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Schule und Schulgememde

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Die ernste Aussprache der Schulgemeinde der Wiener Berufsschulen über Religion, über die „Die Furche“ in Folge 52/1950 berichtete, sowie eine freimütige Beratung über das Thema „Schulgemeinde“ selbst, die kürzlich die Vertreter der Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten in Wien versammelte, rücken die vielumstrittene Frage wieder in den Vordergrund des Interesses. Es ist bekannt, daß der Gedanke der Schulgemeinde bei den Jugendorganisationen gewissen Vorbehalten begegnet. Trotzdem glauben wir, daß die folgenden positiven Ausführungen eines geachteten Fachmannes gehört werden müssen. „Die Furche“

Der Gedanke der Schulgemeinde in der heutigen Form, wie er etwa seit 1900 in der pädagogischen Literatur auftaucht, kann geistesgeschichtlich einerseits mit der fortschreitenden Entwicklung der demokratischen Lebensformen verbunden werden, andererseits mit den Bestrebungen, in soziologischen Gemeinschaften (Staat, Wirtschaft, Religionsgemeinschaft), die früher stärker als Objekte betrachteten Personen mit verantwortungsvollen Aufgaben als Subjekte zu beauftragen. Durch die Schulgemeinde soll die Jugend aller Schultypen die Gedankenwelt der Demokratie, das Bewußtsein der Verantwortlichkeit im weitesten Sinne erleben, nicht bloß, wie der neueste Erlaß (staatsbürgerliche Erziehung) diesbezüglich sagt (Verordnungsblatt des Bundesministeriums für Unterricht, 1. August 1949), theoretisch erlernen: „Das richtige soziale Verhalten und die Einsicht in die Notwendigkeit und Schwierigkeit des richtigen Gebrauches der Freiheit muß ebenso gelernt werden wie der Lehrstoff.“ Nur dann können junge Menschen, die einmal die Verantwortung für ihre Heimat tragen sollen, wirklich im Sinne wahrer Demokratie und Menschlichkeit erzogen, zum Bewußtsein der hohen Kulturmission unserer Heimat hingeleitet werden, wenn sie von der ersten Stufe der Volksschule an eine entsprechende Erziehung erhalten haben. Hier tritt auch schon die erste große Schwierigkeit entgegen, da die etwa zwischen 1925 und 1939 geborenen Jugendlichen in ihrer Schulzeit ganz andere Ideale und Zielsetzungen erhielten. Audi die Tatsache, daß in Österreich wie in Deutschland die volle Demokratie mit der republikanischen Staatsform beide Male nach den schwersten Erschütterungen zweier Weltkriege eingeführt wurde, legt gewisse Schwierigkeiten der innenpolitischen Entwicklung unserer Heimat bloß.

Die neueste amtliche Definition der Schulgemeinde ist im Statut der Schulgemeinden für alle der Abteilung III des Stadtschulrates für Wien unterstellten Schulen (Berufsschulen) enthalten: „Die Schulgemeinde ist ein Verband aller Lehrer und Schüler der Anstalt. Sie hat den Zweck, die Schüler mit dem Gedankengut der Demokratie vertraut zu machen, ihr Pflichtgefühl zu stärken und ihren Sinn für Gemeinschaft und soziales Menschentum zu pflegen.“

Wie soll nun durch dieses Erziehungsprinzip der Schulgemeinde als Verband (eine Tagung in Weinberg, Oberösterreich, zu Weihnachten 1949 formulierte besser: als „Gemeinschaft“) die Schule gefördert werden? Abgesehen von den zunächstliegenden Arbeiten im Ordnunghalten und Verschönern des Klassenzimmers, in dem die Zelle der Schulgemeinde, die Klassengemeinschaft, ihr Heim hat, ergeben sich zwei Hauptaufgaben: erstens das Bewußtsein der Gemeinschaft zwischen Lehrern und Schülern so zu festigen, daß, wie der genannte Erlaß sagt, „die Schulklasse als Arbeits-, Lebens-, Gesinnungs- und Hilfsgemeinschaft“ erlebt wird. Damit wird der leider in Schülerkreisen oft verbreiteten Meinung, der Lehrer sei der Gegner des Schülers, ihm gegenüber seien Täuschungen usw. erlaubt, entgegengetreten, womit sich ganz von selbst sogenannte Disziplinarfälle verringern werden. Gewiß, eine Spannung wird immer zwischen Lehrern und Schülern bestehen, aber es kann einerseits durch verständnisvolle Mitarbeit der meist in höheren Stufen in geheimer Wahl gewählten Klassenvertreter manche drohende Schwierigkeit eingedämmt oder erleichtert werden, andererseits können die Schüler den Lehrer vielleicht auf diese Art leichter auf zeitbedingte, besonders schwierige Situationen hinweisen und ihre Kameraden in guter Weise zu beeinflussen trachten. Ein guter und tüchtiger Lehrer wird dabei nichts an seiner Autorität einbüßen, im Gegenteil gewinnen. Nach dem Vorschlage der erwähnten Weinberger Tagung sollen die derzeit geltenden Bestimmungen für Schulstrafen von einer besonderen Kornmission von Lehrern, Psychologen und Schulbehörden mit den Ergebnissen der neuen jugendpsychologischen Forschung in Einklang gebracht und nötigenfalls abgeändert werden. Dieser Ruf ist freilich bisher ohne Wirkung verhallt. , ;

