Mamas und Papas Hausaufgaben

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Türkis-Blaue BildungsPläne

Elementarpädagogik

Verbindlicher Bildungsrahmenplan für den Elementarbereich, zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für "jene, die es brauchen", "Deutsch vor Schuleintritt", Eltern-Kind-Pass.

Leistungsfeststellung

Ziffernnoten in allen Schulstufen (alternative Beurteilung nur zusätzlich), Eingangsverfahren für AHS und BMHS schulautonom möglich, Bildungspflicht bis 18, Ausbau der Ganztagsschulen.

Lehrerbeurteilung

"Leistungs-und outputorientierte Besoldung" sowie anonymisiertes Schüler-Feedback für alle Lehrkräfte, verpflichtende regelmäßige Fortbildung, Regeln für Anstellung, Bewertung und Kündigung.

Und sonst noch

Wiedereinführung der sonderpädagogischen Ausbildung, Stärkung der Sonderschulen, verpflichtender Ethikunterricht für alle, die keinen Religionsunterricht besuchen, BIFIE-Auflösung.

"Es ist zu begrüßen, dass den Eltern wieder mehr Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder in die Hand gegeben wird." (G. Schreyer)

"Nach der Lesestudie PIRLS 2016 sind zehnjährige Akademikerkinder jenen Kindern, deren Eltern nur Pflichtschulabschluss haben, um bis zu vier Lernjahre voraus."

Frühstück vorbereiten, Kind aufwecken, eine gesunde Jause richten, Kind zum Zähneputzen schicken, es in Stiefel und Jacke stecken und mit den besten Wünschen Richtung Schule schicken: All das tun tausende Eltern jeden Morgen. (Spät-)nachmittags helfen sie womöglich noch bei Hausübungen, prüfen Vokabel oder Jahreszahlen ab, sehen im Mitteilungsheft nach, ob wieder ein Test oder Bastelbeitrag ansteht, kredenzen das Abendessen und starten das Bettritual -je nach Gusto mit Gesprächen, Lektüre oder auch ein wenig Transzendenz.

Viele Mütter und Väter schaffen das. Sie organisieren nicht nur den schulischen Alltag ihres Kindes, sie bieten ihm auch sonst gern Horizonterweiterung -von der Musikschule bis zur Bücherei. Notfalls geben sie auch den Ersatzlehrer: 86 Prozent der Eltern von Volksschülern lernen laut "Nachhilfebarometer" der Arbeiterkammer regelmäßig mit ihren Kindern, die Hälfte tut das "so gut wie täglich". An den Neuen Mittelschulen und AHS-Unterstufen sieht es nicht viel anders aus.

Drei Lernjahre Unterschied

Dass es Kinder engagierter, bildungsaffiner Eltern in der Schule leichter haben als andere, kann keinen überraschen. Dass die "Vererbung" von Bildung in Österreichs Schulen stetig zunimmt, muss indes bedenklich stimmen. Die aktuelle Bildungsvergleichsstudie "PIRLS 2016" ("Progress in International Reading Literacy Study"), die alle fünf Jahre die Lesekompetenz der Zehnjährigen misst, hat die aufgehende Schere hierzulande einmal mehr belegt. Akademikerkinder sind demnach bereits am Ende der Volksschule jenen Kindern, deren Eltern nur Pflichtschulabschluss haben, um drei bis vier Lernjahre beim Lesen voraus. Auch die Leistungskluft zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund vergrößert sich. Insgesamt kann jeder sechste Zehnjährige nur ganz einfache Leseaufgaben lösen.

Für die scheidende Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) ein "inakzeptables" Ergebnis -zumal sich Österreich insgesamt zwar gegenüber 2011 verbessert hat, im EU-Vergleich aber nur im hinteren Drittel rangiert. Man habe im Juni 2016 zahlreiche Maßnahmen gesetzt -etwa eine durchgängige Sprachförderung. Auswirkungen würde man freilich erst bei der nächsten Testung sehen, so Hammerschmid. Klar sei, dass es mehr Ressourcen im Elementarund Volksschulbereich brauche - sowie einen massiven Ausbau von Ganztagsschulen für mehr Chancengerechtigkeit.

