6599824-1953_30_10.jpg
Digital In Arbeit

Die Frauenoberschule

Werbung
Werbung
Werbung

Man mag der Meinung sein, daß die eine oder andere Mittelschultype oder sogar das ganze österreichische Mittelschulwesen einer Reform bedürfe, man mag aber auch mit dem gegenwärtigen Zustand zufrieden sein. Darüber jedoch, daß die Voraussetzungen für eine wirkliche Reform noch nicht erfüllt sind, daß vor allem die Probleme, um die es sich hierbei handeln könnte, noch lange nicht voll ausgereift sind, kann es nur eine einmütige Auffassung geben. In dieser Feststellung wird wohl auch der Grund dafür zu suchen sein, daß das Bundesmihisterium für Unterricht sich gegenwärtig mit einer Reform, einer einzelnen oder gar aller Mittelschulformen nicht befaßt. Wenn daher in dem eingangs genannten Artikel oder anderswo davon die Rede ist, daß seitens des Bundesministeriums für Unterricht eine Lehrplanreform des Mittelschulwesens beabsichtigt sei, so wird man darin nicht mehr als Gerüchte erblicken müssen, die irl die Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft Unruhe tragen können.

Möglicherweise sind diese Gerüchte auf eine Mißdeutung der vom Bundesministerium für Unterricht in Aussicht genommenen Neuauflage der seit längerer Zeit vergriffenen Provisorischen Lehrpläne zurückzuführen. Es ist jedem Mittelschullehrer hinlänglich bekannt, daß diese Lehrpläne seit ihrem Erscheinen mannigfache Abänderungen erfahren haben, die bei einer Neuauflage selbstredend berücksichtigt werden müssen, und es ist weiterhin jedem Mittelschullehrer bewußt geworden, daß diesen Lehrplänen durch die Eile, mit der *ie ausgearbeitet werden mußten, gewisse kleine Unzulänglichkeiten anhaften, die bei einer Neuherausgabe vermieden werden müssen.

Es besteht also kein Grund, zu glauben, daß den Mädchen nicht auch weiterhin alle Mittelschultypen zugänglich seien. Freilich wäre es wünschenswert, wenn diese nach der speziellen Begabung der Studierenden besucht würden. Differenzierte Begabung ist aber keineswegs nur im Graduellen, sondern auch im Spezifischen zu suchen, und gerade diese zu fördern, ist Aufgabe der allgemeinbildenden Mittelschule und ein wesentlicher Grund für das Bestehen verschiedener Typen. „Größere Rücksichtnahme auf die Eigenart der jugendlichen Seele überhaupt und in den verschiedenen Entwicklungsperioden der achtjährigen Mittelschule auf die eigenpersönliche (individuelle) Artung der einzelnen Schüler im besonderen“ waren Gedankengänge, die den Mittelschultypen und Lehrplänen des Mittelschulgesetzes von 1927 zugrunde lagen. Es wäre heute eine schwere Verirrung, sie für die Mädchenbildung außer acht zu lassen. Es kommt in unserer Zeit, zu deren wesentlichsten Merkmalen die Aktivität der Frau in so gut wie allen Bereichen des öffentlichen Lebens zählt, in entscheidender Weise darauf an, daß die Einseitigkeit unserer Kultur nicht ■ durch bloße Vermehrung der in ihr wirken-

* Siehe „Mädchenbildung, aber wie?“, „Die Presse“ vom 28. Juni 1953.

den Kräfte noch weiter getrieben wird, sondern daß aus einer sinnvollen Verschmelzung der männlichen und weiblichen Anschauungsund Wirkungsweise eine wahrhaft menschliche Kultur, ein neuer, sozialer Humanismus sich'entfaltet. Die Frau für diese Aufgaben heranzubilden, ist letztliclicr Sinn der Mädchenbildung, und mit Stolz kann es das österreichische Bildungswesen für sich in Anspruch nehmen, diesem Ziele mit der Gründung der Frauenoberschule bereits vor mehr als drei Jahrzehnten zugestrebt zu haben.

Die Fraucnoberschule ist eine allgemeinbildende Mittelschulform wie jede andere. Und so wie das humanistische Gymnasium das Studium der antiken Kulturwelt oder wie die Realschule die mathematisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen in den innersten Kreis der Bildungsarbeit einbezogen haben, so die Frauenoberschule den spezifisch fraulichen Lebensbereich. Und ebensowenig wie die beiden erstgenannten Typen es versucht haben, ihre Aufgabe durch ein bloß zusätzliches Studium der klassischen Sprachen bzw. der realistischen Wissensgebiete zu lösen, so wenig hat es die Frauenoberschule durch eine additive Vermehrung des allgemeinen Bildungsgutes durch hauswirtschaftliche Fächer versucht. Ihre Bildungsidee liegt klar und eindeutig in der „Verknüpfung des wissenschaftlich begründeten neuzeitlich-europäischen Weltbildes mit dem Gedanken des persönlichen Dienstes am Mitmenschen, wie er einerseits in der naturgegebenen Mütterlichkeit alles Frauentums wurzelt, anderseits aus der Stellung der Frau im Familienleben hervorgeht“. Damit hat der Lehrplan von 1926 eine logische und sauber herausgearbeitete Begründung erhalten, und es muß bedauert werden, daß die Verfasserin des eingangs genannten Artikels gegen die Frauenoberschule einen logisch allzuwenig begründeten Vorwurf erhoben hat, wobei sie in ihrem Angriff gegen eine vermeintlich falsche Mädchenbildung selbst dem Fehler unterlag, dem Temperament auf Kosten der Sachlichkeit zu viel Raum zugemessen zu haben.

