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Religion als Scnulracn

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Bei dem kürzlich abgehaltenen Symposion der Wiener Katholischen Akademie „Schulischer Religionsunterricht in einer pluralistischen Gesellschaft" ging es unter anderem um die grundsätzliche Zielsetzung des Religionsunterrichtes. Wir bringen einen stark gekürzten Referatsauszug.

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Bei dem kürzlich abgehaltenen Symposion der Wiener Katholischen Akademie „Schulischer Religionsunterricht in einer pluralistischen Gesellschaft" ging es unter anderem um die grundsätzliche Zielsetzung des Religionsunterrichtes. Wir bringen einen stark gekürzten Referatsauszug.

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Bis in die jüngsten römischen Dokumente hinein (beispielsweise „Catechesi tradendae") läßt sich zeigen, daß die katholische Kirche den Religionsunterricht auch dort, wo er in der öffentlichen Schule des weltanschaulich neutralen Staates stattfindet, fast ausnahmslos als Katechese versteht. Das bedeutet im einzelnen, daß die Schüler als Glieder der Kirche, als getaufte Christen angesehen und angesprochen werden, daß die „Evangelisation",das heißt die Erstverkündigung der christlichen Botschaft, die grundlegende und entscheidende Begegnung mit dem Glauben bei ihnen vorausgesetzt wird.

Als Ziele des Religionsunterrichts werden erwartet: die Entfaltung des Glaubenswissens, die Einführung in das christliche Leben sowie die Hinführung zu einem aktiven Mitleben mit der Kirche.

Nach dieser Auffassung ist die Schule lediglich ein Ort der Glaubenserziehung unter anderen. Trotz aller gegenteiligen Versicherungen ist dahinter immer noch die Nachwirkung jener jahrhundertelangen Geschichte zu spüren, in der die Schulen Einrichtungen der Kirche waren.

Die gegenwärtige Situation des Religionsunterrichts in der Schule ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß zunehmend mehr Schüler immer weniger lebendige Beziehungen zu der Kirche haben, der sie durch die Taufe angehören. Die Verhältnisse sind zwar nach Gegenden, nach Stadt und Land, manchmal sogar nach einzelnen Schulen verschieden, aber der Trend ist allgemein. Die Schulklasse ist damit ein getreues Spiegelbild der weltanschaulich pluralen Gesellschaft. Die bloße Zugehörigkeit zur Kirche der Schüler, die zu mehr als 90 Prozent Getaufte sind und in ihrer überwiegenden Mehrheit auch zur Erstbeichte, zur Erstkommunion und zur Firmung „geführt" wurden, berechtigt nicht mehr dazu, von einer wirklichen Ubereinstimmung aller am Unterricht Beteiligten in der religiös weltanschaulichen Uberzeugung zu sprechen. Jedes offen geführte Unterrichtsgespräch beweist das Gegenteil.

Als Kriterium für die tatsächliche Distanz zur Glaubensgemeinschaft der Kirche ist dabei keineswegs nur die Frequenz des Gottesdienstbesuchs anzusetzen, auch nicht der weitgehende Ausfall sonstiger Beteiligungen am Gemeindeleben. Signifikanter sind vielmehr die von den Schülern in Aussagen und Verhaltensweisen zum Ausdruck gebrachten Wertüberzeugungen, Sinnantworten und ethischen Normvorstellungen.

Angesichts dieser Situation ergibt sich für die allgemeine Aufgabenstellung des Religionsunterrichts eine grundsätzliche Alternative:

• Entweder man bleibt bei der herkömmlichen „katechetischen" Konzeption des Fachs—dann muß man dem Religionsunterricht zumuten, die für die meisten Schüler weitgehend ausfallenden christlichen Erziehungsinstitutionen Familie und Gemeinde zu ersetzen.

# Oder man nimmt die wirkliche Bewußtseinslage der Schüler ernst — dann wird man zugeben müssen, daß für die meisten kein unmittelbares Bedürfnis nach Information über die Inhalte der christlichen Tradition oder gar nach einer Einführung in das kirchliche Leben besteht. Damit ist allerdings keineswegs die Begründung für jegliche Art religiöser Erziehung im Rahmen der Schule entfallen. Die Identitätssuche des jungen Menschen, bei der die schulische Arbeit eine wichtige Hilfsfunktiön hat, richtet sich ja vorwiegend auf allgemeine Lebensfragen, auf die Suche nach dem Sinn des Lebens und der Welt überhaupt, auf mögliche Grundwerte und Grundhaltungen des Menschen gegenüber der Wirklichkeit, auf gültige, begründbare Maßstäbe für das konkrete Handeln und Verhalten.

