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Der Lehrer und die Öffentlichkeit

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Daß die Schule „ein Politikum" — eine öffentliche Angelegenheit — ist, hat zum erstenmal eine kluge Frau, Maria Theresia, unmißverständlich ausgesprochen. Es ist aus der Mentalität des absolutistisch aufgeklärten Staates heraus zu verstehen, daß er die Schule und damit auch die Lehrer in den Bereich des staatlichen Interesses einbezog. Daraus den Alleinanspruch des Staates auf die Schule ableiten zu wollen, ist durchaus unberechtigt, denn aus der Aufgabe des Staates, sich um das Schulwesen zu sorgen, kann noch nicht gefolgert werden, daß ihm damit auch das ausschließliche Recht der Gestaltung und Einflußnahme zukomme. Im Begriff des Staates ist immer auch der des Staatsvolkes mitgedacht. Die Schule als Politikum konstituieren, schließt demnach auch ein, sie als eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses des Staatsvolkes anzuerkennen. Dies müßte in einem demokratischen Staat mehr als in einem absolutistischen zutreffen. Richtig und wesentlich ist, daß seit der Schulordnung von 1774 die Schule das Charakteristikum der Oeffentlichkeit nicht mehr verloren hat. Daraus empfing und empfängt sie immer wieder ihren Wert und ihre besonderen Aufgaben.

Es gibt demnach nur wenig Staatswesen, die nicht das Recht für sich in Anspruch nehmen, die Lehrpläne zu entwerfen und die Lehrbücher zu begutachten und zu approbieren. Sie erkennen die Staatsgültigkeit nur jenen Zeugnissen zu, die durch den Besuch solcher Schulen erworben wurden, die nach den von den staatlichen Experten entworfenen Lehrplänen geführt werden. Der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Schulen liegt also nicht auf der Ebene der Unterrichtsorganisation, sondern nur in dem Kriterium ihrer Erhaltung. Oeffentliche Schulen sind also solche, zu deren Erhaltung der Bund, das Land oder die Gemeinde die Kosten ganz oder teilweise beiträgt.

Mit der Oeffentlichkeit der Schulen ist die Stellung des Lehrers die eines öffentlich Angestellten, eines Beamten, geworden, an den der Schulerhalter seine Forderungen stellt. Damit tritt der Lehrer in das Blickfeld der öffentlichen Beurteilung, der er sich nie mehr ganz entziehen kann. Auch seine private Lebensgestaltung wird davon erfaßt. Von dem Augenblick an, da er als bestellter Lehrer seine Arbeit beginnt, kann er sich niemals mehr so verhalten oder benehmen, als ob er es nicht wäre. Vom Lehrer wird wie vom Priester oder Arzt eine bestimmte Art der Lebensführung erwartet. Je einfacher und natürlicher die Gemeinschaft ist, desto deutlicher ist ihre Vorstellung von dem, was man das Berufsethos des Lehrers zu nennen pflegt. Es liegt wesentlich etwas von „Vorbildsein" darinnen.

Vom Lehrer erwartet man nicht nur, daß er den Staat, der ihm das Brot gibt, bejaht, sondern man verlangt auch, daß er alle staatsbürgerlichen Tugenden in sich vorbildlich verkörpere. Ja noch mehr, man fordert von ihm, daß er diese Haltung auch auf seine Kinder zu übertragen imstande ist. Zu jeder Zeit ist es üblich gewesen, von der Jugend das Heil zu erwarten. Jeder Staat tut dies ebenso wie jede kirchliche oder politische Gemeinschaft. Und sie alle wollen die Dienste des Lehrers für sich in Anspruch nehmen. Nicht selten gerät dieser dadurch in schwierige Situationen, und nur Charakterfestigkeit, gepaart mit Klugheit, hilft ihm, sie zu meistern. Was jedoch die stille Arbeit der Schulmeister zum Aufbau und zur Festigung des Staatsbewußtseins besonders seit 1918 geleistet hat, ist noch in keinem Geschichtswerk aufgezeichnet worden, ist aber doch gerade in ihrer Selbstverständlichkeit der Würdigung wert. In ihrer Selbstverständlichkeit — daran liegt es! Der Lehrstand ist immer noch jener mit der größten Zahl von Idealisten, ja er kommt ohne diese gar nicht aus. Seine Angehörigen nehmen vielfache Lasten auf ihre Schultern, ohne sofort nach dem materiellen Gewinn zu fragen. Sie wissen, daß die Forderungen der Oeffentlichkeit vielfach unabdingbar sind, weil sie stets mit der Verantwortung der Jugend gegenüber belastet erscheinen.