Niemandem fällt es ein, die Bildungsleistung des Gymnasiums niedriger einzu-

schätzen als die der Realschule, weil das Gymnasium weniger Mathematik, Physik und Chemie betreibt als die Realschule; oder die Bildungsleistung der Realschule geringer zu bewerten, weil sie auf die Vermittlung der klas sisehen Fremdsprachen verzichtet, denn jede dieser beiden Mittelschultypcn hat für Wissensgebiete, die es seinem spezifischen Bildungsziele gemäß minder einläßlich oder gar nicht pflegt, durch die stärkere Betonung oder die Neuaufnahme anderer Fächer vollwertigen Ersatz geschaffen. Es kann somit auch der Fraucnoberschule nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie wie das Gymnasium realistische Fächer in reduziertem Maße pflegt oder wie die Realschule keine klassische Fremdsprache lehrt. Denn auch sie hat dafür eine Reihe anderer Gegenstände erweitert oder in den Lehrplan neu aufgenommen. Und diese Fächer sind — was mit allem Nachdruck festgestellt werden muß — teils wissenschaftliche Fächer, teils auf die in wissenschaftlichen und auch musischen Fächern erworbenen theoretischen Kenntnisse und Einsichten aufbauende oder sie auswertende Pflichtpraktika.

Hieraus folgert — und auch dies kann angesichts so mancher nur oberflächlicher Kenntnis des Lehrplans der Fraucnoberschule und einschlägiger Literatur nicht deutlich genug herausgestellt werden —, daß der Unterschied zwischen dem Bildungsprogramm der Frauenoberschule und der anderen Typen keinesfalls im Graduellen liegt. Es war auch von den Gründern der Frauenoberschule nicht beabsichtigt, den Mädchen eine „leichte“ Type zu schaffen, etwa im Sinne des B-Zugcs der Hauptschule oder einer höheren Töchterschule, die jenen Mädchen eine sogenannte höhere Bildung vermitteln soll, die dem exakt kritischen Bildungsgang anderer Mittelschul-formen nicht gewachsen sind. Es galt ebensowenig, eine hauswirtschafthehe Berufsschule von Mittclschulrang zu schaffen. Und wenn P. Schlodtmann 1907 den Flauen auf dem Kongreß zu Kassel zurieft „Werdet Vorbilder, statt NachäfTer zu sein!“, so hat die Frauenemanzipation, die darauf bedacht ist, Frauen heranzubilden, die im öffentlichen Leben gleichwertig an die Seite des Mannes zu treten, nicht aber diesen als Vorbild zu kopieren, in der Schöpfung der Frauenoberschule einen dankenswerten Erfolg erzielt. Die Frauenoberschule begnügt sich nicht damit, durch die „Art des Unterrichts“ und einige kleine Modifikationen des Lehrplans eine männliche Mittelschultype für die Mädchenbildung irgendwie brauchbar zu machen. Sie ist vielmehr a priori eine Mädchenbildungsanstalt, d. h. in ihrem Bildungsprogramm bilden Lehr- und Erziehungsplan primär und. originär ein harmonisches Ganzes.

Religion, Deutsch, eine lebende Fremdsprache, Geschichte, Geographie, Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte, Musik, Kunstpflegc, Handarbeit und Leibesübungen sind die wichtigsten Gegenstände, die die Frauenoberschule mit den anderen Typen ge-•meinsam hat. Dies schließt nicht aus, daß alle diese Fächer weitestgehend dem spezifischen Bildungsziel der Frauenoberschule untergeordnet sind und einige von ihnen gegenüber der einen oder anderen der sonstigen Typen stofflich ein Mehr oder Weniger aufweisen. Daß an Stelle des Lateinischen ab der fünften Klasse eine zweite lebende Fremdsprache gelehrt wird, wurde bereits angedeutet. Alle anderen an der Frauenoberschule gelehrten Gegenstände einschließlich der musischen Fächer sind Gegenstände der Frauenbildung im engeren Sinne. Ihre gemeinsame Aufgabe ist es, den Schülerinnen auf der Basis der Allgemeinbildung jene Kenntnisse, Einsichten und Fertigkeiten zu vermitteln, die für eine zweckvolle materielle Betreuung der Familie und des Haushalts notwendig sind, und die die Schülerinnen zu einem vertieften Verstehen des Sinnes und Zweckes sowie der ethischen Grundlage der Familie und darüber hinaus der größeren Gemeinschaften, wie Gemeinde, Staat und Staatenverband, führen und vor allem in der Schülerin die Grundhaltung zu dem Pflichtenkreis schaffen, der der Frau und Mutter in Familie und öffentlichem Leben erwächst.

Den bedeutsamsten Platz unter diesen Fächern nimmt zweifelsohne die Psychologie und Erziehungslehre und im engsten Zusammenhang damit die Kinderpflege und Fürsorge ein, zumal sie durch die unausgesetzte Beschäftigung mit dem Kinde und dem Jugendlichen für die Wissens- und Charakterbildung der Frau von außerordentlicher Bedeutung sind. Wieviel Wege werden heute gesucht, den Mangel gerade dieses so unentbehrlichen Bildungsgutes durch Elternschule und ähnliches auszugleichen! Es ist naheliegend, daß der Lehrplan nicht bei einer theoretischen Wissensvermittlung stehenbleiben konnte wnd diese durch Praktika im Kindergarten und Säuglingsheim und durch verschiedene Exkursionen ergänzte. Langjährige Erfahrungen

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung