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Die Sache mit dem Österreichbewußtsein

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Unmittelbar ausgelöst durch die sattsam bekannten Hakenkreuzaktionen, wurde in der Öffentlichkeit damals die Forderung nach eingehender Behandlung der Zeitgeschichte der jüngsten Vergangenheit im Schulunterricht mit besonderem Nachdruck erhoben. In diesem Zusammenhang erregte auch die Erklärung eines bekannten Wiener Schulmannes einiges Aufsehen, der sich vor einem größeren Forum dahingehend äußerte, daß „solche Unterrichtsstunden nicht ungefährlich seien“, da jeder Lehrer seine „eigene Meinung“ über besagte Vergangenheit habe, eine Feststellung, die in der Öffentlichkeit vielfach in der Weise kommentiert wurde, daß die vorgesetzten Schulbehörden vom Durchschnitt der Lehrer eine sachliche Darstellung der Tatsachen zwischen 1933 und 1945 gar nicht erwarten.

Für Lehrer und Erzieher, die im Schulalltag stehen, bildet es kein Geheimnis, daß jene Jugendlichen, die auf Grnd' ihres“'Alter diei Ära des zweiten Weltkrieges selbst nicht mehr bewußt miterlebt haben, im allgemeinen 'rtWr| über ein äußerst spärliches Wissen über die Zeit vor 1945 verfügen. Sie besitzen bloß einen gewissen Phrasenschatz, wie zum Beispiel, „daß der Krieg durch zuviel Verrat verlorengegangen sei...“, daß „ ,wir' gesiegt hätten, wenn nicht...“ usw. Lehrer sind oftmals erschüttert davon, wie wenig ganze Schulklassen über jene unheilvolle Epoche auszusagen vermögen, wie wenig Wissen darüber die Schüler von zu Hause mitbringen. Selbst an Schulen in unmittelbarer Nähe ehemaliger Vernichtungslager wissen Vierzehnjährige auf Befragen über den Zweck jener Lager und die Vorgänge einst dort nur die nebelhafte Antwort, daß „hier irgend jemand einmal eingesperrt gewesen sei“. — Ein tieferes Wissen über das Damals ist so gut wie nicht vorhanden.

Gewiß wollen die wenigsten Eltern ihren Kindern bewußt die „Vergangenheit“ totschweigen, sondern dies geschieht wohl aus einer Geisteshaltung der Gedankenlosigkeit und Bequemlichkeit heraus. Auch mag der allgemein menschliche Grundzug dafür mitverantwortlich sein, daß man in guten Tagen das Schlechte so rasch vergißt! Auch sollte eines festgehalten werden: Die meisten Zeitgenossen möchten zwar das Geschehen vor 1945 nicht mehr ein zweites Mal erleben, doch sind manche von ihnen im Bedarfsfalle rasch mit einer äußerst bequemen „Entschuldigung“ für die Verbrechen, die in jener Ära begangen wurden, zur Stelle: „Die Sieger begingen auch Unmenschlichkeiten und unmoralische Handlungen!“ sagt man. „Hier Konzentrationslager, Judenermordungen -dort Austreibung von Millionen Ostdeutschen, Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung! Also brauchen ,wir' uns von niemandem etwas vorwerfen zu lassen!“ Man vergißt eben dabei, daß eigene Verbrechen nicht damit beschönigt und entschuldigt werden können, daß auch „die anderen“ Verbrechen begingen. Die Schuld der einen Seite wird dadurch nicht geringer, indem man sie in Relation zu jener der anderen Seite bringt und dazwischen ein „Gleichheitszeichen“ setzt!

Wenn Lehrer im Unterricht mit ihren Schülern Probleme ähnlicher Art diskutieren, so verrät das „Echo“, wie sehr in der Welt der Erwachsenen die „Vergangenheit“ noch vielfach unverdaut zu sein scheint und wie sehr manchmal die Grenzen zwischen Verurteilung und Glorifizierung jener Epoche in einem nicht ungefährlichen Maße einander nahekommen.