Das Befähigungszeugnis zur Ausübung des Berufes allein genügt noch nicht, ständige Fortbildung wird dem Lehrer zur Pflicht gemacht, nicht so sehr um seiner selbst, als vielmehr um der Kinder willen, die ein Recht haben, am kulturellen Fortschritt teilzuhaben. Kenntnis des amtlichen Lehrplanes ist zuwenig, der Lehrer muß dessen Ziele auch mit den Kindern zu verwirklichen imstande sein, denn in diesem Belang tritt das Leben selbst als Richter auf. Der „gute Lehrer" ist nicht nur schlechtweg der, bei dem die Kinder etwas lernen, sondern es ist vor allem jener, der der kindlichen Eigenart wohl mit Verständnis begegnet, aber doch auch den objektiven Werten der Kultur Geltung zu verschaffen befähigt ist. Tatsächlich gibt es nur wenige Menschen, deren Erinnerungsbild uns auch noch im späten Alter so lebendig vor Augen steht wie das des guten oder schlechten Lehrers. Oftmals ist es eine Schicksalsfrage für den Menschen, welchem Lehrer er begegnet. Deshalb ist es auch eine Frage höchster Verantwortlichkeit, welche Ausbildung die Lehrer der Volksschulen erhalten sollen. Zum Lehrer wird man berufen und erzogen. Dies mag abgegriffen und romantisch klingen; Tatsache aber ist, daß gute Lehrer ihre Neigung zum Beruf meist schon früh erkannten und daß ihre Begeisterung nie erlahmt. Zum guten Lehrer gehört aber mehr als die Beherrschung einer gewissen Unterrichtstechnik, die in ihrem Wert natürlich keineswegs verkannt werden soll. Es gehört aber auch mehr dazu als bloß wissenschaftliche Bildung, die freilich wesentliche Voraussetzung ist und bleiben muß. Eine Fülle körperlicher und geistig-seelischer Eigenschaften muß vorhanden sein und in ruhiger Entwicklung zur Persönlichkeit des Lehrers ausreifen. Diese zu bilden und zu festigen, stets im Hinblick auf den künftigen Beruf, braucht Zeit und verständnisvolle Führung. Sie wird den Anwärtern auf den Beruf des Volksschullehrers in den Lehr- und Lehrerinnenbildungsanstalten zuteil. Diese Anstalten haben den ungeheuren Vorteil einer einheitlichen Zielrichtung auf den Beruf und bieten dem jungen Menschen außerdem die Möglichkeit, in ständigem Kontakt mit den Kindern zu leben. Der Umgang mit Menschen, vor allem mit den Kindern, ist ja das Lebenselement des künftigen Erziehers. Er kann nicht früh genug darin geübt werden, besonders deshalb, weil der Umgang mit Menschen trotz aller Hilfen der psychologischen Wissenschaften nicht aus Büchern erlernt werden kann.

Der Staat bedarf nicht nur des wissenschaftlich gebildeten, er braucht besonders den volksnahen, charaktervollen und von hohem Berufsethos erfüllten Lehrer.

Die Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten bieten die Gewähr, daß alle jene Voraussetzungen entwickelt werden, die das Volk und der Staat gerne an den Lehrern erfüllt sähen. Um diesen Aufgaben noch besser gerecht werden zu können, wäre es vorteilhaft, die Studienzeit wenigstens um ein Jahr zu verlängern und die Zöglinge zumindest eine kurze Zeit in Internaten zusammenzufassen. Dies könnte der Ausbildung einer ernsten Berufsauffassung wirklich förderlich sein. Man spricht in den Schulen heute viel von „pädagogischer Atmosphäre". Die Bildungsanstalten für Lehrer und Lehrerinnen gewinnen diese Atmosphäre durch das Ziel des gemeinsamen Berufswunsches ihrer Besucher. Es gibt nicht mehr viele Schulen mit solch fruchtbarer geistiger Geschlossenheit; man zerstöre sie nicht, sondern verbessere sie, wobei die Verbesserung nicht nur in einer Vertiefung der wissenschaftlichen Bildung auf gefaßt werden sollte.

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