehr weiß und älter ist- aberauch„%tHWä- cherer“ Partner, denn es geht eigentlich um den Schüler und nicht um ihn selbst. Unser derzeitiges Lehrerbild ist noch ziemlich von Distanz und Repression geprägt. Der Religionslehrer, traditionell besonders der Priester, hat hier die Chance, daß man ihm eine gewisse Sonderstellung zubilligt. Er kann leichter außerschulische Kontakte begründen, man sieht gern, wenn er in der außerschulischen Jugendarbeit mittut. Man schätzt auch einen gewissen allgemein-pädagogischen Einfluß, den gerade Religionslehrer als Vertrauenslehrer der Schüler manchmal haben.

Eine Gesellschaft, die langsam aus dem Traum der Wertfreiheit und Wertneutralität in die Wirklichkeit des Wertverlustes und der Entstehung und Glorifizierung von Unwerten aufwacht, beginnt wieder den Pädagogen als den berufensten Wertvermittler zu schätzen. Der Religionsunterricht sollte diese Chance nützen. Er ist gefragt.

Die Entwicklung der Religionpädagogik und Katechetik der letzten Jahre läßt darauf hoffen, daß sich schon heute im qualitativ stark verbesserten Religionsunterricht ein auch allgemein erneuertes pädagogisches System „Schule“ abzeichnet.

Wer die heutige Situation an den Schulen kennt, weiß, daß eine gut ausgebildete Generation von Lehrern nachrückt, daß manche altgediente Lehrer, seit dem Konzil etwa, immer wieder neu- und umgelernt haben, und daß eine ganze Generation von neuen Lehrbüchern den Neid anderer Fachkollegen erregt. Einzelne „Relikte“ - Lehrer, die sich nicht mehr umstellen können oder wollen - aber auch Lehrbücher, wie das hoffentlich bald ausgediente der achten AHS-Klasse - sind mit einiger Geduld zu ertragen. Insgesamt dürfte der Schnitt in der Qualifikation der Religionslehrer nicht schlechter sein, als der anderer Fächer.

Was aber Mut macht: Der Religionsunterricht versteht sich heute kaum mehr nur kognitiv, sondern bezieht andere Bildungsebenen (soziale, affektive, kreative) in den Lernprozeß mit ein und versteht sich in zunehmendem Maß partnerschaftlich.

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