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Die Würde des Lehrberufes

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Gewiß wäre das Verhältnis des Lehrers zur öffentlichen Meinung, vor allem zur Presse, eine eingehende Untersuchung wert. Die Flut von Zuschriften, die unser Gespräch über die Sorgen des Lehrers von heute hervorgerufen hat, würde da reiches Material ergeben. Uberraschend stark kommt in manchen Zeitschriften zum Ausdruck, daß der Lehrer oft nicht weiß, an wen er sich mit seinen Anliegen wenden soll. Und so flieht er eben in die Öffentlichkeit, die in diesem Fall durch die Presse repräsentiert ist. Wer aufmerksam die Leserbriefspalten der „Furche“ verfolgt, wird uns recht geben. Auch die Diskussion um die Gründe des Mangels an Junglehrern geht weiter. Ergänzten Dr. Karl JelusU („Die Furche“ 47/1964) und Dr. Franz Di-wisch („Die Furche“ 45/1964) die Ausführungen Dr. Anton Burghardts („Die Furche“ 50/1964) vor allem auf dem Gebiet der materiellen Lehrerversorgung, so bemüht sich Oberstudienrat Dr. Wilhelm Goigner, die Position des Lehrers in einer Welt des Umbruchs zu bestimmen. Die Diskussion, die — wie wir aus zahlreichen Zuschriften erfahren konnten — weite Zustimmung erfahren hat, wird auch in den nächsten Nummern weiter fortgesetzt.

Dies ist eine Verteidigung des ebenso schönen wie verantwortungsvollen, aber leider vielfach verkannten Lehrberufes: Beruf kommt von Berufung. Darin liegt sowohl der Zusammenhang mit Eignung, Befähigung und Neigung als auch die Beziehung auf etwas Höheres als das persönliche Wohlbefinden.

Beruf und Erwerb dürfen darum nie verwechselt werden.

Zum Lehrer muß man ähnlich wie zum Priester geboren sein. Beim Lehrer geht es um die Seele lebendiger, junger Menschen, beim Fleischhacker oder Kohlenträger nicht. Hier liegt der Unterschied zwischen Beruf und Erwerb.

Lehrer wird man aus innerem Drang, aus innerer Berufung oder man wird es besser nicht. Wer aus irgendwelchen anderen Gründen Lehrer würde, täte sich und seinen Schülern damit nichts Gutes.

Kennzeichen dieser inneren Berufung ist die Sorge um das Schicksal der Jugend, die Liebe zur Jugend, nicht nur zur Wissenschaft, oder doch zur Jugend vor allem, trotz aller ihrer Fehler.

Vorbedingung für den Lehrberuf ist unversiegbares Wohlwollen gegenüber der Jugend. Der Lehrberuf ist ein durchaus idealer Beruf und die Abkehr von ihm hat ihren Hauptgrund im Sinken des Idealismus in der heutigen Jugend.

Auch der Priesterberuf ist ja aus diesem Grund längst zu einem Mangelberuf geworden. Die Jugend von heute fragte nur selten und wenig nach dem stillen Glück, das in der Auswirkungsmöglichkeit für ihre Fähigkeiten und Talente liegt, sondern in erster Linie oder gar nur, nach den Berufen, bei denen man viel „anheben“ kann, wie der Fachausdruck heißt. Sehr trägt dazu auch die amerikanische Welle bei, denn dort heißt es: What is his Worth? Was verdient er?

Natürlich kann einer nicht Dorfschullehrer werden, der im stillen Dorf nicht die Zuflucht aus dem Trubel der Großstadt sieht, sondern nur Exil, Verbannung, so wie einer nicht Mönch werden kann, der im Kloster ein Gefängnis statt eine Zuflucht und eine Insel des inneren Friedens sieht.

Freilich darf niemand sich zum Lehrberuf zwingen oder auch nur drängen lassen. Jeder Zwang könnte böse Folgen haben! So dürfte niemand wagen, Lehrer zu werden, dem das Zusammensein mit der Jugend lästig, ja vielleicht wegen ihrer vielen Fehler eine Qual bedeutet, ebenso wenig einer, der an die Erfolgsmöglichkeit aller Erziehung nicht glauben kann. Wenn es auch Schüler gibt, die man wegen ihrer Gemeinheiten nur aus tiefster Seele verachten kann.