An den Schulen sind wohl viele Lehrer bemüht, sich mit ihren Schülern möglichst objektiv mit jener Vergangenheit auseinanderzusetzen, doch sind die gegenüber der Schule als Ganzes erhobenen Vorwürfe keineswegs unbegründet: die Mehrzahl der Schüler weiß und erhält zum Beispiel über die alten Römer wesentlich eingehender Bescheid als über die Zeit des zweiten Weltkrieges. Die Ursachen hierfür sind verschiedener Natur:

Im Geschichtsunterricht kommt bei der üblichen chronologischen Behandlung der Weltgeschichte — bedingt durch die Stoffülle — die neueste Zeit häufig zu kurz. Vielfach endet der Geschichtsunterricht mit der Behandlung des ersten Weltkrieges. Dazu gesellt sich eine gewisse Unsicherheit mancher Lehrer bei einer Stellungnahme im Unterricht zu jenem Zeitraum, den sie selbst mit seinem Geschehen mehr oder minder wertend miterlebten. Auch muß “zugegeben werden, daß manche Lehrer — wonl bedingt durch „Entnazifizierung und Glasen-•bäch' — noch immer nicht jerle klare Einstellung zur „Vergangenheit“ gefunden haben, die gerade in der Schulstube mehr als anderswo wünschenswert wäre. — Dazu kommt, daß es bis vor kurzem an Haupt- und Mittelschulen keine Geschichtsbücher gab, die auch die neueste Zeit berücksichtigten. Auch ist folgendes in Betracht zu ziehen: An den Pflichtschulen muß den Schülern geschichtliches und staatsbürgerliches Wissen auf einer Altersstufe vermittelt werden, auf der nur ein geringer Teil von ihnen über jene geistige Reife verfügt, die ein Versrehen der geschichtlichen Zusammenhänge und Beweggründe zuläßt.

Trotz mancherlei Schwierigkeiten sollte die Schule in Zukunft mehr als bisher bestrebt sein, der Jugend ein möglichst objektives Bild von den Geschehnissen zwischen 1933 und 1945 zu vermitteln. Jeder Schüler sollte vom Staate ein geeignetes Geschichtsbuch geschenkt erhalten.. Bis heute wird an den Schulen auch ein entsprechendes Filmwerk vermißt, das den Untergang und die Wiedergeburt des österreichischen Staates zum Inhalt hat. Staatsbürgerkunde und staatsbürgerliche Erziehung, wobei der Akzent auf Erziehung zu legen wäre, sollten von der Peripherie mehr ins Zentrum des Unterrichtes rücken. Der Einwand etwa, daß bei der heutigen stofflichen Überlastung hierfür an den Schulen keine Zeit zur Verfügung stehe, darf in einer so wichtigen Sache nicht gelten.

Wer jemals Gelegenheit hatte, mit Jugendlichen in Ländern hinter dem Eisernen Vorhang Gespräche politisch-weltanschaulichen Inhalts zu führen, dem drängte sich wohl unwillkürlich ein Vergleich zwischen jenen in ihren Urteilen auf einer festen weltanschaulichen Basis stehenden jungen Menschen und der Jugend unseres Landes auf, deren staatsbürgerliches Bewußtsein überhaupt nicht oder nur im Embryonalzustand vorhanden ist. Was unserer Jugend fehlt, ist jene Einstellung, die man spezifisch als „Österreichbewußtsein“ bezeichnen könnte, — Natür-liJcr?“gefli?n jm“Östelian3eVe, Leitbilder 'für die Erziehung als in Demokratien, doch trotz des tinkalKulierens aller in diesem Zusammenhang nötigen Abstriche fällt ein Vergleich leider nicht zu unseren Gunsten aus. Die Jugend selbst trägt hierfür kaum eine Schuld.

An dieser Stelle soll keineswegs einem österreichischen Hurrapatriotismus das Wort geredet werden. Doch möge man sich der Tatsache bewußt sein: In einer Demokratie wachsen junge Menschen, die „ja“ zu ihrem Staate sagen, nicht einfach wie Früchte auf einem Baum heran, sondern sie müssen dazu erzogen werden. Sollte diese Erkenntnis bei den Verantwortlichen zu spät heranreifen, könnte es eines Tages wieder ein böses Erwachen geben.

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