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Digital In Arbeit

Blick zurück ohne Zorn

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Es wächst heute eine Generation heran, welche die Jahre zwischen 1938 und 1945 nicht erlebt hat. Was für die meisten Erwachsenen noch immer Gegenstand leidenschaftlicher Auseinandersetzungen, ihr Verhalten beeinflussender Ressentiments oder gewollten Vergessens darstellt, ist für sie bereits Geschichte. Und für einen Teil von ihnen ist es auch nicht mehr als Geschichte, über die sie mehr oder weniger — und sehr oft nichts — gelernt haben und die s;e wenig interessiert. Ein anderer Teil dieser Jugend hat zweifellos ein persönlicheres Verhältnis zu jenen Jahren gewonnen.

Doch darüber, wie sie wirklich denkt, liegt heute sehr wenig brauchbares Material vor. Dieser Artikel basiert auf den Antworten, die in fünf Klassen zweier Wiener Mädchenschulen von insgesamt 93 Schülerinnen unter’ Wahrung der Anonymität schriftlich gegeben wurden. Die Mädchen der Gruppe A (drei Klassen, Alter 14 bis 17 Jahre) besuchen eine Schule praktischer, die Mädchen der Gruppe B (zwei Klassen, Alter 15 bis 17 Jahre) eine Schule mehr theoretisch-pädagogischer Ausbildungsrichtung. Der Fragebogen enthielt 14 Fragen verschiedener Art. ich behandle hier die Antworten auf folgende Frage:

Was weißt du und wie denkst du über die politischen Verhältnisse in Österreich zwischen 1938 und 194.5?

Ich bin mir dessen bewußt, daß auch der vorliegenden Untersuchung keine statistische Stichhältigkeit zukommt; dazu war die Zahl der Befragten zu klein, ihre Auswahl zu zufällig, ferner handelt es sich ausschließlich um eine Befragung von Mädchen. Dafür konnte ich jedoch auf die zu statistischen Zwecken sonst üblichen Alternativfragen, auf die nur mit ja oder rein geantwortet werden kann, verzichten und die Fragen so formulieren, daß spontane, individuelle, nicht vorsuggerierte Antworten gegeben wurden. Wenn ich also, einerseits, kein all- gėrrtein gültiges Zahlenmaterial liefern:, kann, so hoffe ich, anderseits, doch, daß meine Arbeit brauchbare ‘Anhaltspunkte zum Verständnis dieser oder jener Haltung liefert, welche junge Menschen zu jenen Geschehnissen einnehmen.

„Bis wieder ein Krieg kommt…”

Die Worte „Nationalsozialismus”, „Hitler” und „Anschluß” wurden in der Fragestellung absichtlich nicht erwähnt, trotzdem hat die überwiegende Mehrheit der Mädchen die Frage vollkommen richtig verstanden. Nur einige wenige bezogen sie auf die Verhältnisse nach dem Ende des Krieges. Zum Teil zeigten sie sich sogar überraschend gut informiert. Und dies, obwohl die Meinungsbefragung vor dem Eichmann-Prozeß durchgeführt wurde.

Freilich wurde die Frage nach den politischen Verhältnissen zwischen 1938 und 1945 von allen 14 Fragen des Bogens am häufigsten überhaupt nicht beantwortet. Ob die betreffenden Mädchen nichts wußten oder ob sie sich nicht äußern wollten, war begreiflicherweise nicht festzustellen Von den 14 jährigen Schülerinnen der Gruppe A gaben 30 Prozent keine Antwort, einige zogen sich aus der Affäre, indem sie schrieben: „Damals war der Weltkrieg” oder „Die Verhältnisse waren schlecht”. Vielleicht ist das auch wirklich alles, was sie wissen. Immerhin kamen aber auch aus dieser Gruppe (14 Jahre!) Antworten wie diese: •

„Es muß grausam gewesen sein, die Leute wurden verschleppt, getötet, verhungerten oder erfroren.”

„Hitler hat die Macht ergriffen, und viele Leute jubelten ihm zu, dann kam das Unheil.”

„Die Leute sind damals blind ins Verderben gerannt, eine Zeit nach dem Krieg haben sie mit guten Vorsätzen ihre Arbeit begonnen, und jetzt scheinen sie wieder Scheuklappen vor den Augen zu haben, bis wieder ein Krieg kommt.”

„Viele Menschen starben unschuldig “

In allen Gruppen werden Antworten etwa dföser Art gegeben:’„Ich möchte die Zeit nicht mehr erleben!” Andere Antworten in allen Altersgruppen beziehen sich auf die Lebensmittciknapp- heit, eine Fünfzehnjährige schreibt: „Ich bin erst 1946 zur Welt gekommen, doch habe ich noch die Lebensmittelknappheit gekannt und kann mir vorstellen, wie schlecht es war, als noch der Krieg dazu war.” Manche Mädchen beziehen die Frage einfach auf die politischen Verhältnisse nach 1945, eine Vierzehnjährige schreibt: „Österreich war 1945 besetzt, man war ein freier Gefangener.”

Von den 15- bis 16jährigen Schülerinnen der Gruppe A hat die Hälfte die Frage nicht beantwortet, aber diejenigen, die antworten, geben — neben Stereotypantworten — auch einige recht aufschlußreiche Ansichten wieder: Drei Mädchen erwähnen die Hitler- Diktatur, eine die Judenverfolgung, eine andere außerdem noch die nicht gehaltenen Versprechungen:

„Ich weiß, daß in dieser Zeit eine wahnsinnige Hetze nach den Juden war. Hitler hat damals den Führerscab in der Hand gehabt. Er hat allen Arbeitern eine Arbeit versprochen, und dann ließ er sie in die Arbeitshäuser schließen.”