Falls einer nach bestandener Lehramtsprüfung sich der Privatwirtschaft zuwendet, ist das gut, wenn der Betreffende einsieht, daß er zum Lehrer nicht geschaffen ist. Wenn ein Berufener aber den Lehrberuf verläßt, ist das bös, aber es ist seine Sache. Nur muß er sich darüber klar sein, daß er an der Wertpyramide von der Spitze mit ihren sittlich-religiösen Werten zur Basis mit ihren bloß wirtschaftlichen Werten herabsteigt und daß er sich selbst um das Glück bringt, das in der Auswirkungsmöglichkeit seiner Fähigkeiten liegt. Auch werden in der Privatwirtschaft Herz und Nerven noch stärker verbraucht als im Lehrberuf. Aber dies alles ist seine Sache.

Wie die „Leute“ (was bedeutet schon das Urteil der „Leute ?) über den Lehrberuf denken, ist gänzlich uninteressant und vollkommen gleichgültig. Wichtig ist nur, was er in Wirklichkeit bedeutet! Und dazu ist folgendes zu sagen: Der Beruf eines Jugendbildners ist vor allem ein äußerst verantwortungsvoller Beruf, der Leib und Seele gerade in der Zeit der Entwicklung entscheidend beeinflußt und bildet. Ihm ist das Schicksal der Jugend, der Zukunft unseres Volkes, zum Gutteil anvertraut. Er hat die hohe Aufgabe, die Jugend zu tüchtigen und guten Menschen zu erziehen. Damit wird der Jugendbildner zum Jugendseelsorger und rückt dadurch ganz in die Nähe des priesterlichen Berufes. Und so hoch der Wert der Seele über allen materiellen Werten steht, steht auch der Jugendbildner und Jugendseelsorger über anderen Berufen, die nichts mit Seelsorge zu tun haben. Übrigens sind auch die vielen Religionslehrer sowohl Lehrer als auch Jugendseelsorger in uneingeschränktem Maße. Aber irgendwie haben alle Lehrer, besonders alle christlichen Lehrer, durch Charakterbildung an dieser hohen Aufgabe der Jugendseelsorge irgendwie Anteil.

Manche Menschen sehen von ihrem Beruf nur die Schattenseiten und vom anderen nur die Sonnseiten. Hier liegen zum Großteil die Ursachen für ihre Unzufriedenheit. Aber einen Beruf ohne Schattenseiten hat es nie gegeben, gibt es nicht und wird es auch nie geben.

Jeder Lehrer muß eine kraftvolle Persönlichkeit sein. Denn nach Pfliegler „lehren und unterrichten Persönlichkeiten nicht, sie packen und führen. Sie sind nicht Fachleute, sondern Meister.“ Nicht der bessere Fachmann ist der bessere Lehrer, sondern die stärkere Persönlichkeit. Und darum ist der berufene Lehrer der Lehrer aus Leidenschaft, der buon pastore seiner Schüler, ihr guter Hirt.

Ohne unausrottbares Wohlwollen gegenüber der Jugend trotz aller Enttäuschungen gibt es keine Berufung zum Lehrberuf. Ohne viel Verständnis für die Jugend, ohne sehr viel Verständnis für sie, sollte darum niemand Lehrer werden. Die Jugend spürt sehr wohl und sehr bald, wer aus tiefster Seele zu ihr steht und wem sie weiter nichts bedeutet als „Schülermaterial !

Ein Lehrer, der nur der Jugend lebt und dem die lebendigen Menschen mehr bedeuten als seine Fächer, kann für die Jugend alles bedeuten: Freund, Führer und Vorbild in allen Lebenslagen.

Der Schüler muß in jeder seelischen Not der unbedingten Hilfe des Lehrers sicher sein nach Försters schönem Wort: „Du weißt, ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“ Und so soll es auch sein. Für den, der die nötigen Voraussetzungen mitbringt, kann der Lehrberuf alles Glück in sich bergen, das nur ein Beruf geben kann: sei es das stille Lehrerglück, wie es Hans Sterneder in seinem „Bauernstudent“ so schön ausmalt, sei es das größere eines gottbegnadeten Jugendbildners, wie es Hermann Uetz in seinen Lebenserinnerungen schildert: immer ist es das Bauen an lebendigen Menschenseelen von der frühen Jugend an bis ^n die Schwelle der Reife.

Wahrlich ein Beruf, der auch den höchsten Anforderungen nach Wirksamkeit genügen und reinstes Glück zu vermitteln vermag.

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