Die erste der beiden beschriebenen möglichen Aufgabenstellungen des Religionsunterrichts liegt ohne Zweifel hauptsächlich im Interesse der Kirche. Von ihr her läßt sich auch die rechtlich fixierte Mitverantwortung der Kirchen, die Konf essionalität des Fachs am ehesten begründen.

Dagegen liegt die zweite mögliche Aufgabenstellung eher im Rahmen der allgemeinen Erziehungsziele der Schule. Sie erfordert nicht von sich aus eine kirchliche Verantwortung für die Ziele und Inhalte des Unterrichts. In einem neuen Schulfach „Religionskunde" etwa ginge es hauptsächlich um eine vergleichende Information über die Geschichte, die „Lehren", Riten, Lebensformen und Institutionen der großen Menschheitsreligionen. Der Unterricht könnte als Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aussagen über Menschenbilder, Weltdeutungen, Wertvorstellungen, ethischen Normen usw. zur Orientierung der Schüler in ihren eigenen Lebensfragen beitragen.

An dieser Stelle soll nicht danach gefragt werden, ob es pädagogisch sinnvoll, rechtlich möglich oder politisch durchsetzbar wäre, einen solchen allgemeinen Unterricht in Religion an den. österreichischen Schulen einzurichten — vielleicht sogar noch unter Abschaffung des konfessionell gebundenen Religionsunterrichts. Zur Frage steht vielmehr, ob der katholische (entsprechend vielleicht auch der evangelische) Religionsunterricht in seinen Zielsetzungen und Inhalten jene als zweite Alternative gekennzeichnete Aufgabenstellung, wenn nicht ausschließlich, so doch stärker und entschiedener als bislang sich zu eigen machen müßte.

Wenn die Aufgabe der Kirche auch in einer Humanisierung des einzelnen und der Gesellschaft besteht, bedeutet das das Ernstnehmen der erzieherischen Funktion des Religionslehrers neben seiner katechetischen oder missionarischen Funktion.

Ein Religionsunterricht, der offen ist für die ganze Breite unterschiedlicher Lebenserfahrungen und für die Vielfalt heutiger religiöser und ideologischer Positionen, scheint wohl auf den ersten Blick im Widerspruch zu stehen zu seiner konfessionellen Bestimmung. Es muß zugegeben werden, daß das in konkreten Fällen auch so sein kann. Der christliche Charakter und die Konfessionalität des Fachs verbieten allerdings kaum schon von sich aus, andere Uberzeugungen ernsthaft und mit Respekt in den Unterricht einzu-beziehen.

Wenn sich der Religionslehrer nicht als reiner Verkünder einer vorformulierten Botschaft, sondern auch als Erzieher seiner Schüler versteht, muß ihm mehr daran gelegen sein, diese zu einer persönlich verantwortbaren Entscheidung zu befähigen, als ihnen ein System von Inhalten überzustülpen, mit dem sie sich nicht identifizieren können. Bei vielen seiner Schüler wird seine Tätigkeit nur dann Sinn und Bedeutung erhalten, wenn sie von der erzieherischen Sorge um ihr Menschwerden geprägt ist.

Ein wirksames erzieherisches Verhältnis wird sich nur aufbauen lassen, wenn die jungen Menschen erfahren, daß es dem Religionslehrer zuerst um sie selbst als Menschen geht und nicht darum, sie unbedingt nach einem vorgefaßten Bild, vielleicht sogar nach einem Klischee „formen" zu wollen.

Dieses erzieherische Engagement, das darauf zielt, jungen Menschen zu helfen, gerade im Kern ihrer Existenz Mensch zu werden, verrät nicht seinen kirchlichen Auftrag, es ist erst seine eigentliche, tiefste Erfüllung. Erziehung in diesem Sinn kann man durchaus als Seelsorge bezeichnen — wenn man sie im Geist und nach dem Beispiel Jesu als Sorge um das Heil und Glück des Menschen versteht.

Der Autor ist Professor für Religionspädago-ßik und Katechetik an der Universität Wien

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