Die zweite Hauptaufgabe der Schül-gemeinde ist die Freizeitgestaltung in kulturell wertvollem Sinne. Ob sich nun Gruppen für ernste Aussprachen (wie in dem eingangs erwähnten Beispiel an den Berufsschulen), für Fremdsprachen, Lite-ratun, Musik, Sport, Theater und ergänzende Kurse (Maschinschreiben) zusammenfinden, ob, was an manchen Schulen der Fall ist, im Sinne des Jugendrotkreuzes die Jugend das Erträgnis ihrer

Feiern für. karitative Zwecke (Betreuung kranker Kinder, alter Leute, Flüchtlinge usw.) widmet, alle diese Bemühungen sind, wenn sie freiwillig geschehen, wirklich wertvoll für das Hineinwachsen in die große Gemeinschaft des Staates. Hier besteht freilich die Schwierigkeit, daß manche Jugendverbände eine derartige Betreuung der Jugend durch die Schule nicht gerne sehen. Diese Verbände mögen sich überzeugen lassen, daß die Schulgemeinde ihnen nicht Konkurrenz machen, sondern nur den solchen Verbänden nicht angehörigen Schülern (die weitaus in der Mehrzahl sind) die Möglichkeit geben will, in Gemeinschaft kulturelle und soziale Werte zu erleben und zum Teil auch selbst zu setzen. Manche junge Menschen gehen ihre eigenen Wege; in anderen Fällen wieder wird das Elternhaus eine wertvolle Freizeitgestaltung daheim ermöglichen! in vielen Fällen kann aber auch die Schule wirklich große bleibende Werte vermitteln.

Zur vollen Entfaltung und Auswirkung dieser Ideen sind freilich wenigstens bescheidene Geldmittel für Sach- und Personalaufwand erforderlich. Aber auch noch andere Hindernisse müssen überwunden werden. In der gegenwärtigen schwierigen Weltlage, in der schweren Kulturkrise mit ihren Auswirkungen lasten auch auf den reiferen Jugendlichen schwere Zukunftssorgen. Die beste Schulgemeinde wird wenig erreichen können,wenn der drohenden Berufsnot (Mangel an Lehrstellen und Arbeitsplätzen für viele Gruppen, Uberfluß an stellenlosen Akademikern) nicht mit allen Mitteln entgegengearbeitet wird und der junge Mensch mit Zuversicht in die Zukunft sehen und auf seinen Beruf sich freuen kann.

In den einzelnen Schultypen und Schulen von Wien gibt es die verschiedensten Entwicklungsstadien von Schulgemeinden: blühende und solche, die kaum die ersten Schritte gemacht haben. Jede Schule hat als Gemeinschaftsorganismus förmlich aus Tradition und soziologischen Gegebenheiten ein Lebensgesetz, dem sich jeder Lehrer und Schüler einfügt und das er weiterführt; es ist daher nicht möglich, ohne Vorsicht Einrichtungen der einen auf die andere zu übertragen. Das Hauptanliegen aller Erzieher an österreichischen Schulen an die verantwortlichen Stellen aber dürfte sein: gebt der österreichischen Schule endlich die Schulgesetze, trachtet zu einer Einigung zu gelangen, damit auch in sturmbewegter schwerer Zeit die Schule die nötige Ruhe zur Entfaltung und zum Gedeihen wieder erhalte, gebt unserer Jugend die Möglichkeit, an ihre Arbeitsstellen zu gelangen. Die Freunde der Schulgemeinde fügen hinzu: baut den Gedanken der Schulgemeinde, der sich vielfach bei uns 6chon bewährt hat, in diese Gesetze einl

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