6543932-1947_04_05.jpg
Digital In Arbeit

Um die Lehrerbildung

Werbung
Werbung
Werbung

Der Erfolg jeder Erziehungs. und Unterrichtsreform hängt in erster Linie davon ab, ob es gelingt, die Ausbildung des Lehrernachwuchses erfolgreich zu gestalten. Denn das beste Schulgesetz und Erziehungsprogramm wird vergeblich sein, wenn nicht geeignet“ Lehrer vorhanden sind, die den Buchstaben mit der geistigen Kraft und dem sittlichen Ernst ihrer Persönlichkeit zu durchdringen und zu beleben vermögen. Wer immer also sich mit Bildungsfragen beschäftigt, wird nicht umhin können, sein besonderes Augenmerk der Lehrerbildung zuzuwenden. Diesem Problem sollen im folgenden einige Uber-legungen gewidmet werden, die auf die Pflichtschullehrerschaft beschränkt bleiben sollen. Damit steht dann vor allem die Lehrerbildungsanstalt im Mittelpunkt der Überlegung.

Man kann ohne Übertreibung sagen, daß die heutige Lehrerbildungsanstalt ein pädagogisches Kuriosum darstellt. Wir sehen ab von der — zeitbedingten — Serienherstellung von Lehrern in verschiedenen Abschluß- und Umschulungskursen, die, so gut sie gemeint sein mögen, auf weitere Sicht geradezu katastrophale Auswirkungen haben müssen und sich, wenn überhaupt, nur mit einem sehr weiten Gewissen verantworten lassen. Von diesen anscheinend unvermeidbaren Begleiterscheinungen krisenhafter Zeiten sehen wir also hier ab und bezeichnen als Kuriosum den ganz ordnungsgemäßen Bildungsgang, der heute den angehenden Lehrer in ein buntes Gewirr von Lehrfächern und Lehrstoffen im Ausmaße bis zu zehn Unterrichtsstunden pro Tag hineinstößt und ihn in fünf Jahren schlecht-rechten

Fortwursteins ohne klare religiös-sittliche Zielsetzungen zu einer sehr anzweifelbaren „Reife“ gelangen läßt. •

Woher stammen die schweren Mängel unserer Lehrerbildungsanstalten? Sie liegen, wie uns scheint, in zwei fundamentalen Irrtümern. Der erste Irrtum bezieht sich auf die Frage des Lehrgutes. Immer wieder sind Versuche unternommen worden, die Lehrerbildungsanstalt a&s „ebenbürtige“ Mittelschule so zu gestalten, daß ihr Abschlußzeugnis zum Besuche der Hochschulen berechtige. Nun ist aber die Lehrerbildungsanstalt ihrer spezifischen Aufgabe gemäß ohne Zweifel eine berufsbildende Schule und kann es sich nicht leisten, um die Breite der Wissens* gebiete willen die fachliche Vertiefung zu verabsäumen. Gewiß bedarf der Lehrer angesichts einer besonderen Stellung in der Öffentlichkeit als Berater in so manchen Fragen des praktischen Lebens, wobei wir vor allem an den Landlehrer denken, einer ausreichenden Allgemeinbildung. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß die Lehrfächer der Lehrerbildungsanstalt mit der wissenschaftlichen Fülle der Mittelschulle wetteifern sollen, ja man wird sich aus den oben dargelegten Gründen hüten müssen, hier einem falsdien Ehrgeiz zum Opfer zu fallen. Auch an den Mittelschulen wird es ja empfehlenswert sein, mit dem Gedanken sich zu befreunden, daß nicht alle Reifezeugnisse die Berechtigung zum Besuche der Hochschulen aus-

sprechen müssen, sondern, gemäß der Leistungsqualität, an die Verleihung von Reifezeugnissen mit „allgemeiner Reife“ (etwa für den gehobenen Staatsdienst) und solcher mit „Hochschulreife“ zu denken. In diesem Falle wäre dann wohl auch jeder Einwand hinfällig, der etwa hochwertige Anstalten, weil sie nicht zur Hochschule führen, zu „zweitklassigen“ abstempeln möchte.