Wie sehr kann Schule fehlende elterliche Unterstützung kompensieren? Und was ist von Müttern und Vätern heute zu verlangen? Diese Fragen werden nicht nur durch PIRLS 2016 genährt, sondern seit Jahren auch von Lehrerinnen und Lehrern aufgeworfen. Eltern würden immer mehr (Erziehungs-)Verantwortung an die Schule delegieren, klagen sie - von fehlenden Manieren bis zum sanktionslosen Schuleschwänzen.

Die Koalitionsverhandler ÖVP und FPÖ haben die Klage nun aufgegriffen und sich auf radikale Gegenmaßnahmen geeinigt: Ihr achtseitiges Positionspapier sieht eine "generelle Koppelung des Bezugs von Sozialleistungen an die Einhaltung der aus der Schul-bzw. Bildungspflicht erwachsenen Auflagen und Vorgaben" vor -sowie "Sanktionen bei Sozial-und Transferleistungen für Eltern und Erziehungsberechtigte im Fall einer Missachtung von Aufgaben und Pflichten".

Was konkret zu diesen Pflichten gehört, bleibt im Dunkeln. Das Regelmäßig-in-die-Schule-Schicken trifft es aber wohl in jedem Fall. "Ein signifikanter Teil von Schülern kommt oft wochenlang nicht in die Schule", meinte Andreas Salcher, Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien und ÖVP-Bildungsberater, gegenüber dem Kurier. Es müsse "ein System an Anreizen und Sanktionen geben, um die Eltern dazu zu bringen, an der Bildungspflicht ihrer Kinder mitzuwirken." Als Vorbild schwebt Salcher der Mutter-Kind-Pass vor. (Wobei hier im Falle fehlender Untersuchungen nicht, wie vielfach kolportiert, die Familienbeihilfe gestrichen, sondern das Kinderbetreuungsgeld nicht weiter ausbezahlt wird.)

Der Aufschrei war und ist groß. Ohnehin benachteiligte Eltern würden noch weiter belastet, so der Tenor. "Hohe Bußgelder für Eltern sorgen für eine noch prekärere Situation in solchen Familien und erzeugen weiter Druck, der an die Kinder weitergegeben wird", meint etwa Karl Dwulit, Vorsitzender des Dachverbandes der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen. Sein Kollege Gernot Schreyer, Präsident des Bundeselternverbandes für die mittleren und höheren Schulen, zeigt sich hingegen positiv abwartend. Zwar müsse man sehen, wie die Sanktionen konkret ausgestaltet sind. Grundsätzlich begrüße er aber, dass den Eltern "wieder mehr Verantwortung für die Bildung und Ausbildung ihrer Kinder in die Hand gegeben wird". Und was ist mit den umfassenden Nachhilfe-Erfahrungen vieler Mütter und Väter?"Das wird an einzelnen Schulen schon so sein", sagt Schreyer im FURCHE-Gespräch.

Im Vergleich zu den PISA-Siegern im fernen Osten sei der Aufwand aber begrenzt. Kinder "den ganzen Tag in der Schule zu parken und sich um nichts mehr kümmern" zu müssen, bleibe aber eine Illusion.

Auch Isabella Zins, Direktorin des BORG Mistelbach und neue Sprecherin von Österreichs AHS-Direktoren, findet es "gut, dass man die Eltern wieder mehr in die Pflicht nimmt". Als Nachhilfelehrer ihrer Kinder sieht sie Mütter und Väter freilich nicht. "Wenn das nötig ist, war die Schulwahl falsch", sagt Zins -wobei sie die von ÖVP und FPÖ geplante Möglichkeit schulautonomer Aufnahmeverfahren in die AHS begrüßt. Sicher hilfreich seien verpflichtende Elternabende, so Zins. Den Entzug von Sozialleistungen sieht sie "nur als allerletzten Schritt".

