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Unmittelbar nach dem Februarputsch des Jahres 1948 hat die Tschechoslowakei das österreichische Reichsvolksschulgesetz beseitigt und durch ein neues Schulgesetz ersetzt. In den letzten Apriltagen 1953, fast auf den Tag fünf Jahre darnach, hat das Prager Parlament auch dieses Gesetz wieder abgeschafft und ein neues Schulgesetz beschlossen.

Hat sich das Gesetz von 1948 nicht bewährt? Hat die „Einheitsschule“, die Zusammenfassung der früheren Bürgerschule mit den Unterklassen der Mittelschule, versagt?

Der neue Schulminister Sykora, der nach der Umorganisation der Ministerien Anfang dieses Jahres nur mehr für die Pflicht- und Auswahlschulen, aber nicht mehr für die Hochschulen und auch nicht mehr für Wissenschaften und Künste zuständig ist, hat seinem Vorgänger Nejedly für das alte Schulgesetz höchstes Lob gespendet; wenn trotzdem heute schon eine gründliche Aenderung notwendig wurde, so sei das nur die Folge des ganz unglaublichen Fortschrittes auf allen Gebieten der Technik und Wirtschaft, der Industrialisierung des Landes, der landwirtschaftlichen Großproduktion, kurz, des neuen Tempos des öffentlichen Lebens, dem eben auch die Schule Rechnung tragen müsse.

Freilich, ohne Kritik geht es nicht ab: Die Absolventen aller Schulgattungen bringen bisher ins praktische Leben ungenügende Kenntnisse und Fähigkeiten mit, wobei die größten Mängel in der Beherrschung der Muttersprache und der Mathematik auftraten, der Lehrstoff wurde überflüssigerweise wiederholt, die einzelnen Schulgattungen — Nationalschule, Mittelschule und Gymnasium — waren nicht entsprechend aufeinander abgestimmt, für sämtliche Gegenstände und alle Altersstufen müssen neue, völlig überarbeitete Lehrbücher geschaffen werden ...

Vor allem aber liefert die Schule der Wirtschaft weniger neue Arbeitskräfte, als diese in ihrer Planung vorgesehen hatte: So sollten heuer 70.000 Schüler nach Absolvierung ihrer Pflichtschulzeit in die Schulen der III. Stufe(also die Oberklassen unserer Mittelschulen) eintreten, 37.000 in die Fachanstalten der staatlichen Arbeitsreserve und 45.000 in die Berufsausbildung — es stehen aber nicht einmal 100.000 insgesamt zur Verfügung. Da die Erfüllung des Wirtschaftsplanes natürlich oberstes Staatsgesetz ist, verkürzt man einfach die ganze Schulzeit um ein Jahr und streicht, da bisher die allgemeinbildenden Schulen gegenüber der Fachausbildung bevorzugt wurden, auch noch ein Schuljahr der Schulen III. Stufe. Die Vorteile liegen auf der Hand: An die Hochschule kommen heuer nicht nur die Absolventen der 4. Klasse der Gymnasien, sondern auch die der 3. Klasse, die in einem sechstägigen (!) Kurs den reduzierten Lehrstoff der 4. Klasse durchnehmen und dann ebenfalls zur Matura zugelassen werden. Gleichzeitig endet im Juli dieses Jahres die Pflichtschulzeit nicht nur aller Schüler der 4. Klasse der Mittelschulen, sondern auch die der 3. Klasse, die lediglich eine normale Abschlußprüfung aus der Muttersprache, der russischen Sprache und aus Mathematik ablegen müssen.

Das neue Schulgesetz vom 24. April 1953 sieht — abgesehen von diesen Uebergangs-maßnahmen — vor allem die Zusammenfassung der bisherigen Schulen I., II. und III. Stufe zu einheitlichen, unter gemeinsamer Leitung stehenden Anstalten vor, die je nach den örtlichen Bedürfnissen 5, 8 oder 11 Klassen zählen. Der Besuch der ersten acht Klassen ist Pflicht, die obersten drei Klassen sind Auswahlklassen und Voraussetzung für das Hochschulstudium. Die 1. Klasse ist eine Vorbereitungsklasse, in der die Kinder zwar die Anfangsgründe des Lesens, Schreibens und Rechnens lernen, die normale Schularbeit beginnt aber erst in der 2. Klasse. Diese Regelung hat den Zweck, daß in der 2. bis 11. Klasse die Lehrpläne der russischen Zehnjahresschule Verwendung finden können. Nach Absolvierung der 8. Klasse kann der Schüler entweder ins Berufsleben treten, eine Fachschule besuchen oder aber in die 9. Klassa aufgenommen werden.

Die Prager Schulreform beschränkt sich nicht auf diese organisatorischen Maßnahmen. Die Verkürzung der Schulzeit zwingt natürlich zu einer völligen Umgestaltung der Lehrpläne: Der Rechenunterricht, der bisher 13,5% der Unterrichtszeit beanspruchte, wird auf 20,5% erhöht, der Unterricht in der Muttersprache von 23,4 auf 29%. Die neuen Lehrpläne werden ferner die Stundenzahl für Physik, Chemie, russische Sprache und Geschichte hinaufsetzen, dementsprechend wird das Stundenausmaß für andere Gegenstände verringert oder diese völlig aus dem Lehrplan gestrichen — um welche Gegenstände es sich dabei handelt, ist bisher nicht mitgeteilt worden.

Einen energischen Kampf führt der neue Schulminister gegen das Sitzenbleiben:

„Der Erfolg der einzelnen Schüler ist nicht eine Privatangelegenheit des Schülers oder seiner Eltern. In unserem Staate ist das eine Angelegenheit von erstrangiger politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Wir rechnen beim sozialistischen Aufbau mit jedem Menschen, wir verlangen von ihm, daß er die Produktivität seiner Arbeit vergrößere, daß er im sozialen Wettbewerb hervorrage, daß wir durch seine Mithilfe mehr, besser und billiger produzieren. Von unserer Schule verlangen wir, daß sie uns eine Jugend mit vollentwickelten geistigen und physischen Fähigkeiten erziehe.

Die Schüler, die sitzenbleiben, sind nicht minderwertig, minderwertig ist unsere Erziehung, ist der Unterricht an einigen unserer Schulen. Die Erfahrung in der Sowjetunion zeigt uns, daß es Schulen auch ohne Repetenten gibt.“

Als Gegenleistung für die vielen neuen Forderungen, die an die Lehrer gestellt werden, verspricht ihnen der Minister Dispens von außerschulischen Arbeiten, die Beseitigung der bisherigen gleichen Bezahlung und die Einführung eines Besoldungsschemas nach der Qualifikation sowie die Schaffung einer Comenius-Medaille für die tüchtigsten Lehrer, die kompromißlos auf dem Standpunkt der marxistisch-leninistischen Pädagogik stehen.

Damit aber die Schule das „mächtige Instrument der sozialistischen kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft“ werden kann, verlangt der Minister von den Lehrern „Un-versöhnlichkeit gegenüber allen bourgeoisen Ueberbleibseln, vor allem Aberglauben, Kampf gegen alles Alte, Absterbende, gegen alles, was ihn zurückzieht“. Die Schule müsse tief politisch sein. Der Puls der Schule könne kein anderer sein als der Puls des Lebens.

„Wir wollen“ — so sagt ein Prager Kommentar zum neuen Schulgesetz —, „daß die Schule weit mehr leisten muß als bisher, trotz der verkürzten Schulzeit. Die Sowjetschule hat gezeigt, daß das geht. Und wir müssen das auch lernen.“

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