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Sorge um den Lehrernachwuchs

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Das ist neu, daß auch der Lehrernachwuchs zu einer Sorge geworden ist. Man sprach bis vor kurzem nur von der Gefahr der Überfüllung auch im Lehrerstand. Tatsächlich hat seit 1945 der Zustrom wenigstens zu den männlichen Lehrerbildungsanstalten stetig abgeebbt. Während in den Vorkriegsjahren die Zahl der Andrängenden die Zahl der Aufzunehmenden um ein Mehrfaches übertraf, haben sich letztes Jahr in Wien auch an den staatlicher. Anstalten nur so viele Bewerber zur Ausleseprüfung gemeldet, daß die ersten Jahrgänge nur mit Unterbesetzung anlaufen konnten. Bedenkt man, daß während der Ausbildungszeit noch eine Anzahl Zöglinge ausscheidet, so wird nur ein knappes Halbhundert das Endziel der Reifeprüfung erreichen: Nimmt, man die beiden katholischen Lehrerseminare (Wien- Strebersdorf und Wien XVIII) hinzu, so steigt die Zahl auf 80 bis 90, wobei aber zu berücksichtigen ist, daß die Zöglinge dieser beiden letzteren Anstalten zum Großteil vom Lande kommen und aufs Land zurückkehren, also für eine Verwendung in Wien nicht in Betradit kommen. Bei gleichbleibenden Verhältnissen hätten wir also jährlich für Wien nur einen Zuwachs von höchstens 70 männlichen Lehrkräften zu gewärtigen. Nach den letzten Nachrichten ist dieses Jahr selbst bei den Anmeldungen für die Lehrerinnenbildungsanstalten wieder ein merklicher Rückgang eingetreten. ...

Manche Schwarzseher, die unter dem Alpdruck der drohenden Überfüliung lebten, werden bei der Kenntnisnahme dieser Feststellungen erleichtert aufatmen. Doch muß man sich fragen, ob diese „mageren Jahrgänge“ wirklich für unsere Zukunft ein erfreulicher Zustand oder nicht vielmehr ein Grund zur Besorgnis für den Weiterschauenden sind. Je geringer der Andrang zu den Pforten unserer Lehrerbildungsstätten, desto geringer ist die Auslesemöglichkeit. Und wenn irgendwo, so ist hier eine kundige und gewissenhafte Auslese eine Forderung des Gemeinwohles.

Besonders bedenklich erscheint diese plötzliche Abnahme der Lehramtsbewerber, wenn man ihre Ursachen klarzustellen sucht. Ihre vornehmlichste liegt sicher im Seelischen. In nichts anderem kündet sich so deutlich der innere Strukturwandel einer Generation an als in den Dauerzielen, die sie anstrebt. Das wichtigste und umfassendste Dauerziel im Diesseitigen ist der Beruf. Die Berufswahl als die Ausrichtung des Gesamtwollcns auf eine Daueraufgabe läßt mit ziemlicher Eindeutigkeit auf die im Volke und bei den einzelnen geltende Wertrangordnung schließen. Nun ist der Beruf eines Volksschullehrers ein ausgesprochener idealer Beruf, ist Dienst am höchsten irdischen Volksgut, an der Jugend. Er setzt mehr Selbstlosigkeit und Opfergeist voraus als die meisten anderen menschlichen Laufbahnen. Hier steht nicht vor allem der Gewinn im Vordergrund, sondern ein Höheres, ein Geistiges, die kindliche Seelenwelt und ihre Gestaltung. Wenn sich nun die jungen Menschen im Entscheidungsalter von einem solchen Hochziel nicht mehr angezogen fühlen, so verrät das ein seelisches Abgleiten, ein Blindsein für die höhere Wertewelt. Wenn es in der Jugend so steht, daß viele fragen: Wo verdiene ich am schnellsten und am meisten, wo verschaffe ich mir am billigsten den Schlüssel für das Reich des Genusses, das Geld, so verspricht allerdings der Lehrberuf nicht allzuviel des Verlangten und scheidet für die Frager bei der Wahl aus.

So manches andere hat sicher noch die Unlust zum Lehrberuf mitverschuldet. So vor allem der Mißbrauch der Lehrpersonen durch die Machthaber, die dauernde Gewissensvergewaltigung, unter der die Volkserzieher mehr als andere zu leiden hatten. Die Furcht, bei einem neuen Umschwung wieder überall als Vorspann dienen zu müssen. Schuld ist sicher audi die unsachgemäße Erörterung der Fragwürdigkeit des heutigen Volksschullehrerdaseins, die übertriebene Kritik an dem Bestehenden. Hier haben so manche Standesgenossen gesündigt. Hieher gehört auch die Angst vor der Überfüllung und die Übersteigerung der Gefahr jahrelanger Stellenlosigkeit. Vielleicht haben nach der Richtung die amtlichen und die nichtamtlichen Berufsberater ihre Arbeit zu gründlich getan, indem sie vor dem Lehrberuf ab etwas ganz Aussichtslosem zu unterschiedslos gewarnt haben. Ob unsere Berufsberatungsstellen überhaupt die Hoffnung rechtfertigen, die man auf sie gesetzt hat, steht dahin und bedürfte einer Überprüfung. Sind da immer die nötigen Erfordernisse erfüllt: Sachkenntnis, vor allem aus eigener Erfahrung gewonnen, Sachlichkeit und vor allem Wohlwollen und Einfühlungsgabe? Die Berufsberatung ist doch eine der heikelsten Aufgaben. Wenn die-Berufsberatungsstellen nicht mit ersten Fachleuten und guten Menschenkennern und Jugendfreunden besetzt werden können, so stiften sie unter Umständen mehr Schaden als Nutzen. Am schlimmsten wäre es, wenn diese Stellen nur getarnter politischer Weichenste I- lung dienten. Wir nehmen an, daß mancher fähige Anwärter durch Fehlberatung vom Lehrberuf abgedrängt wurde.

Es ist auch kaum daran zu zweifeln, daß die Steigerung der Anforderungen und das fortwährende Gerede vOm weiteren H i n- aufsch rauben der Zulassungs- Bedingungen dämpfend auf die Lust zum Lehrerwerden einwirkt. So wünschenswert es auch an sich erscheint, daß die Bildung des amtlichen Volksbildners möglichst gehöht und geweitet werde, so darf man doch nicht übersehen, daß diese Forderung nur eingelöst werden kann durch Gegenforderungen, die an den Kandidaten gestellt werden: verlängertes und mit noch größeren Kosten verbundenes Studium. Der junge Mann und seine Eltern überlegen: um diese Mühe und Um diesen Aufwand komme ich anderswo weiter. Und wenn schon die Ausbildung des Volksschullehrers sich kaum mehr von dem des Vollakademikers unterscheidet, warum dann nicht zu den Höhen des Vollakademikers aufsteigen? Man hat es ja anderwärts erlebt, daß die Verhochschulung der Lehrerbildung und die allzu große Verlängerung der Studienzeit fast zur Entvölkerung des V o 1 k s s c h u 11 e h r e r t u ms geführt hat. Das mögen alle jene bedenken, die heute so leidenschaftlich, ohne Rücksicht auf die wirklichen Sachverhalte und Bedingtheiten, nach einer radikalen Umgestaltung der Lehrerbildung rufen. Es hat alles seine zwei Seiten.

Selbstverständlich darf auch das Gegenteil nidrt eintreten. Der Lehrerberuf sollte unter keinen Umständen ein Verlegenheitsberuf werden. Wir dürfen deshalb das Lehrerwerden nicht dem Zufall überlassen, sondern müssen es zum Gegenstand einer umsichtigen Werbung, einer gewissenhaften Auslese und einer liebenden Pflege machen. Die Weckung der Lehrerberufe 1st vor allem Sache des Lehrerstandes. Die Vertreter eines jeden Standes werben am wirksamsten für oder wider ihren Beruf. Die Eltern, vor allem christliche Eltern, müßten es als eine Auszeichnung betrachten, wenn sie in ihrem Kinde die Berufung zu jenem Stande entdecken, der in unserer religiösen Wertordnung nach dem Priesterstand der hehrste und wichtigste ist. Jeder Geistlidie müßte wissen, daß sein bester Mitarbeiter der Lehrer werden kann. Der Pfarrer soll jedes Jahr wenigstens einmal vor der gesamten Gemeinde und öfter in den Jugendgruppen über die Berufswahl sprechen und dabei neben dem geistlichen Beruf besonders den Lehrberuf hervorheben. Auch müßte der Seelsorger ein waches Auge haben, um schon frühzeitig die Berufskeime zu entdecken und sie besonders zu pflegen.

Wenn wir die Frage des schwindenden männlichen Lehrernachwuchses in den Blickpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, so ist es deswegen, weil diese Frage das ganze Volk angeht wie kaum eine andere. Welcher Alarm ginge durch alle Volksschichten, wenn die Gefahr drohte, daß wir in absehbarer Zeit nicht genügend fachtüchtige Ärzte zur Verfügung hätten! Der Lehrerstand ist nicht minder wichtig als der des Heilpflegers. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die geistige und sittliche Tüchtigkeit der Lehrerschaft schicksalgestaltend auf die Geschichte der Völker eingewirkt hat. Ein jeder Mann im Staate bekommt es schließlich zu verspüren, welche Erziehung die Jugend genießt. Und einem jeden geht es dauernd nach, in welche Schule er gegangen ist. So haben alle ein lebendiges Interesse daran, daß nur die Besten und Tüchtigsten zum so verantwortungsvollen Amt de9 Volksbildners berufen werden. Der Lehrernachwuchs muß also eine ernste Sorge aller werden; der Behörden, der Eltern, der Seelsorger, der Berufsberater und last not least der amtenden Lehrer selber.

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