Stufen-Plan gegen Schulschwänzer

Tatsächlich sind Strafen für nachlässige Eltern nichts völlig Neues: Seit 1. Juli dieses Jahres ist etwa das neue Ausbildungspflichtgesetz in Kraft. Verstoßen Eltern "schuldhaft" dagegen, droht ihnen ab Juli 2018 eine Verwaltungsstrafe: im Erstfall 100 bis 500 Euro, im Wiederholungsfall 200 bis 1000 Euro. Bereits seit 2013 gibt es auch einen "Fünf-Stufen-Plan", der den Umgang mit Schulschwänzern österreichweit gesetzlich regelt. Wenn ein Schüler fünf Tage pro Semester -oder drei aufeinander folgende Tage -unentschuldigt dem Unterricht fernbleibt, ist ein Gespräch zwischen den Erziehungsberechtigten, dem Schüler und dem Klassenlehrer vorgesehen. Bleibt dieses erfolglos, werden in weiteren Gesprächen der schulpsychologische Dienst bzw. Schulsozialarbeiter eingebunden, auf der nächsten Stufe Beamte des Qualitätsmanagements und schließlich die Jugendwohlfahrt. Am Ende droht den Eltern eine Verwaltungsstrafe von 440 Euro. Insgesamt seien aber nicht Strafen, sondern "Hilfe, Motivation und die nachhaltige Bekämpfung der Ursachen von Schulpflichtverletzungen" das Ziel, heißt es aus dem Wiener Stadtschulrat.

Erika Tiefenbacher, Direktorin der Neuen Mittelschule in der Wiener Schopenhauerstraße - einer klassischen "Brennpunktschule" - hat bislang erst bis zur dritten Stufe agieren müssen, wie sie erzählt. Von noch strengeren Sanktionen hält sie nichts. "Meist steckt ja keine böse Absicht dahinter", meint Tiefenbacher. Viele Eltern kämen aus anderen Kulturen, seien mit dem österreichischen Schulsystem nicht vertraut und würden sich wegen mangelnder Deutschkenntnisse und eigener Bildungsferne auch nicht in die Schule wagen. "Aber auch viele österreichische Eltern wissen nicht mehr, was es heißt, mit der Schule zusammenzuarbeiten", weiß die Pädagogin. Ihr Wunsch wären deshalb verpflichtende Eltern-Seminare in der Schule. "Ideal wäre von September bis Dezember je ein Kurs pro Monat, in dem Eltern lernen, was ihre Aufgaben sind und wie sie ihr Kind unterstützen können: von der Hausübung bis zum Vorlesen."

Lerncafé als Rettung

Den Ausbau der Elternarbeit hält auch Judit Marte-Huainigg für zentral. Beginnen sollte man damit freilich schon im Kindergarten, weil hier der Kontakt zu den Eltern noch besonders eng sei, weiß die Leiterin des Referats für Sozialpolitik der Caritas Österreich. Doch leider fehlten die Ressourcen. In den Caritas-Lerncafés, in denen Kinder aus sozial schwachen Familien nach der Schule unterstützt werden, wird diese intensive Elternarbeit freilich schon angeboten. Statt Mütter und Väter zu belehren, will man sie hier in ihrer "Expertinnenrolle für ihr Kind" stärken, betont Marte-Huainigg. 1530 Kinder - rund 90 Prozent davon mit Migrationshintergrund - profitieren bereits davon. 24 der österreichweit 52 Standorte werden vom Integrationsministerium gefördert, acht neue konnten mit Hilfe der "Coca-Cola Foundation" finanziert werden. Dennoch warten noch 700 Kinder auf einen Platz im Lerncafé -jenen Ort, wo man mit ihnen endlich all jene Hausaufgaben macht, die Österreichs Schulsystem von Mamas und Papas verlangt.

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