Schulreform zur GEISTERSTUNDE

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Was ist von den Bildungsreformplänen der Regierung zu halten? Und wie sollte Schule insgesamt gestaltet sein, um den Kindern gerecht zu werden? Ein Gastkommentar eines Pädagogen.

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Was ist von den Bildungsreformplänen der Regierung zu halten? Und wie sollte Schule insgesamt gestaltet sein, um den Kindern gerecht zu werden? Ein Gastkommentar eines Pädagogen.

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Wenn Schulreformer bis spät in die Nacht hinein verhandeln, beschleicht die Wartenden meist ein beklemmendes Gefühl. Wie wird das Ganze ausgehen? Werden die Ergebnisse Verbesserungen bringen - oder wird es um die Schule am Ende gar noch schlechter bestellt sein als zuvor? Für die Beantwortung dieser Fragen ist es nicht zwingend wichtig, ob die Zentralisten oder die Föderalisten zu den guten oder bösen Geistern zu zählen sind. Bedeutsam ist nur, wie unser wirklich reformbedürftiges Bildungswesen verbessert werden kann.

Reform durch Einsparungen?

Wer die Ergebnisse der Bildungsreformkommission nüchtern betrachtet, wird feststellen können, dass Vieles durchaus engagiert begonnen wurde. Die Einführung eines einheitlichen Bildungskompasses für alle Kinder ab 3,5 Jahren, ein weiteres verpflichtendes Kindergartenjahr, der Ausbau der Sprachförderung, die Früherkennung von Fördernotwendigkeiten, die Aufwertung der Elementarpädagogik im Kindergarten und in der Volksschule, die Ausweitung der Öffnungszeiten in den Bildungseinrichtungen, die bessere Ausbildung für das muttersprachliche Supportpersonal und vieles mehr: All das ist von der Sache her richtig und notwendig und hätte längst schon passieren sollen. Die Realisierung wird allerdings viel Geld kosten. Da die Umsetzung der Reform "aufkommensneutral" erfolgen muss und die nötigen Mittel durch Einsparungen im Verwaltungsbereich bereitgestellt werden sollen, sind Zweifel angebracht.

Besonders skeptisch darf man die Schaffung von sogenannten Bildungsdirektionen sehen. Wer die österreichische Praxis kennt, wird zu Recht befürchten, dass wieder ein schwerfälliges und teures Riesengremium entsteht und der Verwaltungsaufwand nicht schrumpft, sondern womöglich gar wächst. Dafür wird allein die bundesweit geplante "effektive Wirkungskontrolle" sorgen.

Doch Bildungsprozesse sind nicht mit Produktionsprozessen vergleichbar. Individuelle Weiterentwicklung ist nicht messbar, weshalb auch Input-Output-orientierte Pädagogik nicht zum Ziel führen wird. Die angestrebte Ausweitung der Schulautonomie muss daher wirklich zu mehr Freiheit in den Institutionen führen. Wie immer die für das Bildungswesen verantwortlichen Körperschaften auch genannt werden, sie müssen den Pädagoginnen und Pädagogen wieder mehr vertrauen -und aufhören, ihnen permanente Erhebungen vorzuschreiben und Dokumentationen abzuverlangen. Wenn eine Volksschulklasse mit 25 Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache von einer einzigen Lehrerin unterrichtet werden muss, dann ist die Forderung nach einer Wirkungskontrolle einfach grotesk.

Es müssen vielmehr Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine individuelle Förderung möglich machen. Geschieht weiter nichts, werden noch mehr Jugendliche als bisher ihre Schullaufbahn vorzeitig abbrechen. Wer sich von der Zukunft zurückgeworfen fühlt, gerät aber schnell in Gefahr, in der Gegenwart unterzugehen oder sich in extreme Richtungen zu entwickeln. Es wäre also höchst notwendig, dass die Verantwortlichen der Schule endlich ihr menschliches Antlitz zurückgeben. Man kann nicht weiter darauf beharren, Bildung durch mechanistisch orientierte Prozesssteuerung zu vermitteln.