Der zweite Fehler stammt aus der sogenannten „liberalen Ära“ und ist in Zeiten, in denen Parteipolitik mit Kulturkampf identifiziert wurde, gewissermaßen mit Begeisterung vergrößert worden: es ist die Idee der „freien“ ethischen Erziehung. Nun hat sowohl die jüngere als auch die fernere Vergangenheit deutlich bewiesen, daß diese „freie“ Erziehung, die in Wirklichkeit an Stelle unerschütterlicher religiöser Grundwahrheiten vom Fanatismus sehr wandelbarer und vergänglicher politischer Parteiprogramme bestimmt war, keineswegs die Eignung besaß, den Menschen wahrhafter Humanität auch nur um einen Schritt näher zu bringen. Daran hat auch eine gelegentliche philosophische Untermauerung nichts zu bessern vermocht. Indem die „freie“ Erziehung die Freiheit von etwas zum Richtpunkt ihres Strebens machte, anstatt die Freiheit z u etwas dem jungen Menschen und angehenden Lehrer und Erzieher zu eröffnen, hat sie diesen um eine Reihe von inneren Bindungen gebracht, die nun einmal notwendig sind, um ein sittliches Gefüge von Dauer aufzubauen. Daß innerhalb der Lehrerschaft die freilich schwere Versuchung in den Jahren leidenschaftlich bewegter Politik ein so erschreckend hohes Maß charakterlicher Minderwertigkeit an den Tag gebracht hat, die ihr heute von der Jugend vorgehalten wird, ist das Hauptverdienst jener „freien“ Erziehung.

Eine Reform der Lehrerbildungsanstalten müßte also, wie auch diese Beobachtung lehrt, zunächst von dem einleuchtenden Gedanken ausgehen, daß es hier darum geht, Lehrer für ihren besonderen Beruf vorzubereiten, nicht aber nachschulpflichtigen Jugendlichen für alle Eventualitäten einen Weg zur Hochschule oder die forma' Grundlage eines Beschäftigungsausweises zu sichern. Demgemäß werden sich die Lehrfächer um drei Interessengebiete zu gruppieren haben: 1. Pädagogik, 2. Heimatkunde, 3. künstlerisch-technische Ausbildung.

Die PädagQgik hat dem Zögling einen Einblick in die Geschichte der Erziehung und in ihre wichtigsten Systeme zu vermitteln, ferner eine ausreichende Kenntnis der Jugendpsychologie einschließlich Heilpädagogik. Viel wichtiger aber als das theoretische Wissen ist die praktische Einführung in die Lehrtätigkeit, wozu vor allem auch die Anleitung zu peinlicher Gewissenhaftigkeit in der Vorbereitung und auch gewisse „äußerliche Kleinigkeiten“ gehören, wie zum Beispiel die Sauberkeit der Schrift, die Gepflegtheit der Sprache,

die körperliche Reinlichkeit, die Nettigkeit der Kleidung usw., die auch zur erzieherischen Vorbildlichkeit nötig sind.

Auch in der Heimatkunde kommt es vor allem auf dos Praktische an. Nicht Literaturwissenschaft im Deutschunterricht, sondern Pflege des bodenständigen Schrifttums auf dem Hintergrunde der „großen“ Beziehungen. Nicht „Weltgeschichte“, sondern Geschichte der Heimat im Rahmen der allgemeinen Beziehungen, mit besonderer Beachtung kultureller und sozialer Entwicklungen. Nicht Geographie als verwirrende Fülle von Ländern, Flüssen, Bergen, Produktionsziffern, sondern Einführung in die heimatlichen Landschaften, in ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Gegebenheiten und Probleme und von hier aus die Beziehung auf das „große Ganze“. In der Naturgeschichte liebevolle Beschäftigung mit der heimatlichen Fiora und Fauna bei einem Mindestmaß an gelehrten Klassifikationen und Ordnungssystemen. D -i s ist das Thema der Lehrer-bildungsanst:.ic. Ein gleiches gilt selbstver-

ständlich auch von der Mathematik, Physik und Chemie. Auch hier ist jedes wissenschaftliche Übermaß zugunsten des Prak. tischen und Handgreiflichen abzulehnen.