„Es war Krieg, es wurde für eine ungerechte Sache gekämpft, zu viele Menschen starben unschuldig.”

Typisch für die Einstellung vieler Menschen scheint mir folgender Satz: „Es war eine schreckliche Zeit, wir blicken jedoch nicht nach rückwärts, sondern in die Zukunft.” Eine Schülerin der Gruppe B des gleichen Jahrganges schreibt: „Was vorbei ist. ist vorbei, man soll Vergangenes ruhen lassen …”

Sagt uns mehr darüber!

Von den 17jährigen Mädchen der Gruppe A haben nur drei nicht geantwortet. Drei beziehen sich auf die Nachkriegszeit, zwei bekennen, daß si sich keine Gedanken gemacht haben, einige stellen nur fest: „Damals war der zweite Weltkrieg” oder so ähnlich. Hier zwei besonders aufschlußreiche Antworten: „Über diese Zeit wird in der Schule nichts unterrichtet.” Und: „Es ist ein großer Fehler der Schulen, daß sie uns von dieser Zeit nichts sagen. Warum soll man von dieser Zeit nicht sprechen, wo doch soviel Ausschlaggebendes für Familie und Staat geschehen ist.”

In der Gruppe B lassen bei den Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen von 18 Mädchen nur zwei die Frage unbeantwortet; in der Gruppe A 11 von 22! Mehrere Mädchen der Gruppe B in dieser Altersstufe versuchen, auch die Ursachen herauszuarbeiten, die zu jenen Ereignissen führten. Sie erwähnen unter anderem Armut und Arbeitslosigkeit:

„Die Leute waren arm und sahen in Hitler einen Gott. Sie sahen zu spät, daß er das Gegenteil war.”

Oder: „Ich glaube, die ganze Bevölkerung war von Hitler verblendet und konnte in der damaligen schlechten Zeit die wahren Hintergründe Hitlers nicht erkennen; wenn ich zu jener Zeit gelebt hätte, wäre feh viel leicht auch auf seiten Hitlers gewesen.”

Die Ansicht, man wäre damals vielleicht selbst auf der Seite Hitlers gestanden, taucht mehrmals auf und könnte vielleicht als Rechtfertigung der Elterngeneration gewertet werden, jedenfalls darf man wahrscheinlich schließen, daß die Mädchen, von denen solche Antworten gegeben wurden, nicht fremde Meinungen gedankenlos nachgeplappert, sondern sich mit dem Problem auseinandergesetzt haben Noch eine Antwort aus dieser Gruppe: „Es ist menschlich, daß die Leute in dieser Zeit für Hitler eingestellt waren. Sie waren von den Versprechungen Hitlers verblendet, die Enttäuschung nach dem Ende des Krieges war für sie deshalb doppelt so bitter.”

Anderseits schreibt ein Mädchen: „Natürlich, es ist klar, daß, wenn ein Volk in Not ist, ein Führer ein Volk mitreißt. Ich verstehe nur nicht, wie man noch heute Anhänger sein kann.”

In einer anderen Antwort wiederum heißt es: „Ich verstehe nicht, wie Menschen Nationalsozialisten sein konnten, ich würde gegen Hitler sein.” Auch KZ, Judenverfolgung und Diktatur werden in den Antworten dieser Gruppe erwähnt.

Die Mädchen des ältesten Jahrganges in Gruppe B antworten agressiver, die Gegensätze wirken sich hier stärker aus. Sie bemühen sich weniger um die Rechtfertigung der damaligen Generation und beschreiben mehr ihre eigene Meinung. Von 23 Bogen wurden hier vier nicht beantwortet (in der gleichen Altersstufe der Gruppe A sind es drei von 22). Zwei Mädchen meinen, man solle Vergangenes ruhen lassen, und auch hier stellen zwei fest, daß sie im Geschichtsunterricht über diese Zeit nichts gelernt haben. Oder: „Ich bin kein Genie in Geschichte, die Naturwissenschaften sind mir lieber!” Und: „Ich weiß, obwohl ein wenig, noch viel zuwenig über diese Zeit. Es ist nach meiner Meinung von allergrößter Wichtigkeit, die junge Generation politisch aufzuklären.”

Eine Schülerin schreibt: „Tch weiß viel darüber, weil ich mich dafür interessiert habe. Nie wieder so eine Zeit!” Eine andere: „Ich war im KZ bei einer Gedenkfeier. Zahlreiche Vorträge vervollständigten mein Bild von dieser Zeit. Ich werde mein möglichstes tun daß es nicht mehr zu dieser Zeit kommt. Die Jugend muß über die Zeiten genau aufgeklärt werden.”

Die Verschiedenheit der von den Mädchen geäußerten Meinungen gibt sicherlich auch ein Bild von der Verschiedenheit der Ansichten in der Elterngeneration. Einige weitere charakteristische Antworten:

„Wer hat nach der Zeit Napoleons eine objektive Meinung über seine Handlungen abgeben können? Persönliche Meinung: In jeder Zeit gibt es Krisen und in jeder Hinsicht..

„Es war grausam, was mit den Juden geschehen ist, wenn sie auch zum Teil schuld daran waren. Adolf Hitler war in meinen Augen ein skrupelloser Mensch, dem ich das Schlechteste vergönnt hätte …”

„Ich habe von meiner Mutter viel über diese Zeit gehört, aber auch von Zeitungen und Büchern. In jedem Ktieg gibt es Schattenseiten, also auch hier. Aber es ist nicht richtig, jeden für charakterlich einwandfrei zu halten, der damals emigriert oder im KZ war.”

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