Notwendig ist vielmehr der Dialog über Inhalte und aktuelle Fragen der Gesellschaft und des sozialen Zusammenlebens. Schließlich findet Lernen mitten im Leben statt, der Lernerfolg ist auch davon abhängig, in welcher Situation sich die Kinder gerade befinden. Schwierigkeiten, Sorgen und Nöte führen meist auch zu Problemen in den Aneignungsprozessen, wodurch die Sorgen sicher nicht weniger werden. Es ist daher unbedingt notwendig, dass bei Lernschwierigkeiten neben der reinen Lerndiagnostik auch der Lebensraum der Kinder miteinbezogen wird.

Standards helfen nicht weiter

Ein Blick in unsere Gesellschaft macht jedenfalls klar, wie viele mögliche Gefährdungen es gibt: Armut, Broken-Home-Situationen, Mobbing und viele andere Belastungen führen nicht selten zu Affektveränderungen und Depressionen, die wiederum die Sicht auf die Schule und das Lernen verstellen. Standardisierte Verfahren helfen hier nicht weiter, es ist vielmehr der Blick auf das Ganze gefordert. Schülerinnen und Schülern haben das Recht darauf, nicht nur als "Symptomträger", sondern als Person wahrgenommen zu werden. Die Schule der Zukunft wird sich also noch viel mehr als

bisher darum bemühen müssen, der Heterogenität unter den Schülerinnen und Schülern und ihren Lernausgangslagen gerecht zu werden. Dazu braucht es Lehrerinnen und Lehrer, die bereit sind, auf diese Individuallagen einzugehen -und mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Vertretern aus anderen Bereichen.

Und was ist mit Inklusion?

Schon in "ganz normalen Klassen" ist diese angesprochene Heterogenität sehr hoch. Beim Ansinnen, auch Kinder mit Behinderungen zu inkludieren, stellen sich hingegen ganz neue Fragen. Das Inklusionsthema wurde zwar bei der Schulreformdiskussion weitgehend ausgespart, die Ausbildung zum Sonderschullehrer oder zur Sonderschullehrerin an den Pädagogischen Hochschulen wurde aber bereits abgeschafft. An ihre Stelle wird eine allgemeine Ausbildung im Bereich Inklusionspädagogik für alle zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer treten. Es ist aber schlicht unmöglich, dass eine Lehrkraft so umfassend ausgebildet werden kann, dass sie für alle Eventualitäten gerüstet ist. Die betroffenen Kinder werden also vermutlich nicht mehr entsprechend ihren Bedürfnissen gefördert werden können, was de facto einer Aberkennung ihres Bildungsanspruches gleichkommt. So kann Inklusion nicht gelingen.

Inklusion bedeutet vielmehr, allen Kindern und Jugendlichen jene Angebote zukommen zu lassen, die ihnen helfen sollen, ihre Potentiale auszuschöpfen. Die gewählte Schulorganisationsform ist hier sekundär. Es wird Kinder geben, die eine normale Klasse in der Regelschule ihres Wohnortes besuchen können, es wird aber auch Kinder geben, die eine besondere Betreuung in spezialisierten Schulformen brauchen. Diese Wahlmöglichkeit muss für Eltern aufrecht bleiben. Wird bei der anstehenden Schulreform auch die Abschaffung der Sonderschulen unter den Einsparungsmaßnahmen mitgedacht, dann waren in diesen späten Stunden wirklich die bösen Geister in der Überzahl gewesen.

| Der Autor leitet das Department 1 (Angewandte Kindheits-und Jugendwissenschaft) an der PH Niederösterreich |

Zukunftschance Lernen Mut zur Bildung im Dialog. Von A. Brader und P. Gössinger. Ueberreuter 2015.208 S.,geb., € 19,99. Braders Artikel "Integration -Inklusion - Illusion?" erscheint in Kürze im Sammelband Nr. 6 der PH NÖ (Studienverlag).

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