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Die Neugestaltung der österreichischen Lehrerbildung

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Die bevorstehende Regelung der Lehrerbildung in Österreich hat iri der „Furche“ eine lebhafte Diskussion, in Gang gebracht, die nunmehr mit einem Beitrag abgeschlossen werden soll, der auch andernorts erschienene Vorschläge berücksichtigt.

Zur Beibehaltung des Charakters der Lehrerbildungsanstalt als einer Berufsschule vom vierzehnten Lebensjahr an bekennen sich alle Schätzer der Bildungswerte der bisherigen Lehrerbildungsanstalt mit ihrer frühzeitigen und nachhaltigen Betonung des Berufsgedankens und des Berufsethos *. Sie können mit Recht ins Treffen führen, daß in einer Zeit, in der man neben den allgemeinbildenden Mittelschulen an eine ausgiebige Vermehrung der berufsbildenden Mittelschulen denkt und die Ablenkung des Massenzustroms von den Universitäten ernstlich in Erwägung zieht, die Ausbildung der Volksschullehrer in einer sechsjährigen Berufsmittelschule oder Lehrerakademie wahrlich zeitgemäß ist. Selbstverständlich soll die alte standespolitische Forderung der Volksschullehrerschaft, daß die künftige Lehrerbildungsanstalt mit der Berufsvorbildung eine solche Allgemeinbildung zu vermitteln habe, daß nach Absolvierung dieser Anstalt auch die Reife zu einem Weiterstudium an der Hochschule erworben wird, grundsätzlich erfüllt werden. Nach einer Reifeprüfung in den wissenschaftlichen Fächern am Ende des. vierten Ausbildungsjahres (wie das schon am niederösterreichischen Landeslehrerseminar des Pädagogiums seit 1905 unter dem Direktor Dr. Rudolf Hornich der Fall war) könnten dann Studierende, die ihre Berufseinstellung geändert oder sich als unfähig erwiesen haben, vor dem Beginn der intensiven Berufsausbildung in den beiden obersten Jahrgängen der Lehrerakademie sich einem anderen Studium zuwenden. Andererseits könnten Absolventen der allgemeinbildenden Mittelschulen, deren Neigung zum Lehrberuf offenbar und deren körperliche, geistige und charakterliche Eignung festgestellt wurde, in die Lehrerakademie übertreten, wenn sie auch noch den Nachweis musikalischen und zeichnerischen Könnens erbringen, der eine erfolgreiche Berufsausbildung in den zwei abschließenden Jahren verbürgt. Dadurch würde sich die Möglichkeit ergeben, die Entscheidung für den Beruf des Volksschullehrers grundsätzlich noch bis zum achtzehnten Lebensjahr offenzuhalten. Übrigens wäre der Plan, das fünfte und sechste Studienjahr in hochschulmäßiger Form zu gestalten, als Kompromißlösung durchaus diskutabel.

Nach bildungstbeoretischen und berufspraktischen Gesichtspunkten ist allerdings als normaler Bildungsweg für den künftigen Volksschullehrer eine vorausgehende Berufsmittelschule mit gründlicher Einführung in das Berufskönnen und in das Berufsethos nach meinen langjährigen Erfahrungen als Lehrerbildner unerläßlich. Sonst besteht die Gefahr einer bedauerlichen Eile und Belastung für die Hörer der viersemestrigen Hochschulkurse. Von einer gediegenen Berufsausbildung könnte infolge der fehlenden Grundlegung wohl kaum gesprochen werden, und die Hochschulbildung des Volksschullehrers geriete zwangsläufig in Mißkredit. Eine bloß äußerlich herbeigeführte „Einheit des Lehrstandes“ auf Kosten der eigentlichen Berufsausbildung des Volksschullehrers wäre zu teuer erkauft.

Auch die Ausbildung und “Weiterbildung des Ha uptschullehrers hätte wesensmäßig an die des Volksschullehrers anzuschließen, dürfte aber nicht mehr wie bisher dem Eigenstudium überlassen werden. In seinem Beitrag „Vorwärts auf dem Wege der Lehrerbildung“ („Die Furche“, 2. Jahrgang, Nr. 32) spricht Dr. Heinrich Peter mit Recht von jener gewissen „Transparenz“, die der Lehrerbildung mehr als jedem anderen Zweig unseres Bildungswesens anhaftet, nämlich der Tatsache, daß hier der junge Mensch noch weniger als anderswo Wissen und Charakterformung um seiner selbst willen erhält, sondern wir in ihm und durch ihn hindurch die vielen anderen, die in kommenden Jahrzehnten durch seine Hand gehen und^ an seinem Beispiel sich emporbilden sollen, formen wollen. Doktor Peter, ein gründlicher Kenner der Lehrerbildung, tritt daher für eine organische Weiterentwicklung der Lehrerbildung in Österreich ein, für ein Anknüpfen aller Reformen an das Gesetz von 1937, das ohne umwegige Experimente auf der Grundlage gemachter Erfahrungen und gründlicher Diskussionen von Fachleuten unter Heranziehung von Berufsvertretern geschaffen wurde.

In seinem Aufsatz „Erziehung der Erzieher“ („Die Furche“, 3. Jahrgang, Nr. 6) weist Dr. A. Ehrmann darauf hin, daß die Forderung nach Akademisierung der Lehrerbildung um jeden Preis die wirklichen innerberuflichen und gesamtvolklichen Bedürfnisse außer acht lasse. Sie drängt in eine Richtung, die man als Fehlentwicklung bezeichnen kann, zur Intellektualisierung, zum entwurzelten „Intelligenzler“, zum bloßen Mehrwisser und entfernt sich von der Bodenständigkeit, Naturnähe, Volksnähe und Kindesgemäßheit, die den Volksschullehrer auszeichnen sollen. Namentlich die Ausbildung des Landschullehrers, der ein ganz anderes Rüstzeug für seinen wichtigen Beruf braucht, verlangt andere Wege als die des städtischen Volksschullehrers. Das vom Bundesministerium für Unterricht jetzt in Angriff genommene Problem einer Erneuerung der Landschule schließt auch die Frage der Ausbildung geeigneter Landschullehrer in sich ein.

In einem Artikel „Zur Neugestaltung der Lehrerbildung in der zweiten Republik Österreich“ (Zeitschrift „Erziehung und Unterricht“, Heft 4, 1946) tritt Viktor F a d r u s vorbehaltlos für die Akademisierung der Lehrerbildung ein, die an den zu Pädagogischen Instituten ausgebauten Pädagogischen Universitätsseminaren erfolgen soll. Die Lehrerbildungsanstalten müßten nach diesem Vorschlag aufgelassen werden. Die Auslese der für den Lehrberuf geeigneten Anwärter erfolgt aus den Kreisen der Mittelschulabsolventen. Es wird hier von einer Vorauslese durch den Lehrkörper der achten Klassen der Mittelschule in Verbindung mit dem Berufsberatungsamt gesprochen. Diee Vorauslese ist in ihrer Stichhaltigkeit wohl anfechtbar, abgesehen davon, daß die große Zahl der Schüler, deren Neigung für den Lehrberuf schon in früheren Lebensjahren feststeht, den Umweg über eine allgemeinbildende Mittelschule zu machen gezwungen wird und so der wertvollen berufsbildenden Unterweisungen des Lehrerseminars von vornherein verlustig geht.

Diesen Umweg in der Lenkung des Lehrernachwuchses will Dr. Rudolf H a u s e r mit seinem „Vorschlag zu einer Heimatoberschule als Ergänzung unseres Schulsystems“ (Heft 4, 1946, von „Erziehung und Unterricht“) vermeiden. Er hebt an den verschiedenen Vorschlägen zur Reform der Lehrerbildung zwei Punkte hervor, in denen sie alle übereinstimmen: 1. Die Ausbildungszeit, vom Ende der Hauptschule oder Untermittelschule an gerechnet, soll sechs Jahre dauern. 2. Die ersten vier Jahre sollen der Allgemeinbildung, die letzten zwei Jahre vorwiegend der Berufsausbildung dienen. Dr. Hauser stimmt mit vielen Fachleuten in dem Urteil überein, daß die herkömmliche Mittelschule nicht die zweckmäßigste Form für den allgemeinbildenden Teil der Lehrerausbildung darstellen würde.

Als Vorstufe der Heimatoberschule ist die Hauptschule oder die Untermittelschule gedacht. Der Bildungsgedanke der Heimatoberschule, die manche Ähnlichkeit mit Entwürfen zu „Deutschen Mittel- und Oberschulen“ aufweist, betont besonders das Bildungsgut der Heimat in Form einer vertieften Heimatkunde in den spezifischen Fächern Geschichte, Erdkunde, Naturgeschichte und Naturlehre. Eine Kulturpsychologie bietet Einblicke in die Wechselwirkungen der Person mit ihrer menschlichen Umgebung, in das Vernältnis zwischen der Person und den Kulturgütern und eine Kennzeichnung nach typisdicn Menschenformen (Bauer, Großstädter, Industriearbeiter, Beamter usw.). Dazu tritt eine vertiefte Staats- und Berufskunde. Der Deutschunterricht steht im Zeichen einer vertieften Volkskunde und der Pflege lebendiger Literatur (Büchereiwesen, Bühne, Radio, Tonfilm). Der Lateinunterricht zielt auf ein eingehenderes Verständnis der deutschen Sprachlehre und auf die Fähigkeit ab, lateinische Texte der heimatlichen Umwelt (Inschriften, Urkunden, Kirchensprache, Zitate) selbständig zu verstehen. Englisch wird als moderne Fremdsprache vorwiegend praktisch betrieben. Dazu stoßen noch die Fächer Kunstbetrachtung, Musiklehre und Leibesübungen. Da die Heimatoberschule keine Berufs-mittelschule, sondern eine allgemeinbildende Schule darstellt, schließen an sie Fachkurse von ein bis zwei Jahren. Die Fachkurse führen zum höheren Beamtenberuf (Post, Eisenbahn, Arbeitsämter, Wirtschaftsämter), in gehobene Stellen des Parteilebens, in den Pressedienst, den Buchhandel, in das Wirtschaftsleben, zum Beruf des Schauspielers, des Musikers und des bildenden Künstlers und in die sozialen Berufszweige der Frau (Fürsorge, Krankenpflege, Kindergarten). Die Absolventen haben natürlich auch die Möglichkeit, die Hochschulreifeprüfung abzulegen.

Durch die Heimatoberschule rührt nach diesem Plan auch der Bildungsweg des Volksschullehrers über eine anschließende zweijährige Fachausbildung an der Lehrerakademie oder an einer Hochschule, oder es werden einige Heimatoberschulen in Form von Lehrerseminaren geschaffen, die durch das Gemeinschaftsleben eines Internats oder mindestens Halbinternats ergänzt werden. Als zusätzliche Einrichtungen kommen in Betracht: eine erweiterte musikalische und zeichnerische Schulung, Volkstumpflege und volksbildnerische Spezialausbildung. Die erzieherische Begabung könnte in Bewährungsproben in Form der Beaufsichtigung und Beschäftigung von Kindern in Kindergruppen, in Tagesheimstätten oder Ferienheimen vom Lehrerseminar aus organisiert werden. Will ein Seminarist den Lehrberuf nicht ergreifen, stehen ihm noch immer die anderen Wege aus der fieimatoberschule offen. Auch hier wird also der Weg versucht, den Berufs-gedanken, die Stärke des alten Lehrerseminars, unter allen Umständen in die neue Stätte der Lehrerbildung schon frühzeitig einzubauen.

Eine handgreifliche Schwäche aller Entwürfe, die die Berufsausbildung des Volks-, schullehrers gänzlich an die Hochschule verlegen wollen, ist es, daß tatsächlich vier wertvolle Jahre einer vorbereitenden Berufsausbildung der ausschließlichen Allgemeinbildung geopfert werden. Und was drängt sich dann nicht alles in den vier Hochschulsemestern zusammen! Es fällt wahrlich schwer, noch von Bildung zu reden, wenn in der kurzen Zeitspanne von zwei Jahren das Studium der „normativen und autonomen, der universalen, epochalen und globalen Pädagogik“ gefordert und ein Studienplan von p'30 Stunden (74 Stunden

Vorlesungen, 28 “Stunden Seminarübungen, 25 Stunden Schulpraxis und 3 Stunden Leibesübungen) in vier Semestern untergebracht wird für Hörer, die aus einer allgemeinbildenden Mittelschule kommen, also vorher in keiner Weise propädeutisch an die Berufswissenschaften herangeführt wurden. Hier fehlt offenkundig der Unterbau einer vierjährigen Berufsmittelschule, an die organisch das gehobene viersemestrige Fachstudium anschließt. Die Gefahr einer kalten Intellektualisie-r * n g der Lehrerbildung tut sieh auf, die wohl Ingenieurpädagogen und Erziehungstechniker hervorbringt, aber nicht Volksschulpndagogen, die als ganze Menschen, mit Kopf, Herz und Hand das elementare Bildungswesen erfaßten, der volkstümlichen, heimatverbundenen Art ihres Berufes dann treu bleiben und nidit ewig unzufrieden ins gelehrte Bildungswesen schielen. Die Studienpläne, die Viktor F a d r u s in einem umfassenden Beitrag „Zur Neugestaltung der Lehrerbildung in der zweiten Republik österreidi“ (Zeitschrift „Erziehung und Unterricht“, Heft 4, 1946) aus verschiedenen Ländern, wo die hochschulmäßige Ausbildung der Volkschullehrer versuchsweise durchgeführt wurde, darbietet, nehmen sich recht wirksam und bestediend aus, aber die tiefen Bildungswerte, wie sie die von vornherein auf den Berufsgedanken eingestellte sechsjährige Lehrerakademie in organischer Weiterbildung des Lehrerseminars zu vermitteln vermag, scheinen dort nie und nimmer gegeben.

In manchen Ländern war man sich schon von vornherein der Unzulänglichkeit einer bloß viersemestrigen Berufsausbildung mit Hochsdiulcharakter bewußt geworden und hatte diese Ausbildungszeit auf fünf Semester (Darmstadt, Mainz) und sogar auf sechs Semester (Braunschweig. Hamburg, Dresden, Leipzig, Jena) erhöht. Fügt man noch zwei Semester hinzu, dann ist die Ausbildungszeit des Mittelschullehrers erreicht. Wer würde es nicht verständlich finden, wenn viele der so beanspruchten Lehrerstudenten nicht lieber gleich die Laufbahn des Mittel-schullehrprs einschlügen, wie es tatsächlich oft genug geschehen ist, oder auch den Weg zu einem anderen Beruf mit vollakademischer Ausbildung sudien? Der katastrophale Mangel an Volksschullehrern in den eben genannten Ländern mit weitgehender Hochschulbildung, der sich bald nach der Aka-demisierang der Lehrerbildung fühlbar machte, ist ein schlagender Beweis für die Überspannung eines Prinzips, das zwangsläufig den Volksschullehrerstudenten durch fortgesetzte Ia-tellektualiiierung an seinem Beruf irre macht und ihn schließlich zum Verschwinden bringt.

Abschließend kann also festgestellt werden, daß die so nötige, tief in der Persönlichkeit verwurzelte Berufsgesinnung des Volksschullehrers im allgemeinen nur in einer Berufsschule vermittelt werden kann, die im Hinblick auf die wirklich spezifi-chen Bedürfnisse der Lehrerbildung zu organisieren ist und selbstverständlich über die Organisationsform der heutigen Lehrerbildungsanstalt hinauszugehen hätte. Absolventen von Mittelschulen mit später erwachender Neigung und mit Begabung für den Beruf des Volksschullehrers wäre grundsätzlich ein Weg in die beiden obersten Jahrgänge der Lehrerakademie offenzuhalten. Diese Mittelschulabsolventen könnten an die Stelle ausscheidender Schüler treten, deren Studiengang nach vier Jahren der Lehrerakademie die Wahl eines anderen Berufs Zieles wünschenswert macht. Eine allgemeinbildende Mittelschule mit angeschlossenen hochschulmäßigen Kursen als normaler Studiengang des Volksschullehrers könnte die gründliche Ausbildung in den besonderen künstlerischen und praktischen Fertigkeiten, die der Volksschullehrer für seinen Beruf braucht, nicht leisten, sie vielmehr nur oberflächlich vermitteln, weil damit erst in einem Alter begonnen würde, das für die Aneignung von Fertigkelten als reichlich zu spät bezeidinet werden muß. Eine gesteigerte Intellektualisierung wäre wahrlich ein schlechter Ersatz dafür. Durchaus diskutabel wäre aber der Plan einer Heimatoberschule im Sinne Dr. Hausers, die für eine Reihe von Berufen eine hochwertige Vorschule, darstellt und sich unter gewissen Modifikationen als Bildungsweg zum Volk^schullehrer sehr wohl gangbar erweisen würde.

Die Forderung nach einer hochwertigen Berufsschule ist außerdem gegeben durch die differenzierte Kulturlage der Gegenwart, die auch an die spezifischen Bildungsfunktionen der Volksschule erhöhte Anforderungen stellt, durch die schwierigen Probleme, die dem erzieherischen Wirken des Volksschullehrers von heute gestellt sind, und durdi die hohen Aufgaben, die dem österreichischen Lehrer der Zukunft erwachsen, um die schweren Schäden, die Nazismus und Krieg unserem Schulwesen auf lang* Sicht zugefügt haben, wieder gut zu machen und die Weltgeltung der österreichiichen Volksschule wieder zu erringen.

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