Ein besonderes Problem ■ stellen che Fremdsprachen dar. Hier hat die Un-entschlossenheit der Lehrplangestalter zeitweise zu geradezu grotesken Erscheinungen geführt. Als keineswegs geringstes unter den Kulturvölkern sind wir Österreicher uns des kulturellen Wertes unserer Nachbarn und anderer Nationen, in erster Linie natürlich auch der Besatzungsmächte, wohl bewußt. Das Französische und Englische ist in Österreich sek Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten Gemeingut breiter Kreise der Bevölkerung. Seit jeher ist Wien eine erstrangige Pflegestätte der Slavistik, insbesondere des Stu-Miums der Balkansprachen. Alles das darf aber nicht dazu verführen, nun gleich drei moderne Fremdsprachen an unseren Lehrerbildungsanstalten zu lehren, wobei womöglich jede schon im ersten Jahrgang beginnen soll.

Die grundständige Fremdsprache kann, wenn man die Sachlage objektiv betrachtet, nur das Lateinische sein. Freilich fallen auch hier die Ziele der Mittelschule weg. Der Lateinunterricht stellt erstens eine wesentliche Ergänzung und fühlbare Entlastung des Unterrichtes in der deutschen Gramma-. tik dar. Er ist ferner infolge der besonderen Struktur der lateinischen Sprache und seiner Eigenart als streng theoretischer Unterricht die beste Schulung exakten Denkens und sauberen Schließens, er ist auch ohne Zweifel das bewährteste S t i 1 b i 1-dungsmittel. Darüber hinaus bedeutet infolge der Zugehörigkeit unserer Heimat zum lateinischen Kulturkreis (als ehemaliges römisches Provinzialland, später als glanzvolle Pflegestätte des Humanismus und des Barock) die Kenntnis der lateinischen Spradie und der römischen Kultur einen integrierenden Bestandteil jeder gehobenen Allgemeinbildung. Schließlich kommt der Lehrer auch im praktischen Berufsleben, etwa bei der Besprechung von Fremdwörtern, beim Erklären einer Inschrift anläßlich eines Lehrausganges, bei Beschäftigung mit Taufscheinen, njeht zuletzt als Leiter eines Gesangvereines oder eines Kirchenchores dazu, diese Kenntnisse im Dienst der Heimatkunde und wertvoller Kulturarbeit zu erproben.

Moderne Fremdsprachen bieten selbstverständlich wesentliche Bereicherungen der Persönlichkeit, sie sind jedoch keine Kon-stituanten unseres Bildungsgutes und lassen sich im Rahmen eines relativ-obligaten Wahlfaches der Schule, letzten Endes wie die Erfahrung lehrt, auch in Abendkursen für Erwachsene lernen.

Eine besondere Bedeutung kommt in der Lehrerbildung der Pflege des Zeichnens und der Musik, bei den Mädchen auch der Handarbeit zu. Ein Lehrer an der

Volksschule, der nicht imstande ist, ein gefälliges Tafelbild zu entwerfen, den Kindern im Erlernen der Elemente des Zeichnens nach der Natur an die Hand zu gehen oder gar ein einfaches Lied richtig vorzusingen, ist einfach undenkbar. Dazu kommt, daß der Lehrer — wir denken hier wieder besonders an ländliche Verhältnisse — einen guten Geschmack für die Einrichtung von Schulfeiern, Dorfabenden und sonstigen geselligen Veranstaltungen haben soll, daß er in Sachen der Volkskunst, Tracht und allgemeinen Dorfkultur bewandert sein muß, alles Dinge, die in den Rahmen der sogenannten künstlerisch-technischen Fächer gehören. Wir wollen hier nicht übersehen, welche überragende kulturelle Bedeutung der Pflege guter Kirchenmusik zukommt, die seit altersher in bewährter Tradition eine Domäne des Lehrerstandes ist.

Wir sehen, wie sich ganz von selbst eine zweckmäßige Gruppierung und Begrenzung der Lehrfächer ergibt, wenn nur im Grundsätzlichen Klarheit herrscht. Diese Klarheit im Grundsätzlichen ist zehnmalmehrwert, als gewisses wich-tigmiendes Geschwätz von Konzentration und Querverbindungen, deren beider Notwendig-

keit gar mcht in Frage steht. Trotzdem wird die ideale Form auch dann nicht gefunden werden, wenn nicht der gesamte Unterricht obersten ethischen Zielen dienstbar gemacht wird. Denn Wissen wird erst dann zur Bildung, wenn es durch bestimmte sittliche Kräfte zu einer konkreten Weltanschauung geformt wird. Diese sittlichen Kräfte ergeben sich nicht aus den Gesetzen der Materie. Sie sind also weder aus der Naturwissenschaft noch aus Normen auf materiellen Voraussetzungen aufgebauter Staats- und Gesellschaftsordnungen zu beziehen. Um giut zu sein, bedarf der Mensch nicht allein der Einsicht seiner Vernunft, sondern auch der Gnade Gottes. Und um Gott zu erkennen, genügt dem Menschen nicht ein Wahrscheinlichkeitssystem philosophischer Überlegungen, vielmehr Hegt die letzte Erkenntnis Gottes im Glauben an seine Existenz. Dieser Glaube an Gott ist uns in einer überzeitlichen Form durch die Offenbarung des Christentums aus dem sehnsüchtigen Mythos der Antike zum wirklich-keitserfüllten Mysterium aller Zeiten nach Christus geworden. Lehrerbildung ohne Christentum ist ein noch größeres Kuriosum als Lehrerbildung auf enzyklopädischer Basis.

Damit kommen wir zur letzten Erwägung. Lehrer werden und Lehrer sein heißt fortgesetzte harte Arbeit an sich selbst. In den heutigen konzentrationsfeindlichen Zeiten erhebt sich die

Frage, ob dieses Arbeiten an sich selbst für einen Jugendlichen im Rahmen sehr vieler Familien überhaupt möglich ist. Schwere soziale Nöte und nicht minder schwere materielle Sorgen lassen den Kampf ums tägliche Brot und ein festes Dadi zum Mittelpunkt des Tages werden. Auch in geordneten Zeiten aber ist es geraten, die Lehrerbildung besonders zu behüten. Vielleicht wäre es folglich nicht unzweckmäßig, sie im Rahmen von Internaten durchzuführen. Auch hier wird ein objektiver Beurteiler der Tatsachen die guten Erfahrungen nicht in Abrede stellen, welche die Schulbehörden mit den Absolventen solcher Internate gemacht haben.

Das Problem der Lehrerbildung ist, wie wir eingangs gesagt haben, ein wesentliches Problem der Schulreform, vielleicht ist es sogar das Problem schlechthin. Wir wollen darum mit um so größerem Nachdruck und Ernst einen Appell an alle richten, die für die Neugestaltung der österreichischen Schule zuletzt als verantwortlich zeichnen werden: „Laßt euch bei euren Plänen nicht von billigen Phrasen der Parteipolitik und auch nicht von persönlicher Streberei oder Angst leiten. Objektive Erkenntnis sei der Ausgangspunkt, das Wohl unserer Kinder einzige Richtschnur aller Reform!“ Denn: „Das Fundament einer guten Schule ist das gleiche mit dem Fundament alles Menschen^rlücks und nichts anderes als wahre Weisheit des Lebens.“ (Pestalozzi).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung